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Barbara Sukowa im Januar 2020.© dpa
Barbara Sukowa

Barbara Sukowa zum 70. Geburtstag: Stets hinter der nächsten Ecke

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Die Theater- und Filmschauspielerin Barbara Sukowa wird am Sonntag 70 Jahre alt.

Barbara Sukowa wird am Sonntag 70 Jahre alt. Die älteren hat sie lange begleitet. Seit sie 1980 in Rainer Werner Fassbinders Fernsehverfilmung von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, einer „Miniserie“ würde man heute sagen, die Miezi spielte, war sie berühmt und als sie im Jahr darauf gleich wieder einen Bundesfilmpreis bekam für „Lola“ war sie eine der berühmtesten deutschen Schauspielerinnen. Ich hatte mich schon vorher in sie verliebt.

1975 inszenierte Luc Bondy an den Städtischen Bühnen in Frankfurt eines der großartigen Stücke des französischen Rokoko-Dichters Pierre Carlet de Marivaux. „Die Unbeständigkeit der Liebe“ demonstriert und demontiert unsere Sehnsucht nach natürlicher Spontaneität, die selbst auch ein Ausdruck der Künstlichkeit unserer Gefühle ist.

Barbara Sukowa war 25 und spielte Sylvia, das Mädchen vom Lande. Sie war hinreißend und wir alle, inklusive ihres Bühnenpartners Peter Franke, waren verliebt in sie. Sie war zart bis zur Zerbrechlichkeit und gleichzeitig starkknochig und stur. So verließ sie im Stück ihren Freund und wandte sich dem sie begehrenden Prinzen zu.

Marivaux’ Stück von 1723 platzte hinein in das Frankfurt, in dem ein paar Tage zuvor nicht nur die Paulskirche von aufgebrachten Demonstranten besetzt worden war, die sich mit dem Widerstand gegen den spanischen Diktator Franco solidarisierten, sondern auch die Wände im Foyer des Schauspielhauses mit entsprechenden Parolen besprüht worden waren. Am 11. Oktober tagte der Club of Rome in Frankfurt.

Dazu Demonstrationen gegen den Paragraphen 218 und andere nahezu tägliche Aktionen der Frauenbewegung. In Familien, Wohngemeinschaften, Theatern und Büros werden Beziehungen diskutiert, wird das Geflecht der Geschlechter immer wieder neu geknüpft. Dahinein platzte Marivaux’ kühle Kunst: Computerspiele mit richtigen Menschen. Das ist die Welt, aus der Barbara Sukowa auch kommt als Kind ihrer Generation, als denkende Schauspielerin.

Sie kommt vom Theater. Vom modernsten Theater jener Jahre: von Bond und Bondy, von Peymann und Palitzsch. Sie spielte aber – man verzeihe mir das aber – auch unter Otto Schenk mit Helmut Lohner und Sascha Hehn. Sie eroberte alle Bühnen und jedes Publikum.

Es war Rainer Werner Fassbinder, der sie zu einem deutschen Filmstar machte. In Wahrheit war das keine Rolle für sie. Sie konnte spielen. Was hätte sie nicht spielen können? Das aber war nichts für sie. Dazu war sie zu intelligent. Aber es gab in den achtziger Jahren kaum einen halbwegs interessierten Kinobesucher, der sie nicht als Terroristin in Margarethe von Trottas „Die bleierne Zeit“ oder als „Rosa Luxemburg“ im Film derselben Regisseurin sah.

Dennoch ließ sie nicht ab vom Theater. So spielte sie zum Beispiel in Giorgio Strehlers berühmter Inszenierung der „Dreigroschenoper“ 1986 im Pariser Théâtre du Châtelet Polly Peachum. Milva war die Seeräuber-Jenny.

Diese Inszenierung nicht gesehen zu haben, gehört zu den schrecklichen Versäumnissen meines Theaterbesucherlebens. Ich habe leider auch nicht den Film gesehen, den sie mit ihrem Ehemann, dem amerikanischen Künstler Robert Longo, gedreht hat. Er heißt „Vernetzt – Johnny Mnemonic“. Noch sträflicher scheint mir, niemals die Gelegenheit genutzt zu haben, die Horrorkomödie „Office Killer“ zu sehen, die sie zusammen mit Cindy Sherman drehte.

Es hat keinen Sinn, die Filme aufzuzählen, die sie gedreht hat und die ich gesehen oder nicht gesehen habe. Aber nichts scheint mir falscher, als Barbara Sukowa als Schauspielerin des Neuen Deutschen Films der achtziger Jahre zu sehen. Auch das ist nur eine Ecke, aus der sie kommt, in die sie nicht ungern immer wieder zurückgeht, von der sie aber auch immer wieder in ganz andere Zonen aufbricht.

Ende der achtziger Jahre zum Beispiel begann sie als Sängerin aufzutreten. Schubert und Schumann, unter Abbado in Arnold Schönbergs Gurre-Liedern. Ihr erstes Album – sie war sechzig – kam 2010 heraus und wurde preisgekrönt.

Sie scheint sich immer wieder neu zu erfinden. Ich bin gespannt, welches Abenteuer jetzt hinter der nächsten Ecke wartet. Zerbrechlich wirkt sie nicht mehr. Nach all diesen Erfolgen. Aber vielleicht war sie das auch als junge Frau nicht und wir Betrachter projizierten etwas auf sie, was wir gerne sehen wollten.

Wenn ich mir heute die alten Fotos ansehe, frappiert mich mehr ihre Nachdenklichkeit, ihr Ernst auf der glatten Stirn. Sie lachte gerne, aber sie mochte dabei nicht fotografiert werden. Sie wollte keine fröhlich in die Kamera grinsende Blondine sein. Diese Gefahr bestand freilich zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens.

Barbara Sukowa wird am Sonntag 70. Wird sie ihren Geburtstag in Brooklyn mit ihrem Mann feiern, mit den Söhnen? Oder ist sie unterwegs zu neuen Unternehmungen, deren Ergebnisse wir erst in zwei, drei Jahren sehen werden? Alles Gute zum Geburtstag!