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Gastkommentar von Martin Lück: Im Kampf gegen Brüsseler Bürokratie werden die ausgebufften Briten fehlen

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Für Deutschland ist der Austritt Großbritanniens unerfreulich, sowohl ökonomisch als auch politisch, sagt Chef-Anlagestratege Dr. Martin Lück von Blackrock. Für deutsche Unternehmen bestehe derzeit aber kein Grund zur Panik, auch wenn das Brexit-Thema noch lange nicht erledigt ist.

Um Mitternacht mitteleuropäischer Zeit wird das Vereinigte Königreich die EU verlassen. Damit ist der 31. Januar 2020 ohne Wenn und Aber ein historischer Moment. Denn es ist nicht nur das erste Mal, dass überhaupt ein Mitgliedsland aus der EU austritt, sondern es ist auch nicht irgendeines, sondern die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas.

Über Dr. Martin Lück

Martin Lück hat die neu geschaffene Position des Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich und Osteuropa bei BlackRock inne. In dieser Funktion verantwortet er das makroökonomische Research und die Investment-Einschätzungen in der Region. Als zentraler Ansprechpartner für Kunden versorgt er Finanzberater, Privatbanken und institutionelle Investoren mit Informationen zu volkswirtschaftlichen und Markt-Themen.

Für Deutschland ist der Brexit unerfreulich, sowohl ökonomisch als auch politisch. Das Vereinigte Königreich ist einer der wichtigsten Exportmärkte deutscher Unternehmen und damit wirtschaftlich relevant. Noch wichtiger aber ist Britannien für Deutschland bisher in politischer Hinsicht gewesen. Denn das Vereinigte Königreich, das sich in EU-Verhandlungen seit dem Beitritt 1973 immer wieder als sperriger Partner erwiesen hat, bildete gemeinsam mit Deutschland und anderen nordeuropäisch geprägten Ländern das Gegengewicht zu den Südeuropäern und Frankreich.

Diese Balance gerät jetzt zur Schieflage. Zwar zeichnet sich auf Initiative des niederländischen Finanzministers schon eine engere Abstimmung der Nordländer unter dem griffigen Slogan „Hanse 2.0“ ab, deren Mitglieder ohne Deutschland auf über 90 Prozent des britischen BIP kommen würden, aber Gewicht, Bedeutung und – ja, durchaus auch – Chuzpe britischer Verhandler wird in Zukunft fehlen. Gerade Vertreter der Bundesregierung dürften künftig spüren, dass im Kampf gegen Brüsseler Bürokratie die ausgebufften Briten an ihrer Seite nicht mehr dabei sind.

Für deutsche Unternehmen besteht kein Grund zur Panik

Während sich das politische Vakuum, das die Briten mit dem Brexit hinterlassen, relativ schnell bemerkbar machen dürfte, können deutsche Unternehmen, die direkt oder indirekt vom Brexit betroffen sind, den 31. Januar vorübergehen lassen, ohne in Panik zu verfallen. Denn am 1. Februar ändert sich dank der Übergangsfrist zunächst einmal gar nichts. Alle Regeln des Binnenmarktes bleiben in Kraft, das heißt neben der Freiheit des Güter- und Dienstleistungsverkehrs auch die Kapital- und Personenfreiheit. Das Vereinigte Königreich wird weiterhin, obwohl formal nicht mehr EU-Mitglied, alle EU-Regeln entsprechend umsetzen.

Die schlechte Nachricht lautet, dass diese Übergangszeit nur bis zum Jahresende gilt. Zwar sieht der Austrittsvertrag eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre vor, diese müsste jedoch bis zum 1. Juli beantragt werden und ist bereits jetzt per Gesetz von der Johnson-Regierung ausgeschlossen werden. Mit anderen Worten: Für die Aushandlung eines Freihandelsabkommens bleiben der EU und dem Vereinigten Königreich gerade mal elf Monate, und das inklusive Verabschiedung und Ratifizierung in den Mitgliedsländern.

