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Das Coronavirus wurde zuerst in der chinesischen Stadt Wuhan entdeckt, bedroht aber inzwischen das ganze Reich der Mitte und dessen Regime. Die Bevölkerung macht allmählich mobil.© imago images/Xinhua

Coronavirus bringt Chinas Machtsystem ins Wanken 

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China ist von der Virus-Epedemie schockiert und erschüttert. Das Land steckt im Ausnahmezustand. Das Misstrauen in die politische Führung wächst. Die Pressezensur zeigt fatale Folgen. Die Machthaber fürchten um ihre Autorität und reagieren mit ungewöhnlichen Massnahmen.

Es sind nicht 5.000 oder 10.000 Infizierte, es sind mindestens, "im besten Fall" 100.000 Erkrankte. Das meint Neil Ferguson vom Imperial College in London, der für die Weltgesundheitsbehörde WHO die Coronavirus-Krise analysiert. Fergusons Warnung deckt sich mit den dramatischen Berichten aus chinesischen Krankenhäusern im Epidemiegebiet. Demnach hat der Virus viel mehr Menschen getroffen als offiziell zugegeben wird.

Auch aus Hongkong mehren sich Berichte, dass die Lage in der Metropole Wuhan viel schlimmer sei als bislang angenommen. Dies erkläre auch die drastischen Massnahmen der chinesischen Regierung, einen Ballungsraum mit annähernd 60 Millionen Menschen von der Aussenwelt abzuschneiden und schlagartig unter Isolation zu stellen. Eine derartige Massenquarantäne hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben.

Die Wut auf die Machthaber wächst

Die chinesische Führung gerät innenpolitisch massiv unter Druck, denn in der Bevölkerung wächst Wut auf die Machthaber. Die Vorwürfe reichen von Verharmlosung, Vertuschung bis zu Missmanagement der Epidemie. Als gravierend zeigt sich die massive Einschränkung der Pressefreiheit in China, denn so wurden wichtige Informationen und Frühwarnungen zur Krise erst gar nicht publik und dann viel zu spät und verharmlosend transportiert.

Hunderte Millionen Menschen informieren sich nun kaum mehr über die Staatsmedien, sondern übers Netz. So kursieren Videos von chaotischen Zuständen in überfüllten Krankenhäusern und eklatanten Schwächen im Gesundheitssystem. Sie zerstören das staatlich verordnete Bild von einem Land, das die Situation unter Kontrolle hat. Das tief sitzende Misstrauen führt dazu, dass panischen Gerüchten in Chat-Diensten mehr geglaubt wird als den geschönten Berichten der gelenkten Staatsmedien.

Noch nach Neujahr verfolgte die Polizei in Wuhan - nach einem Bericht von BBC - acht Bürger, die öffentlich die Behauptung wagten, dass das SARS-Virus nach China zurückgekehrt sei. Zwei Wochen später sassen sogar chinesische Journalisten kurzzeitig in Haft, weil sie über das Wuhan-Virus berichten wollten. Ärzte klagen, dass sie angewiesen werden, nicht mit der Öffentlichkeit über die Infektionen zu sprechen.

Behörden in Wuhan meldeten falsche Krankheitsfälle

Lokale Parteifunktionäre verharmlosten im Dezember den Ausbruch und behaupteten, mit dem Problem schon fertigzuwerden. Schlechte Nachrichten gelten der Zentralregierung gegenüber als Indiz für politisches Versagen. Hinzu kam, dass die Führung der Stadt Wuhan zu Jahresbeginn damit beschäftigt war, das jährliche Treffen der Kommunistischen Partei zu organisieren. Die Handelsblatt-Korrespondentin Sha Hua berichtet: Es galt, sich vor den Genossen Funktionären "keine Blösse zu geben".

