Brexit: Alles halb so wild?
Heute tritt Grossbritannien aus der Europäischen Union aus. Schon fast still und heimlich, wenn man den Tumult des vergangenen Jahres als Massstab nimmt. Die Schweizer Banken in Grossbritannien sind guten Mutes.
Nun ist es also so weit: die Untertanen ihrer Majestät treten heute Nacht aus der Europäischen Union aus. Erschöpft vom jahrelangen Gezerre zwischen zwei zunehmend verfeindeten Lagern sucht sich das Land nun neu zu positionieren – zwischen einem Europa, das seine Rolle in der Welt sucht und den USA, die unter Präsident Donald Trump nur noch auf den eigenen Vorteil bedacht sind.
Ob das gutgehen kann? Wenigstens hat die Regierung von Boris Johnson wieder ein stabiles Mandat, um seine Vorstellungen umzusetzen – anders als seine Vorgängerin Theresa May. Aber letztlich entscheidet der Gang der Wirtschaft, ob das Experiment «Unabhängigkeit» gelingt.
Ambitionierte Wachstumsziele
Und dafür legt die Regierung Johnson die Messlatte sehr hoch. Sajid Javid, der Schatzkanzler, möchte ein durchschnittliches Wachstum von 2,7 bis 2,8 Prozent erreichen.
Das könnte sich als Illusion erweisen, wie Sam Matthews und Gerit Heinz von der Deutschen Bank in einem diese Woche veröffentlichten Bericht schreiben: «Solch ambitionierte Ziele (…) müssen nicht nur den Aussichten für tiefes globales Wachstum standhalten, sondern auch Erwartungen, dass weniger einfache Handelsbeziehungen mit der EU, wie das Land sie bisher hatte, das Wachstum abschwächen werden.»
Vom Schlimmsten verschont?
Eine Rezession bleibt eine Möglichkeit, vor allem wenn die gegenwärtige Krise in China sich etwas in die Länge ziehen sollte und der weltweiten Erholung einen Schlag versetzt. Aber, wie Dean Turner, der verantwortliche Ökonom für Grossbritannien im Chief Investment Office der UBS, schon im August voraussagte, sind die Voraussetzungen für eine schnelle Erholung nicht so schlecht: «Das Vereinigte Königreich ist eine der flexibelsten Marktwirtschaften der Welt. Man darf deshalb annehmen, dass die erforderlichen Anpassungen an eine Rezession relativ schnell vonstatten gehen würden, sofern das politische Umfeld einigermassen stabil bleibt». Diese Aussage bezog sich auf einen harten Brexit und auf die politische Instabilität, die mit den Dezemberwahlen überwunden wurde.
Im Moment schaut es allerdings so aus, als ob das Land vom schlimmsten verschont bleiben könnte, und die jüngsten Unternehmensumfragen sind durchaus robust ausgefallen. Dies, und die Anzeichen einer globalen Erholung, haben die Bank of England bewogen, die Zinsen vorläufig unverändert zu belassen. Damit verbleibt dem neuen Zentralbankpräsidenten, Andrew Bailey, etwas Munition, sollte sich die Wirtschaftslage eintrüben.
Kontinuität im Europageschäft
Weniger schlimm als vielleicht von vielen befürchtet, dürften auch die Auswirkungen auf den Finanzplatz, respektive die dort aktiven Firmen, ausfallen. Schweizer Banken wie die UBS und Credit Suisse, welche beide bedeutende Abteilungen in London betreiben, haben über die vergangenen Jahre ihren Zugang zum europäischen Markt neu geregelt.
«Die Priorität der Credit Suisse war es, den Zugang zu den Kunden und Märkten in der Europäischen Union zu behalten, unabhängig vom Ausgang des Brexit Prozesses. Über die vergangenen drei Jahre haben wir unsere bestehenden Kapazitäten in Spanien, Deutschland und Luxemburg ausgebaut, um den Kunden Kontinuität bieten zu können», schreibt die Bank in einem Statement an finews.ch.
Wie stark ist der Londoner Finanzplatz?
Auch die UBS hat schon vor geraumer Zeit ihre Geschäfte, die auf einen Zugang zum EU-Markt angewiesen sind, mit der UBS Europe in Frankfurt fusioniert, um das EU-Banking unter allen Voraussetzungen weiter gewährleisten zu können.
Während also die Banken selber ihre Hausaufgaben gemacht haben, kommt auch London als Finanzmarkt in all diesen Überlegungen nicht zu kurz. «London bleibt auch nach dem Austritt Grossbritanniens aus der EU ein wesentlicher Bestandteil von Strategie und Fussabdruck der Bank», so die CS.
Privatbanken auf dem Sprung
Während die grossen Banken im Zuge des Brexit ihre Aktivitäten einer eingehenden Prüfung unterzogen haben und ihre Standorte auf dem Kontinent verstärkten, wagten verschiedene Privatbanken einen Ausbau in Grossbritannien. So zum Beispiel die Julius Baer. Unter Leitung von David Durlacher, dem CEO von Julius Baer International, bauen die Zürcher Banker ihre Präsenz vor allem ausserhalb Londons massiv aus. Städte wie Manchester, Leeds, Glasgow und Belfast stehen bei den Bären hoch im Kurs, da das industrielle Kernland Grossbritanniens dank der Pfundschwäche boomt, wie er vor einem guten Jahr gegenüber finews.ch erklärte.
Mirabaud, die Genfer Privatbank, hat ihrerseits im Januar bekanntgegeben, dass die Londoner Filiale für den nächsten Wachstumsschritt bereit ist. So hat die Bank zwei erfahrene Leute fürs Geschäft mit reichen Briten ins Team geholt. Von Zurückhaltung also keine Spur.