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Die Briten kehren
der EU den Rücken

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Nach fast fünf Jahrzehnten Mitgliedschaft verlässt Großbritannien an diesem Freitag die Europäische Union - als erstes Land in der Geschichte der europäischen Staatengemeinschaft. Während die britischen Austrittsbefürworter ihren Auszug aus dem EU-Parlament in Brüssel mit Dudelsack und Union Jack zelebrierten, warnten die EU-Spitzen vor Alleingängen.

Der britische Premierminister Boris Johnson gab sich versöhnlich und versprach, sein über den EU-Austritt gespaltenes Land zu einen. Wenn um 23.00 Uhr (Ortszeit, 00.00 Uhr MEZ) der Brexit in Kraft tritt, enden drei Jahre zäher Verhandlungen zwischen Brüssel und London, aber auch 47 Jahre einer turbulenten Beziehung zwischen den britischen Inseln und dem Kontinent. Wie gespalten die Briten auf die EU-Mitgliedschaft blickten, zeigte sich beim Brexit-Referendum im Juni 2016: 52 Prozent der Briten stimmten damals für einen Austritt, 48 Prozent für einen Verbleib in der EU.

Anders als die Abgeordneten der Brexit Party, die das EU-Parlament jubelnd verließen, wollte die britische Regierung den historischen Tag ohne viel Aufhebens begehen. Offizielle Feiern sollte es mit Blick auf die zahlreichen Brexit-Gegner im Land nicht geben. Nach einer Ansprache Johnsons an die Nation, die um 22.00 Uhr (Ortszeit) im Fernsehen übertragen werden sollte, war in der Downing Street lediglich ein Empfang mit anschließender Lichtershow geplant.

Demos von beiden Seiten vorgesehen

Demonstrationen waren sowohl vonseiten der Brexit-Befürworter als auch der Brexit-Gegner vorgesehen. Der Gründer der Brexit Party, Nigel Farage, kündigte eine Massenkundgebung in der Nähe des britischen Parlaments an. Pro-europäische Gruppen wollten landesweit Nachtwachen abhalten.

In seiner im Voraus verbreiteten Botschaft zum Brexit richtete sich Johnson an beide Seiten. "Unsere Aufgabe als Regierung ist es, dieses Land zusammen- und uns voranzubringen", betonte der Brexit-Befürworter. Der EU-Austritt Großbritanniens sei "kein Ende, sondern ein Anfang".

Für eine Sondersitzung seines Kabinetts am Freitag wählte Johnson den symbolträchtigen nordenglischen Ort Sunderland. In dem Wahlkreis hatte eine deutliche Mehrheit von 61 Prozent für den Brexit votiert.

Brexit-Termin für Mahnungen genutzt

Ranghohe EU-Vertreter nutzten den Brexit-Termin für Mahnungen. Für Europa beginne nun eine "neue Ära", erklärten Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli in einer gemeinsamen Erklärung. Der EU-Austritt Großbritanniens lehre, dass Europa seinen Bürgern künftig "täglich seinen Mehrwert" unter Beweis stellen müsse, sagte Michel.

Von der Leyen betonte, dass Stärke nicht in außenpolitischer "Isolation" liege, "sondern in unserer einmaligen Union". Die EU strebe eine gute Nachbarschaft mit Großbritannien an, betonte von der Leyen. Es sei aber auch klar, dass ein Land, das nicht mehr EU-Mitglied sei, nicht denselben Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben könne wie ein Mitglied.

Mit dem vollzogenen Brexit beginnt eine Übergangsphase, in der Großbritannien Mitglied der Zollunion und im EU-Binnenmarkt bleibt. Die Regierung in London hat nun elf Monate Zeit, um mit Brüssel ein Kooperationsabkommen auszuhandeln.

Am Montag stellt Johnson seine Ideen für ein solches Abkommen vor. Aus Brüssel kamen allerdings bereits Warnungen, wonach Johnson seine ehrgeizigen Forderungen abmildern oder eine Verlängerung der Übergangsperiode beantragen müsse. Letztes hat Johnson nachdrücklich ausgeschlossen.

47 Jahre lang Teil der Union

Das Vereinigte Königreich gehörte 47 Jahre der EU bzw. ihren Vorläuferorganisationen an, stand ihr aber oft kritisch gegenüber, vor allem der Bürokratie in Brüssel. Das Land steht für 15 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung, gibt am meisten für die Sicherheit aus und hat mit London das mit Abstand größte Finanzzentrum. Die EU werde schwächer sein ohne Großbritannien, räumte der irische Außenminister Simon Coveney ein. Weil künftig der finanzielle Beitrag der Briten fehlt, dürften die Verhandlungen über das EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 besonders schwierig werden. Andere Länder müssen die Löcher nun stopfen.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will die Unabhängigkeit Schottlands nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs noch stärker vorantreiben. Ihre Partei sei bereit, ihre Unabhängigkeitskampagne noch einmal zu verstärken, das Budget dafür solle im laufenden Jahr verdoppelt werden, sagte sie am Freitag in Edinburgh. Die Trauer über den Brexit werde in Schottland "mit Wut gefärbt" sein. Ein unabhängiges Schottland hätte eine "andere, bessere" Zukunft vor sich, so die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP). "Unsere Aufgabe ist es, eine Mehrheit der Menschen in Schottland davon zu überzeugen." In Schottland hatte beim Brexit-Referendum 2016 - ebenso wie in Nordirland - eine Mehrheit gegen den EU-Austritt gestimmt.