Das Phänomen des parteiinternen Informationsblendwerks ist für Chinas Regierungssystem ein grundlegendes Problem. So glaubt die Zentralregierung nicht einmal den Wirtschaftszahlen der Provinzen und hält diese für systematisch geschönt. Jüngst erst korrigierten fast die Hälfte aller Provinzen ihre Ergebnisse für 2018 nach unten, nachdem die Zentralregierung ihre Zahlen überprüfen liess. Sie waren allesamt zu hoch angegeben. Dass die Behörden in Wuhan - genau nach diesem Muster - auch die neuen Krankheitsfälle falsch gemeldet hat, wird ihr jetzt zum Verhängnis.

Bürgermeister wird zu Selbstkritik gezwungen

Der Bürgermeister von Wuhan, Zhou Xianwang, ist nun von Peking gezwungen worden, im staatlichen Fernsehen CCTV sein eigenes Krisenmanagement als "nicht gut genug" zu kritisieren und zusammen mit dem obersten Parteisekretär der Stadt, Ma Guoqiang, seinen Rücktritt anzubieten. Schon bei der SARS-Epidemie von 2003 rollten politische Köpfe, seinerzeit mussten der Bürgermeister von Peking und der Gesundheitsminister abtreten. Die Panik in der Bevölkerung, die zu Hamsterkäufen von Masken und Lebensmitteln geführt haben, wirken jedenfalls wie offene Demonstrationen einer politischen Vertrauenskrise.

Für das kommunistische Regime ist die Stimmungslage bedrohlich, weil ihre gesamte Legitimation stillschweigend darauf beruht, dass die Bürger Freiheiten opfern, dafür aber Wohlstand und Sicherheit garantiert bekommen. Wenn nun mit der Gesundheit die wichtigste aller Sicherheiten nicht mehr geschützt werden kann und alle erkennen, dass Freiheiten zum schieren Lebensschutz dringend gebraucht werden, droht das System seine Autorität zu verlieren.

Staatspräsident Xi Jinping hat die politische Brisanz der Lage erkannt und gibt jetzt die Losung aus, das Leben und Gesundheit der Bürger geniesse oberste Priorität. China müsse die Ausbreitung "resolut bekämpfen". Auf der Kurznachrichtenplattform Weibo veröffentlichte seine Kommunistische Partei einen aussergewöhnlichen Appell an seine Kader. Sie müssten nun möglichst viel Offenheit walten lassen. Wer Infektionen in seiner Region vertusche oder seine eigenen politischen Interessen über die Gesundheit des Volkes stelle, müsse mit schweren Strafen rechnen. Kader würden "für die Ewigkeit an den Pranger der Schande genagelt", sollten sie Krankheitsfälle unterschlagen. Sogar eine App wird freigeschaltet, in der Bürger Vertuschungen von lokalen Funktionären und Behörden anprangern können.

Entdecker des SARS-Virus wird medienwirksam eingesetzt

Plötzlich dürfen Journalisten offen über den Verlauf der Krankheit berichten. Auch die Staatsmedien, die das Thema wochenlang zwanghaft klein gehalten haben, veröffentlichen nun detaillierte Berichte. Sogar während der im Staatsfernsehen übertragenen Frühlingsgala, die traditionell von vielen Millionen Chinesen geschaut wird, schaltete die Regie in ein Krankenhaus nach Wuhan zu den dortigen Ärzten.

Das Regime aktiviert zudem den Entdecker des SARS-Virus, den inzwischen 83-jährigen Mediziner Zhong Nanshan. Er soll - um Vertrauen in die Informationspolitik zurück zu erlangen - die Öffentlichkeit über die Gesundheitskrise informieren. Der Spezialist für Atemwegserkrankungen war während der SARS-Pandemie bekannt geworden, weil er die Ernsthaftigkeit der Krankheit schon benannte, als die Regierung noch versuchte, sie zu vertuschen.

