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Albert Einstein (1879–1955) während eines Seminars, das er 1945 am Institute of Advanced Learning hielt.© Bettmann Archive / Getty

Die gekrümmte Zeit

Albert Einstein hat mit seiner Relativitätstheorie den bis dahin herrschenden Zeitbegriff gründlich über den Haufen geworfen. Eine praktische Lösung für Zeitreisen hat aber auch er nicht gefunden.

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Einmal hat man das Gefühl, dass sie gar nicht vergeht, dann wiederum zerrinnt sie einem zwischen den Fingern und man hat keine Ahnung, wo sie so schnell hingekommen ist – obwohl eine Stunde stets 60 Minuten und ein Tag 24 Stunden hat. Doch um dieses unterschiedliche Zeitempfinden wusste schon die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, die nach einem Text von Hugo von Hofmannsthal im 1. Akt der Oper "Der Rosenkavalier" von Richard Strauss so treffend sinniert: "[…] Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie: Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie, in meinen Schläfen fließt sie. Und zwischen mir und dir da fließt sie wieder. Lautlos, wie eine Sanduhr. O Quin-quin! Manchmal hör’ ich sie fließen unaufhaltsam. Manchmal steh’ ich auf, mitten in der Nacht und lass’ die Uhren alle stehen."

Von welchen Faktoren es abhängt, dass wir Zeit unterschiedlich wahrnehmen, dass wir ein Zeitgefühl entwickelt haben, das nicht mit der Angabe auf der Uhr übereinstimmen muss, damit beschäftigt sich die Psychologie. Aus der Perspektive der Philosophie ist die Zeit das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit in die Zukunft, man fragt nach dem Wesen der Zeit und gelangt so ganz schnell zu Fragen der Weltanschauung – und zu unserem Selbst: "Gegenwart ist die Zeit, in der wir leben, und von allem das wichtigste ist, was wir mit unserem gegenwärtigen Selbst tun. Denn das, was war, wird vom gegenwärtigen Selbst in die Zukunft gebracht; und was wir jetzt tun, ist entscheidend für morgen. Wenn Morgen Jetzt ist, wird Heute Gestern sein. Wenn wir am Schema unseres Gefühlsverhaltens nichts ändern, wird Morgen wie Gestern sein in nahezu allem, mit Ausnahme des Datums. Die Vergangenheit ist Geschichte, das Künftige nur Vermutung; das Heute und Jetzt macht beide zu dem, was sie sind." Diese Erkenntnis stammt von Moshe Feldenkrais, Wissenschafter, Kampfsportler und Begründer der Feldenkrais-Methode, einer besonderen Bewegungslehre; nachzulesen ist sie im Vorwort seines Buches "Das starke Selbst. Anleitung zur Spontaneität" aus dem Suhrkamp-Verlag 1992.

Ein neues Zeitkonzept
Mit weltanschaulichen Diskussionen hielt man sich in der Physik in Sachen Zeit nicht auf, gilt sie in dieser naturwissenschaftlichen Disziplin doch als eine grundlegende physikalische Größe, die die Abfolge von Ereignissen beschreibt und damit eine eindeutige, unumkehrbare Richtung hat: von der Vergangenheit, die wir erforschen können, über die Gegenwart, die wir gerade erleben, in die Zukunft, die offen ist. Sie ist ein zentraler, messtechnisch erfassbarer Parameter, sie verläuft seit dem Urknall immer gleich schnell und ist damit ein universeller Maßstab. Zumindest dachte man das so lange, bis jemand die Überlegung anstellte, dass es beim Urknall (oder davor) noch gar keine Zeit gab. Man entdeckte weiters, dass die Lichtgeschwindigkeit weder von der Geschwindigkeit der Lichtquelle noch vom Bewegungszustand des zu ihrer Messung verwendeten Empfängers abhängt, was die Grundlage für Albert Einsteins Relativitätstheorie (1905 die spezielle, 1915 die allgemeine) war. Sie besagt, dass es keine absolute Zeit gibt, sondern dass jeder Beobachter sein eigenes Zeitmaß besitzt und die Zeit lediglich ein gleichberechtigter Teil unseres physikalischen Modells zur Beschreibung des Universums ist. Er verknüpfte die Zeit mit der Dimension des Raumes zur "Raumzeit", die in vier gleichberechtigten Dimensionen, nämlich drei Raumrichtungen und der Zeit, unser Universum aufspannt. Diese Gleichberechtigung verdeutlichte Einstein anhand eines Beispiels: Wollen einander zwei Menschen treffen, ist es nötig, sowohl einen Ort als auch einen Zeitpunkt auszumachen. Hat man nur eine der beiden Angaben, wird wohl nichts aus dem Rendezvous – man braucht tatsächlich beides, um wirklich zur selben Zeit am selben Ort zu sein; ein Beweis, wie alltagstauglich dieser Teil der Relativitätstheorie, nämlich die Abhängigkeit von Raum und Zeit, ist.

