Wirtschaftswissenschaften

Umverteilung von unten nach oben: Unternehmen profitieren stärker als Mitarbeiter

Ökonomen zeigen: Der Produktionsanstieg hat sich stark abgeflacht, die Aktienkurse sind umso stärker gestiegen. Der scheinbare Widerspruch hat eine einfache Erklärung.

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Produktion von Elektromotoren

Unternehmen halten sich immer bei Produktion und Lohn zurück und werden damit an den Märkten erfolgreicher.(Foto: dpa)

Frankfurt. Das geflügelte Wort „Weniger ist mehr“ gilt offenbar auch für Unternehmen, die ihren Aktionären eine Freude machen wollen oder müssen. Wenn sie weniger zusätzlich produzieren, steigt der Wert ihrer Aktien schneller, als wenn sie die Produktion kräftig ausweiten.

Das jedenfalls ist das eindrucksvolle Ergebnis einer Studie von drei Ökonomen der US-Universitäten MIT, New York und Berkeley. Daniel Greenwald, Martin Lettau und Sydney Ludvigson haben untersucht, welche Faktoren in den beiden Perioden 1952 bis 1988 und 1989 bis 2017 den Börsenwert amerikanischer Aktiengesellschaften nach oben getrieben haben.

Ihr Ergebnis zeigt einen bemerkenswerten Wandel und weckt Zweifel an der gängigen Theorie, wonach der Wert von Unternehmen dann steigt, wenn sie besonders viel von dem produzieren, was die Nachfrager haben wollen. In der früheren Periode waren die Produktionssteigerungen hoch und der Anstieg der Aktienwerte gering. In der zweiten Periode wurde die Produktion viel weniger ausgeweitet, aber die Börsenwerte der Unternehmen schossen nach oben.

In Zahlen ausgedrückt: In den 29 Jahren von 1959 bis Ende 1988 stieg die Wertschöpfung aller US-Unternehmen außerhalb des Finanzgewerbes inflationsbereinigt um 4,5 Prozent pro Jahr, in den folgenden 29 Jahren nur noch um 2,5 Prozent. Der Börsenwert all dieser Unternehmen stieg jedoch in der aktuelleren Periode mit 8,4 Prozent pro Jahr fast doppelt so stark wie in der früheren mit 4,5 Prozent.

Die drei Ökonomen machten sich mit einem statistischen Modell daran, zu identifizieren, was für diese unterschiedliche Kursentwicklung verantwortlich war. Sie stellten fest, dass die Wertsteigerungen der Unternehmen bis 1988 zu 92 Prozent mit einer steigenden Wertschöpfung der Unternehmen korrelierten.

In den letzten knapp drei Jahrzehnten dagegen ging – im statistischen Sinne – nur noch ein Viertel des zusätzlichen Unternehmenswertes auf eine höhere Wertschöpfung zurück. Mehr als die Hälfte des Wertzuwachses wurde durch Umverteilung ökonomischer Renten „geschaffen“. Zu Deutsch: Die Konsumenten mussten höhere Margen der Unternehmen finanzieren, die Arbeitnehmer bekamen einen geringeren Anteil an der Wertschöpfung ihrer Unternehmen. Jeweils elf weitere Prozent der Wertsteigerung gingen auf zwei weitere Faktoren zurück.

Börsenhype für Wertsteigerung mitverantwortlich

Da waren zum einen die niedrigeren Zinsen, die den Gegenwartswert erwarteter zukünftiger Gewinne erhöhen, und zum anderen eine gesunkene „Risikoprämie“ von Aktien, umgangssprachlich auch als größerer Hype bekannt.

Gerade der letzte Faktor könnte Sorgenfalten bei Aktienanlegern hervorrufen. Denn die hohen Wertsteigerungen bei gleichzeitig schwacher Wirtschaftsentwicklung haben die Relationen von Börsenwert und verschiedenen realwirtschaftlichen Kenngrößen auf historisch sehr hohe Werte anschwellen lassen. So ist die Relation von Börsenwert zu Wertschöpfung der Unternehmen sogar noch etwas höher als kurz vor dem Platzen der New-Economy-Aktienblase im Jahr 2000.

Auch das Verhältnis von Börsenwert und Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist nahe dem damaligen Höchstwert. Ein Zwischenhoch bei diesen Relationen gab es 2007, kurz bevor die Subprime-Blase platzte.