Schlagartig wird auch die medizinische Informationspolitik offener. Ma Xiaowei, Leiter der nationalen Gesundheitskommission, tritt nunmehr gleich mit zwei ungeschönten Hiobsbotschaften vor die internationale Presse: Zum einen würde die Übertragungsfähigkeit des Coronavirus derzeit weiter ansteigen. Und im Gegensatz zu SARS sei der neuartige Erreger aus Wuhan auch während der Inkubationszeit ansteckend. Dies macht eine Eindämmung ungleich schwerer, schliesslich dauert es bis zu zwei Wochen, dass unwissentlich Infizierte erste Symptome der Lungenkrankheit zeigen.

Doch äussere Kritik am Vorgehen der Behörden lässt das Regime in Peking - etwa im Internet - auch weiterhin weiträumig löschen. Kritische Kommentare insbesondere aus Hongkong werden getilgt, selbst in privaten Nachrichtenchats regiert Zensur. Peking erlaubt nur die Kritik aus der Partei an der Partei. Das Regime hat offenbar Angst vor der viralen Vertrauenskrise. Denn am Ende könnte der Corona-Virus auch das Machtsystem der Kommunistischen Partei erschüttern. Es vereinen sich derzeit die Freiheitsbewegung der Hongkong-Chinesen mit dem Freiheitsruf der Virusbedrohten. Die Freiheit von Presse und Informationen ist - und das zeigt die Epidemie grausam klar - zuweilen überlebenswichtig.

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Wuhan ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Hubei. Die Metropolregion zählt rund elf Millionen Einwohner. Dementsprechend hoch ist das Verkehrsaufkommen, wie diese Luftaufnahme zeigt.Corbis via Getty Images
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Allein rund 50.000 Fahrzeuge pro Tag fahren über die zweite Jangtse-Brücke. Die Schrägseilbrücke wurde 1995 eröffnet und führt über den Fluss Jangtsekiang. Sie ist etwa 4,7 Kilometer lang.Reuters/Stringer
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Auch diese Luftaufnahme zeigt das Verkehrsaufkommen, das normalerweise in Wuhan herrscht. Doch seit Ausbruch des Coronavirus und der Abriegelung der Stadt sieht das vollkommen anders aus.Jie Zhao/Corbis via Getty Images
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Nachdem Wuhan, um die Verbreitung des Virus zu verhindern, weitgehend abgeriegelt wurde, ist die Stadt von Kurieren abhängig. Diese versorgen die Stadt weiterhin mit Vorräten. Hier lässt sich einer von einer Sozialarbeiterin die Temperatur messen.Getty Images
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Aktuelle Bilder aus Wuhan: Die Strassen sind seit der Abriegelung weitgehend leer. Nur vereinzelt sind noch Fahrzeuge unterwegs.Getty Images
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Manche Strassen, wo sich zuvor noch Autos tummelten, sind sogar vollkommen verlassen.Getty Images
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Die wenigen Autofahrer, die noch unterwegs sind, kommen womöglich so schnell ans Ziel wie noch nie.Getty Images
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Diese junge Frau will nicht auf ihr kleines Workout an der frischen Luft verzichten. Eine Atemmaske trägt sie sicherheitshalber trotzdem.Getty Images
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Damit ist sie nicht alleine: Mit vier weiteren, ebenfalls mit Atemmasken geschützten Frauen trotzt sie der tristen Einsamkeit auf den Strassen.Getty Images
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Auch diese Strasse ist vergleichsweise verlassen. Die Frau auf dem Fahrrad trägt ebenfalls eine Atemmaske.Getty Images
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Dieses Paar hat seinen Spazierweg vollkommen für sich. Wann der Verkehr in Wuhan wieder fliessen und die Abriegelung aufgehoben werden wird, ist unklar.Getty Images
Wuhan als Ort der Kontraste: Von der Metropole zur Geisterstadt
Das Coronavirus verbreitet sich weiter. Die Lufthansa hat bereits alle Flüge nach China gestrichen und die Bundesregierung bereitet eine Evakuierung von Deutschen aus der gefährdeten Region vor. Die Stadt Wuhan, in der das Coronavirus ausgebrochen ist, wurde abgeriegelt. Derzeit präsentiert sie sich deshalb als Geisterstadt.