Einstein stellte aber noch ein revolutionäres Postulat auf: Die Zeit vergeht nicht an allen Orten gleichmäßig schnell. Je schneller sich ein System, zum Beispiel ein fliegender Satellit bewegt, umso langsamer läuft dort die Zeit. Diesen Effekt kann man sogar in einem Flugzeug messen: Wenn man nach einem Rundflug wieder zu einer gleichzeitig messenden stationären Uhr zurückkommt, stellt man fest, dass die stationäre Uhr schon eine minimal spätere Zeit anzeigt, die Zeit im Flugzeug also langsamer vergeht. Der Unterschied ist zwar marginal, aber heutige Präzisionsmessungen, etwa für das Satellitennavigationssystem GPS, wären ohne die Berücksichtigung der Relativitätstheorie nicht möglich.

Der Traum von der Zeitreise
Eine Besonderheit gegenüber dem Raum hat die Zeit aber sehr wohl: Man kann sich in einem Raum vorwärts und rückwärts bewegen, doch man kann sich nicht rückwärts in der Zeit bewegen – vorwärts allerdings schon. Was die Frage nach der Möglichkeit von Zeitreisen aufwirft: Grundsätzlich erfüllen wir uns den Traum einer solchen, indem wir historische Romane lesen oder Bilder aus dem 16. oder 18. Jahrhundert betrachten und sehen, wie Landschaften, Orte oder Menschen damals ausgesehen haben (oder zumindest wie der Künstler die damalige Zeit gesehen hat, wenn er nicht gerade im Auftrag eines Herrschers dessen Porträt "verschönern" musste). Oder wir sehen, wie sich ein Regisseur die nahe oder ferne Zukunft vorstellt, wenn wir einen Science-Fiction-Film anschauen. Doch tatsächlich mittels einer Maschine in ein anderes Jahrhundert reisen? Eine Utopie, die erstmals der englische Historiker, Soziologe und Autor Herbert George Wells (besser bekannt als H. G. Wells) 1895 in seinem Roman "Die Zeitmaschine" beschrieben hat. Darin reist der Protagonist nicht nur in zwei Schritten weit in die Zukunft und dann wieder zurück in die Gegenwart, er beschreibt auch den Aufbau und die Funktion der Zeitmaschine äußerst plausibel. Dass der Roman in Wahrheit eine heftige Anklage gegen die zu Wells Zeit herrschende Klassengesellschaft war, wurde und wird jedoch gerne unter den Tisch gekehrt, vor allem was die Verfilmungen angeht.

Damit mussten sich Marty McFly (Michael J. Fox) und Dr. Emmett "Doc" Brown (Christopher Lloyd) in der Filmtrilogie "Zurück in die Zukunft" von Regisseur Robert Zemeckis nicht herumschlagen: Sie reisten einfach effektvoll und unterhaltsam mittels einer als Auto getarnten Zeitmaschine in die Zukunft und in die Vergangenheit, ohne auf Physik oder Politik Rücksicht zu nehmen. Und auch Dr. Who kurvt fröhlich durch die Weltgeschichte – mit Hilfe einer Telefonzelle.

Der Physiker Stephen Hawking meinte einst, dass Zeitreisen ein politisch inkorrektes Thema seien, da man nämlich einen Aufschrei der Öffentlichkeit riskiere, wenn man Forschungsgelder für etwas absolut Lächerliches verschwende. Doch die Wissenschaft lasse deshalb nicht von diesem Thema ab und verwende lediglich andere Begriffe dafür wie etwa "geschlossene zeitartige Kurve". Eine derartige Kurve kehrt zeitversetzt zu ihrem vierdimensionalen Anfang zurück, zugrunde liegt dem natürlich Einsteins Relativitätstheorie und seiner bereits erwähnten Erkenntnis, dass die Zeit unterschiedlich schnell vergeht, je nachdem, mit welcher Geschwindigkeit sich ein Mensch durch den Raum bewegt. Je näher die Geschwindigkeit also in Richtung Lichtgeschwindigkeit geht, desto langsamer vergeht daher etwa für einen Astronauten an Bord eines Raumschiffes die Zeit von der Erde aus betrachtet. "Reist der nun zu einem 500 Lichtjahre entfernten Stern und wieder zurück zur Erde mit zumindest 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, dann ist der Astronaut um zehn Jahre älter, die Erde dagegen um 1000 Jahre", beschreibt der US-Physiker im Magazin "Geo" eine Zeitreise in die Zukunft. Doch da laut Relativitätstheorie die Zeit wie eine Einbahnstraße verläuft, könnte der Astronaut gar nicht mehr zurückkehren.