Angesichts der Tatsache, dass CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, mehr als 10 Jahre bis zur endgültigen Verabschiedung gebraucht hat, der Handelsdeal zwischen dem südamerikanischen Mercosur und der EU sogar über 15 Jahre, sieht der post-Brexit-Zeitplan ambitioniert aus. Britische Unterhändler argumentieren, die Transatlantikabkommen seien kein Maßstab, weil sich EU und britische Seite schließlich seit Jahrzehnten gut kennen. Insofern sei ein Deal bis Jahresende sehr wohl machbar. Realistisch erscheint aber, dass zunächst nur ein Rumpfabkommen auf den Weg gebracht wird, etwa eines, dass massive Störungen des Güter- und Personenverkehrs nach dem 1. Januar 2021 verhindert, und das alles Weitere auf die längere Bank geschoben wird.

Anlagen in Pfund Sterling könnten unter Druck geraten

Dies hat eine ganze Reihe von Implikationen. Erstens: Die Unsicherheit, allen voran die Angst vor einem harten Brexit, ist keineswegs vom Tisch. Anlagen in Pfund Sterling wie etwa britische Akten oder Anleihen, die sich im Zuge des Johnson-Wahlsieges und der Verabschiedung des Austrittsabkommens massiv erholt hatten, könnten in der zweiten Jahreshälfte noch einmal unter Druck geraten. Auch nach dem Ablauf der Übergangsfrist dürfte die Unsicherheit anhalten.

Da die EU-Verhandler großes Interesse daran haben, die Servicefreiheit, vor allem bezüglich Finanzdienstleistungen, zunächst einmal aus einem eilig zusammengeschusterten Rumpfabkommen herauszuhalten, dürfte bezüglich dieses Sektors weiter Zurückhaltung herrschen. Möglicherweise werden weitere Finanzunternehmen dem Beispiel japanischer und US-Banken folgen, die bereits Personal, teilweise sogar ihre Europazentralen, von London auf den Kontinent verlagert haben, um einer drohenden jahrelangen Hängepartie vorzubeugen.

Die Folge könnte sein, dass der bisher kaum spürbare Bedeutungsverlust der Londoner City, den die britische Regierung mit dem Besiegeln des Brexit ganz aufzuhalten, vielleicht sogar umzukehren hofft, sich als hartnäckiger und dauerhafter herausstellt als vielerorts angekommen. Denn wenn die EU weiterhin ihre Reihen so geschlossen hält wie bisher, dürfte sie sich das Faustpfand der Dienstleistungsfreiheit im Finanzbereich nur für einen hohen Preis abkaufen lassen. Dies spricht für fortgesetzte Unsicherheit.

Brexit muss weh tun, sonst provoziert er Nachahmer

Drittens schließlich könnte sich die Hoffnung auf ein umfassendes und zügiges „Abkommen unter Freunden“ als Basis der künftigen Beziehungen zwischen EU und Vereinigtem Königreich als naiv erweisen. Die EU, deren Brexit-Verhandler um den knorrigen Franzosen Michel Barnier bisher einen Bombenjob abgeliefert haben, lassen nicht das geringste Interesse daran erkennen, die Briten zu günstig davonkommen zu lassen. Dies ist mehr als rational, denn gelingt den Briten eine erfolgreiche, vielleicht sogar gewinnbringende Loslösung von der EU, könnte dies anderen wankelmütigen Kandidaten als Blaupause dienen. Auch wenn der EU von britischer Seite immer wieder vorgeworfen wird, sie verhalte sich beleidigt wie eine verlassene Ehefrau, ist also diese Haltung genau richtig. Der Brexit muss weh tun, sonst provoziert er womöglich Nachahmer. Dies alles spricht nicht für ein baldiges Ende der Unsicherheit.

Unterm Strich ist das historische Datum 31. Januar 2020 also lediglich genau das: der pflichtschuldige Eintrag ins Geschichtsbuch. Die möglicherweise bedeutenderen Daten waren der 23. Januar 2013, an dem der damalige britische Premier David Cameron der Bevölkerung für den Fall seiner Wiederwahl ein EU-Referendum versprach, und natürlich der 23. Juni 2016, an dem eine durch die Lügen von Farage, Johnson & Co. indoktrinierte britische Bevölkerung sich mit hauchdünner Mehrheit gegen die EU entschied. Mit Blick nach vorn sollten wir uns vor allem darauf einstellen, dass mit Freitagabend der Brexit keineswegs erledigt ist. Mit der heißen Phase der Übergangszeit geht das Tauziehen erst richtig los.

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