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Im Kampf gegen den Müll greift Tübingen zum Ökoinstrument: 50 Cent plus Mehrwertsteuer wird der Einwegkaffeebecher teurer. Da lohnt es sich den eigenen Becher mitzubringen. Die Stadt hofft, dass sich ein Mehrwegsystem durchsetzen wird.Foto: Michael Steinert
Ökoabgabe auf Wegwerfgeschirr

Verpackungssteuer in Tübingen kommt

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Als einzige Stadt in Deutschland wird Tübingen eine Abgabe auf Einwegverpackung erheben.

Tübingen - Die Tübinger haben genug vom Einwegmüll in ihrer Altstadt und werden als bundesweit erste Kommune eine Steuer auf Verpackungen einführen. Auf Coffee-to-go-Becher, Pizzakartons und Plastikteller wird eine Abgabe von 50 Cent fällig, für ein Besteckset müssen 20 Cent bezahlt werden. Allerdings gibt es eine Deckelung auf 1,50 Euro pro Menü. Die umstrittene Steuer tritt zum 1. Januar 2021 in Kraft.

Für den grünen Oberbürgermeister Boris Palmer ist der Beschluss des Gemeinderats wegweisend. „Die Wegwerfkultur in den Städten lebt davon, dass die Städte mit einem Millionenaufwand den Müll beseitigen. Damit ist in Tübingen jetzt Schluss: Wer Müll produziert, muss dafür bezahlen.“ Mittelfristig verspricht sich Palmer dank dem Öko-Lenkungsinstrument einen nachhaltigeren Konsum. „Ich bin mir sicher, dass die Verpackungssteuer umweltfreundliches Handeln befördern und Mehrwegsystemen zum Durchbruch verhelfen wird.“ Doch Palmer befürchtet Widerstand. „Ich rechne mit Klagen der Gegner“, letztlich müssten die Richter entscheiden, was erlaubt ist.

Für Märkte und Festen gilt die Regelung nicht

Mit einer deutlichen Mehrheit hat sich der Tübinger Gemeinderat am Donnerstagabend für die Steuer entschieden. Ausgenommen sind Verpackungen, die der Verkäufer zurücknimmt und dem Recycling zuführt. Auch auf Märkten oder Festen soll sie nicht gelten.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Land begrüßt den Beschluss. Er zeige, dass auch Kommunen selbst gegen die steigende Müllflut in Deutschland vorgehen könnten. Die Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender hält die Abgabe mit Blick auf den Klimaschutz für vorbildlich. „Der BUND drückt Tübingen die Daumen, dass der Beschluss eventuelle Klagen der Müllhersteller unbeschadet übersteht und dass möglichst viele Kommunen bundesweit dem Beispiel folgen.“

Tübinger Unternehmer halten die Tübinger Insellösung für falsch

Als existenzbedrohend sehen dagegen viele Tübinger Unternehmer die Verpackungssteuer. Betreiber von Imbissen, Cafés, Metzgereien oder Tankstellen halten die Tübinger Insellösung für den falschen Weg. Die Reutlinger Industrie- und Handelskammer (IHK) spricht sich gegen die geplante Steuer aus. „Tübingen hat sich für einen Sonderweg entschieden, bei dem noch viele Fragen im Detail ungeklärt sind.“ Eine „bedauerliche Entscheidung“, urteilt auch Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. Mit Blick auf die Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und die Umsetzung der EU-Einwegplastik-Richtlinie in deutsches Recht sei der „nachhaltige Mehrwert eines aufwendigen kommunalen Alleingangs bei dieser hoch komplexen Thematik kaum zu erkennen.“ Zudem sei die bürokratische Belastung der Gewerbetreibenden nicht zu rechtfertigen.

Für Palmer ist die Kritik nicht nachvollziehbar: Die Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie der Europäischen Union werde den Tübinger Weg nicht überflüssig machen. Brüssel ziele nur auf ein bestimmtes Kunststoffsegment, Tübingen gehe gegen den Verpackungsmüll insgesamt vor. Dessen Entsorgung koste die Kommune jährlich 700 000 Euro. Was die Einnahmen durch die Steuer betrifft, geht die Verwaltung von bis zu einer Million Euro im Jahr aus. Das Ziel sei es, möglichst wenig Steuern einzunehmen und ein gut funktionierendes Mehrweg- oder Pfandsystem zu etablieren.

Die McDonald’s-Franchisenehmerin kündigt mögliche Schließung der Filiale an

Die Franchise-Nehmerin von McDonald’s in Tübingen, Susanne Heppert, hat sich an den Petitionsausschuss des baden-württembergischen Landtags gewandt –mit der Bitte, Tübingen von der Steuer abzubringen. Aus wirtschaftlichen Gründen sei es sonst fraglich, ob sie die Filiale in der Unistadt im nächsten Jahr fortführen könne. OB Palmer sieht das gelassen. Die Steuer sei eine lokale Verbrauchssteuer der Kommune und der Landtag nicht zuständig. Außerdem könne sogar McDonald’s Mehrweg, wie ein Versuch in Berlin gezeigt habe. Dort testete die Filiale in der „Mall of Berlin“ versuchsweise nachhaltige Verpackungen.