Reise ohne Wiederkehr
Eine Reise in die Vergangenheit wirft ebenfalls Probleme auf: Laut Einstein wird die Raumzeit durch die Schwerkraft gekrümmt und zwar bis hin zu einer Singularität, das ist ein Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die Krümmung der Raumzeit quasi unendlich wird und Raum und Zeit damit aufhören zu existieren – der Physiker John Wheeler gab dieser extrem dichten Materieansammlung 1967 den Namen "Schwarzes Loch". Einstein und sein Schüler Nathan Rosen wollten zwar beweisen, dass Singularitäten nicht existieren können, das ist ihnen allerdings nicht gelungen. Dafür fanden sie heraus, dass sich zwei dieser Raumzeittrichter rein mathematisch quasi verbinden und so eine Brücke, die sogenannte Einstein-Rosen-Brücke, bilden können – das "Wurmloch" war geboren. Diesen Namen bekam das theoretische Gebilde 1957 von John Archibald Wheeler, der es mit einem Wurm verglich, der sich durch einen Apfel hindurchfrisst und damit zwei Seiten desselben Raumes (der Oberfläche) durch einen Tunnel verbindet. Ein solches Wurmloch macht sich übrigens das Raumschiff "Enterprise" aus dem "Star Trek"-Universum zunutze, um in die Vergangenheit zu reisen …
Doch Wurmlöcher sind nicht stabil, denn ihr kugelförmiger Eingang wäre dreidimensional, während der Tunnel vierdimensional wäre. Um ein Wurmloch zu stabilisieren und zu vergrößern, damit auch ein Mensch oder gar ein Raumschiff hindurchpasst, bedarf es jedoch einer riesigen Energiemenge, die auf kleinsten Raum zusammengepfercht werden müsste – und dazu ist unsere heutige Technologie nicht in der Lage. Aber rein mathematisch könnte es eine Zeitreise in die Vergangenheit ermöglichen, wenn eine Zeitschleife durch das Wurmloch führt. Allerdings wurde bisher kein Wurmloch im Kosmos gefunden.

Aber abgesehen davon gibt es ein weiteres Problem mit Zeitreisen in die Vergangenheit: Die Kausalität, ein Grundprinzip der Physik, könnte verletzt werden. Ein gutes Beispiel dazu findet man in "Zurück in die Zukunft": Martys Reise in die Vergangenheit führt ihn in die Zeit vor seiner Geburt – und prompt verliebt sich seine Mutter in ihn und nicht seinen künftigen Vater. Was aber würde passieren, wenn seine Mutter seinen Vater nicht heiraten und er dadurch nicht geboren werden würde? Diese "was wäre, wenn …"-Paradoxien werden jedoch von manchen Physikern abgestritten, sie meinen, dass egal was ein Zeitreisender unternimmt, er stets nur den Lauf der Ereignisse bestätigen könne – was wiederum den freien Willen des Menschen in Frage stellt. Da springt allerdings eine Interpretation der Quantenphysik ein, die von der Existenz unendlich vieler Paralleluniversen ausgeht, in denen sich die Ereignisse unterschiedlich entwickeln. So würden sich sowohl der ursprüngliche Ablauf der Dinge als auch der durch den Eingriff in die Vergangenheit veränderte Ablauf vollziehen. Der Zeitreisende würde dann aber nicht in die ursprüngliche Version der Gegenwart zurückkehren, sondern in eine Parallelwelt, die mit seiner ihm bisher bekannten aber nahezu ident wäre. Diese Viele-Welten-Theorie geht ursprünglich auf den US-amerikanischen Physiker Hugh Everett III. zurück und hat bis heute viele Anhänger.

Mit den Problemen von Zeitreisen hatte sich auch der österreichische Mathematiker Kurt Gödel beschäftigt. Er entdeckte 1949 im Rahmen einer neuen Lösung für Einsteins Gleichungen eine ebenso neue, im Rahmen der Relativitätstheorie erlaubte Raumzeit – ein Universum, das geschlossene Zeitlinien enthält. Und sein Universum rotiert relativ schnell. Damit wäre es rechnerisch möglich, dass ein Astronaut mit einem Raumschiff ins All aufbrechen und zur Erde zurückkehren könnte, bevor er sie überhaupt verlassen hat. Außerdem dehnt sich Gödels Universum nicht aus – seine Annahmen entsprechen daher zwar nicht der Welt, in der wir leben, aber in der Theorie erlauben sie Zeitreisen in die Vergangenheit. Damit besteht natürlich die Möglichkeit, dass jemand auf die jüngere Version seines Selbst trifft und mit dieser interagiert. Dass diese Interaktion keinen Einfluss auf die Gegenwart und die darin stattfindenden Ereignisse hat, lösten Physiker in den 1990er Jahre mit der Annahme eines in sich schlüssigen Universums und versinnbildlichten es mit dem Großvaterparadoxon: Es geht davon aus, dass man deshalb nicht in die Vergangenheit reisen könne, da man in diesem Fall seinen eigenen Großvater töten könnte und somit seine eigene Existenz verhindert hätte. Doch in einem schlüssigen Universum ist jede Handlung während einer Zeitreise in die Vergangenheit längst Bestandteil der Lebensgeschichte des Großvaters und daher ist es nicht möglich, diesen zu töten. Vereinfacht gesagt lautet die Frage: Wie kann man die Vergangenheit ändern, wenn sie doch schon geschehen ist?

Der derzeitige Stand der Wissenschaft scheint jedenfalls der zu sein, dass in der Theorie fast alles möglich ist, in der Praxis jedoch herzlich wenig. Aber Kopfakrobatik ist ja auch reizvoll und dank Literatur, Film und der eigenen Fantasie sind Zeitreisen im Kopf zum Glück keine Grenzen gesetzt