Artikel 17 der Urheberrechtsrichtlinie ist grundrechtswidrig
Der umstrittene Artikel 17 der EU-Urheberrechtslinie ist laut einem Gutachten im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion nicht mit den Grundrechten vereinbar. Er breche sogar zwangsweise die Versprechen von CDU und SPD, keine Uploadfilter einzuführen. Auch mit Geoblocking sei zu rechnen.
by Stefan KremplDie europäischen Gesetzgebungsgremien haben mit dem Beschluss der heftig umstrittenen neuen Urheberrechtsrichtlinie die Auswirkungen auf die Grundrechte der Nutzer und der Diensteanbieter nicht hinreichend beachtet. Zu diesem Schluss kommt der Göttinger Multimedia- und Telekommunikationsrechtler Gerald Spindler in einem Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen. Kernbestandteile der Vorschriften seien daher europarechtswidrig und dürften vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt werden.
Laut der am 31. Januar veröffentlichten Analyse gehen die Pflichten aus Artikel 17, der früher die Nummer 13 trug und als wichtigster Bestandteil der Reform gilt, deutlich zu weit. Plattformen "für das Teilen von Online-Inhalten" wie Youtube, Facebook oder Twitter müssen demnach etwa durch eine Lizenzvereinbarung die Erlaubnis von allen erdenklichen Rechteinhabern einholen, wenn Nutzer bei ihnen urheberrechtlich geschützten Werke hochladen. Dies stellt einen Paradigmenwechsel im Haftungsregime für die betroffenen Diensteanbieter dar, da sie bislang nicht sofort für Rechtsverletzungen durch Dritte verantwortlich waren.
Die breite Auflage, Lizenzen einzuholen, führt laut Spindler "zu einer allgemeinen proaktiven Kontrolle aller Inhalte auf einer Plattform". Um einer Haftung zu entgehen, müssten die Betreiber "alle Anstrengungen" unternommen haben, um eine Veröffentlichungserlaubnis zu erhalten. Damit sei es für sie unerlässlich, zunächst sämtliche Inhalte darauf hin zu überprüfen, ob sie urheberrechtlich geschützt und möglicherweise bereits lizenziert seien. Erst danach könne es um den Schritt gehen, gegebenenfalls eine Lizenz anzufragen.
Versprechen der CDU nicht haltbar
Ein solches unbegrenztes Durchleuchten sämtlicher Beiträge schon beim Upload steht laut dem Gutachter in Widerspruch zu dem vom EuGH grundrechtlich abgeleiteten Verbot einer allgemeinen aktiven Überwachungspflicht. Die erforderliche Praxis verstößt demnach gegen die EU-Grundrechtecharta. Europarechtskonform könne der Artikel gar nicht ausgelegt werden, kritisiert der Jurist das Ergebnis der Verhandlungen zwischen EU-Parlamentarier, der Kommission und dem Ministerrat scharf. Ein Mitgliedsstaat, der hier in Eigenregie nachzubessern suche, stehe "nicht im Einklang mit Wortlaut und Systematik" von Artikel 17.
Aus dieser Erkenntnis leitet Spindler zugleich ab, dass ein generelles Verbot von Uploadfiltern bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie nicht einführbar sei. Vieles spreche dafür, dass angesichts der geforderten branchenüblichen und hohen Standards die Verfahren zur Kontrolle von Inhalten "automatisiert erfolgen können - und folglich nicht durch den umsetzenden Mitgliedstaat ausgeschlossen werden" dürften.
Allenfalls sei es national möglich, kleinere oder finanzschwache Startups im Einzelfall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von der Pflicht zu Uploadfiltern auszunehmen, führt der Rechtswissenschaftler auf 77 Seiten aus. Diese seien sonst "mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert" und es würden neue Marktzutrittsschranken errichtet. Denkbar sei es auch, bestimmte Nutzer, die in der Vergangenheit keine Rechtsverletzungen begangen haben, als "Trusted Uploader" anzusehen und sie von vornherein nicht dem Filterregime zu unterwerfen. Ferner könnten etwa Inhalte gekennzeichnet werden, die unter verbriefte Nutzerrechte wie Zitate oder Memes fielen und nicht automatisiert entfernt werden dürfen.
Geoblocking droht
Die exklusiven Rechte der Verwerter können der Untersuchung zufolge aber nicht durch "Bagatellgrenzen" etwa für kurze Videosequenzen pauschal ausgehebelt werden, selbst wenn solche Schnipsel in Remixen vergütet werden. Spindler erteilt damit den Versprechen der Bundesregierung und insbesondere der CDU eine klare Absage, dass die Vorgaben so umgesetzt werden könnten, dass es keine Uploadfilter geben werde. Im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD auch klar vereinbart, dass sie den Einsatz solcher Instrumente als unverhältnismäßig ablehnen.
Spindler legt auch dar, dass die Richtlinie "aller Wahrscheinlichkeit nach ein Geoblocking durch die Diensteanbieter" nach sich ziehen werde. Nur so könnten diese nationale Interpretationen der Vorgaben befolgen. Die Chancen der Kommission, durch die vorgesehenen Leitlinien für Artikel 17 "eine EU-weite einheitliche Ausgestaltung" der nationalen Umsetzungen hinzubekommen, seien nicht sehr hoch.
Grundsätzlich sieht der Jurist mit der Richtlinie die Situation der Rechteinhaber gestärkt. Diese profitierten am meisten davon, wenn Plattformen künftig im großen Stil Lizenzen erwerben müssten. Voraussetzung dafür sei aber eben, dass Artikel 17 vor dem EuGH Bestand habe. Polen hat im Mai bei dem Luxemburger Gericht bereits Klage gegen die Novelle eingereicht. Zudem müssten die Mitgliedsstaaten darauf achten, dass nicht nur die Verwerter an den Regelungen verdienten, sondern auch die Urheber.
Quadratur des Kreises nötig
Uneingeschränkt begrüßt Spindler die europaweit erstmaligen "zwingenden Vorschriften für das Urhebervertragsrecht", wonach Werkschöpfer angemessen vergütet werden müssten. Auch die Option für die Mitgliedsstaaten, erweiterte Kollektivlizenzen mit pauschalen Vergütungsansprüchen etwa in Form einer verpflichtenden "Musik-Flatrate" einzuführen und so die Urheber stärker an wirtschaftlichen Verwertungen von Werken im Internet zu beteiligen, stelle einen "gewichtigen Fortschritt dar".
Die netzpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, sieht die Bundesregierung gefordert, zu zeigen, wie sie die "Quadratur des Kreises" mit einem Nein zu Uploadfiltern noch hinbekommen wolle. Generell stehe mit den aufgeworfenen starken Zweifeln an der Vereinbarkeit von Artikel 17 mit EU-Grundrechten "die ganze nationale Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie auf der Kippe".
Die ebenfalls mit der Reform verknüpfte "gute Botschaft für Kreative", mehr Geld etwa von Youtube zu bekommen, stehe unter dem aufgezeigten "Damoklesschwert", ergänzte der grüne Kulturpolitiker Erhard Grundl: "Die Bundesregierung muss das jetzt klären." Die Fraktion hat für den 6. Februar zu einem Fachgespräch geladen, um das Gutachten und das weitere nationale Vorgehen öffentlich breit zu diskutieren.