Die Steine der Erinnerung in der Wiener Josefstadt

Ein kleiner Verein im 8. Bezirk macht die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Bezirk unter der NS-Herrschaft sichtbar.

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Irmtraut Karlsson (75) lebt seit Jahrzehnten in der Josefstadt. Dort leitete sie lange eine Kulturinitiative und steht seit 2007 dem Verein "Steine der Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes" vor. Bei diesen Steinen handelt es sich um kleine Erinnerungstafeln, welche am Gehsteig vor jenen Häusern eingelassen werden, wo früher Menschen gewohnt hatten, die Holocaust und nationalsozialistische Herrschaft von 1938 bis 1945 nicht überlebten.

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Eingelassene "Stolpersteine" am Gehsteig der Josefstädter Straße sollen an ermordete Bewohner erinnern. - © Lars Karlsson

Die früheren Wohnverhältnisse müssen allerdings durch zwei von einander unabhängige Quellen belegt werden. Irmtraut Karlsson arbeitet bei diesen Nachweisen besonders gern mit einem alten Nachschlagwerk: "Im Wiener Adressbuch Lehmann waren bis 1942 alle Haus- und Grundbesitzer verzeichnet."

Finanziert wird diese Art der Gedenkarbeit durch Spenden von sogenannten Steinpaten und durch Subventionen von Stadt und Bundesstellen. Eine Gedenkplatte kostet etwa 600 Euro. Karlsson: "Das Teuerste ist das Messing, aber auch die Gravur und das Verlegen am Gehsteig ist zu bezahlen." Hilfreich sei dabei, dass die Gehsteige von der Magistratsabteilung 25 verwaltet werden. Damit gebe es "keine unüberwindlichen Rechtshürden".

Irmtraut Karlsson hat eine wenig stromlinienförmige Politkarriere in der SPÖ hinter sich. Die nunmehrige Krimi-Autorin deckte Mitte der 70er-Jahre als Sozialpädagogin die Skandale rund um die Kinderheime Wilhelminenberg und Eggenburg auf. Jahrelang wurden Karlssons Erkenntnisse von den Behörden bezweifelt und vertuscht. Erst kürzlich wurden die Opfer entschädigt.

Später war Karlsson-Bundesfrauensekretärin der SPÖ unter Johanna Dohnal und bis 1999 Nationalratsabgeordnete. Sie zeigte sich im Parlament wenig angepasst und brach mit der damaligen Parteispitze unter Viktor Klima und Innenminister Karl Schlögl, als der dunkelhäutige Flüchtling Markus Omofuma bei einem Polizeieinsatz zu Tode kam. "Ich bestand auf Integrität", sagt sie heute rückblickend.

Seither arbeitet Karlsson in überparteilichen Initiativen im Bezirk. Mit der Erinnerungsinitiative setzte sie antifaschistische Marksteine. Kürzlich wurde der bisher letzte "Stein der Erinnerung" in der Josefstädter Straße 70 verlegt. Stellvertretend für andere ähnliche - und diesmal ernste - "Wiener G’schichten", soll der Spender des Steines, Dan Shefy zu Wort kommen:

"Meinen Eltern, David und Salome Spitzer, und mir, damals Erwin Spitzer, ist die Flucht Ende Dezember 1939 gelungen. Wir sind nach abenteuerlicher Reise mit Unterbrechungen im November 1940 als ,illegale Einwanderer‘ im damaligen Palästina gelandet und wurden sofort von den Engländern im Athlit-Lager interniert.

Meine neun Jahre ältere Schwester Hansi flüchtete in die Schweiz, wo sie ihren Verlobten Josua heiratete. Danach wanderten beide in die USA weiter. Dort sind sie inzwischen verstorben.

Die Verwandten meiner Mutter, die in Hütteldorf wohnten, konnten nach Schanghai flüchten. Bis zur Flucht wohnten wir in der Josefstädter Straße 32 auf Tür 9.

Die Brüder meines Vaters waren Bauern in Deintzendorf, Niederösterreich. Sie wurden dort geboren und sind erst nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien übersiedelt. Drei Schwestern, Lina, Franzi und Ida Spitzer, verheiratete Hager, wohnten zusammen in der Schönbrunner Straße. Der Bruder meines Vaters, Alois und seine Frau Fanni Spitzer wohnten in Ottakring. Paul, der Sohn von Alois, und seine Frau Anni Spitzer wohnten in der Josefstädter Straße 70. Alle meine Verwandten wurden verschleppt und umgebracht."