Zwar hoch, aber weniger extrem ist das Verhältnis von Börsenwert zu Nachsteuergewinnen. Das deutet darauf hin, dass ein Börsenhype eine relativ geringere Bedeutung hat für die New-Economy-Blase und für die Faktoren, die den Gewinn nach oben treiben, eine höhere. Allerdings ist auch diese Relation, lässt man die Dotcom-Periode weg, nahe dem Höchststand von 2007.

Die Ergebnisse von Greenwald, Lettau und Ludvigson passen zu einer jüngeren wissenschaftlichen Literatur, die einen starken Anstieg der Gewinnmargen großer Kapitalgesellschaften vor allem in den USA, aber auch in Europa, dokumentiert. Der Kontrast von kräftigem Gewinnanstieg und schwacher Wirtschaftsentwicklung kann erklären helfen, warum die Unternehmen trotz der hohen Gewinne und niedrigen Zinsen wenig investieren.

Schon seit den frühen Neunzigerjahren gibt es in allen großen Industrieländern die Entwicklung, dass die Gewinne der Unternehmen stark steigen und diese ihre höheren Einnahmen zum großen Teil im Unternehmen behalten.

Große Konzerne als Treiber

Die Weltbank Ökonominnen Mai Chi Dao und Chiara Maggi haben mit dem Aufsatz „The Rise in Corporate Saving and Cash Holding in Advanced Economies“ gezeigt, dass Treiber dieser für die Lehrbuchökonomie rätselhaften Entwicklung vor allem die größten Konzerne sind. Deren Gewinne seien unter anderem wegen sinkender Steuerlast, sinkenden Zinsausgaben und einer sinkenden Lohnquote gestiegen.

Da die Kapitaleinkommen viel stärker konzentriert sind als die Arbeitseinkommen, und die Sparquote der Reichen hoch ist, sei nicht erstaunlich, dass die Nachfrage der Haushalte eher lahmte. Bei geringer Nachfrage sind typischerweise auch die Investitionen gering.

Ein illustres Forscherteam, darunter David Autor, John Van Reenen und Lawrence Katz, hat kräftige Indizien für die These vorgelegt, dass die zunehmende Marktmacht weniger Superstarunternehmen, vor allem in den USA, zu steigenden monopolistischen Gewinnen führt und im Gegenzug den Anteil der Arbeitnehmer an der Wertschöpfung drückt. Im Aufsatz „The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms“, der demnächst im renommierten „Quarterly Journal of Economics“ erscheint, zeigen sie, dass wenige große Unternehmen mit hohen Gewinnquoten immer größere Marktanteile auf sich vereinen.

Sie verdrängen andere Unternehmen, in denen den Beschäftigten ein höherer Anteil an der Wertschöpfung zufließt. Je stärker in einer Branche die Konzentration der Marktanteile zunimmt, desto stärker geht die Lohnquote zurück, weisen sie nach.

Die Digitalisierung kann das recht gut erklären, denn sie macht es leichter, eine globale Marktdominanz zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Vorteile der Massenproduktion in der digitalen Wirtschaft besonders groß sind. Einem weiteren Kunden ein bereits entwickeltes Programm zu verkaufen bedeutet kaum zusätzliche Kosten.

Traditionell haben Branchen und Unternehmen mit hohen Gewinnen je Arbeitnehmer auch besonders hohe Löhne bezahlt. Das wirkte früher dem Absinken der Lohnquote in solchen Branchen und Unternehmen entgegen. Weil die Unternehmen aber zunehmend die arbeitsintensiven Tätigkeiten an Zulieferer im billigen Ausland auslagerten, Zeitarbeitsfirmen nutzten oder Werkverträge mit Selbstständigen abschlössen, schafften sie es, den früher üblichen Lohnauftrieb auf eine relativ kleine Kernbelegschaft zu begrenzen.

Wenn die großen Kapitalgesellschaften tatsächlich zunehmend ihren Unternehmenswert durch monopolistische Angebotszurückhaltung und andere Formen der Umverteilung mehren, stehen ihre hohen Bewertungen am Aktienmarkt möglicherweise auf tönernen Füßen. Denn Umverteilung von unten nach oben, und damit auch das so getriebene Gewinnwachstum, stoßen früher oder später an Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz. Nicht von ungefähr müssen sich die großen Konzerne der US-Digitalwirtschaft in jüngster Zeit ungewohnt heftiger Angriffe von Politik und Justiz erwehren.

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