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London feiert den Brexit – zu Füßen Winston Churchills, dem Taufpaten der europäischen Einigung.© (c) PA Wire
Unsicherheit

Der Status von Bittstellern

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Mit dem Brexit ist die Unsicherheit für die Bürger anderer EU-Staaten noch lange nicht zu Ende – im Gegenteil.

Am Ende der Übergangsfrist in elf Monaten ist es soweit: Mit dem Austritt aus dem Binnenmarkt endet die Personenfreizügigkeit, EU-Bürger dürfen sich dann nicht mehr automatisch auch im Vereinigten Königreich niederlassen. So weit, so eindeutig. Wie aber sieht die Zukunft der mindestens 3,6 Millionen Bürger anderer EU-Staaten aus, die bislang auf der Insel leben? Diese Frage gehört zu den zahlreichen Ungewissheiten im künftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union.

Die als übermäßig empfundene Zuwanderung gehörte zu den Hauptfaktoren für die Brexit-Entscheidung im Juni 2016. Seither haben die konservativen Regierungen von Theresa May und ihrem Nachfolger Boris Johnson stets das Bleiberecht der Betroffenen betont. Allerdings passen Worte und Taten nicht zusammen. Ausdrücklich lehnte die Regierung diesen Monat im Gesetzgebungsverfahren über den Austrittsvertrag eine Initiative des Oberhauses ab, die den EU-Bürgern dauerhaftes Bleiberecht und ein entsprechendes Dokument zugesichert hätte.

Stattdessen befinden sich zugewanderte Ärztinnen aus Finnland und deutsche Krankenpfleger, Klempner aus Polen und italienische Journalistinnen im Status von Bittstellern. Eine App des zuständigen Innenministeriums, dem „Home Office“, ermöglicht all jenen, die mindestens fünf Jahre im Land sind, den kostenlosen Antrag auf Dauerstatus – „settled status“ genannt. Wer nur eine kürzere Verweildauer nachweisen kann, darf sich um eine vorläufige Genehmigung, den „pre-settled status“, bewerben. Die ursprünglich vorgesehene Gebühr von 65 Pfund wurde nach lautstarkem Protest abgeschafft. Dafür gibt es eine Frist: Wer bis 30. Juni 2021 keine Bewerbung abgegeben hat, läuft Gefahr, sein Aufenthaltsrecht zu verlieren.

Viele erfolgreiche Anträge

Selbstkritische EU

Als Lehre aus dem Brexitwill sich die Europäische Union mehr um die Unterstützung ihrer Bürger bemühen. Der Wert des Projekts im Alltag müsse viel deutlicher werden, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Freitag wenige Stunden vor dem britischen Austritt. Die EU müsse beweisen, dass sie etwas zustande bringe.

Gemeinsam mitEU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Parlamentspräsident David Sassoli bekräftigte Michel das Bedauern über den britischen EU-Austritt nach fast 50 Jahren. Gleichwohl betonten alle drei Präsidenten auch das Selbstbewusstsein der EU. „Die Geschichte ist hier nicht zu Ende“, sagte Sassoli. Kein einzelner Staat könne Herausforderungen wie die Digitalisierung oder den Klimawandel alleine so gut bewältigen wie gemeinsam. Von der Leyen sagte, die EU sei zwar viel kritisiert worden, aber in langen Linien betrachtet sei die europäische Einigung in den 75 Jahren seit Kriegsende sehr erfolgreich gewesen. (dpa)

In regelmäßigem Abstand trompeten die Bürokraten neue Erfolgsmeldungen ins Land: Inzwischen haben 2,8 Millionen Menschen erfolgreich den Antrag gestellt, lediglich eine Hand voll wurde wegen unklarer Angaben oder Vorstrafen abgelehnt, so das Home Office, das allerdings im Ruf steht, ein Hort katastrophaler Schlamperei zu sein.

Der politische Geograf Kuba Jablonowski von der Uni Exeter ist den Zahlen des Home Office sowie des Statistikamtes ONS auf den Grund gegangen. Dem ONS zufolge lebten Ende 2018 3,64 Millionen EU27-Bürger im Vereinigten Königreich. Da es auf der Insel keine Meldepflicht gibt, handelt es sich lediglich um eine Schätzung – „und die statistische Ungenauigkeit liegt bei 92 000“, hat Jablonowski errechnet. Schon ist von einem neuen Windrush-Skandal die Rede: Unter der damaligen Innenministerin Theresa May hatte das Home Office Hunderte völlig legal in Großbritannien lebende Einwanderer aus der Karibik ausgewiesen, weil diese keine Papiere vorweisen konnten.

Lobby-Gruppen wie „The 3 Million“ machen sich deshalb Sorgen darüber, dass das jetzige System den erfolgreichen Bewerbern keinerlei Dokument aushändigt, sondern ihren Status lediglich elektronisch bestätigt. Dadurch würden zukünftige Probleme in der Gesundheitsversorgung und bei der Wohnungssuche heraufbeschworen.

Jablonowski kritisiert die mangelnde Transparenz des Ministeriums. Obwohl Forschungen zufolge an die 70 Prozent der EU-Bürger länger als fünf Jahre im Land leben, erhielten in manchen Monaten lediglich 56 Prozent der Antragsteller den ihnen eigentlich zustehenden Dauerstatus.

Zu den Enttäuschten zählte auch der Promi-Koch Damian Wawrzyniak. Dem Polen gewährte das Ministerium zunächst nur die vorläufige Genehmigung, obwohl er seit 15 Jahren in London lebt, arbeitet und Steuern zahlt. Als sein Fall bekannt wurde, revidierte das Home Office schnell seine Entscheidung. Darüber ärgert sich Warzyniak weniger als über das System insgesamt: „Dass ich überhaupt meine Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft unter Beweis stellen muss, finde ich furchtbar.“ 

Während viele Großbritannien hinterhertrauern, verhehlt man in Frankreich die Erleichterung über den Brexit nicht.