Zwei Zeiger, die sich drehen
Alles wird digital, auch bei den Uhren gibt es nun Smartwatches, die allerlei können. Doch die analoge Uhr ist durch das bisschen Digital-Klimbim kaum zu beeindrucken.
by Matthias Greuling"Es ist kein großer Vorteil, einen lebhaften Geist zu haben, wenn er nicht auch richtig ist: Die Vollkommenheit einer Uhr beruht nicht auf ihrem raschen, sondern auf ihrem richtigen Gang", sagte einst der französische Philosoph Luc de Clapiers Vauvenargues (1715-1747), zu einer Zeit, da diese "Vollkommenheit" aus einem Räderwerk und präziser Aufziehvorrichtung bestand. Heute müsste Luc de Clapiers über sein Gedachtes wohl noch hinausdenken – denn die Uhr, die wir am Handgelenk tragen, hat sich in ihrer Perfektion mehrfach übertroffen.
Nützliche Dinge
Sie sagt uns nicht nur die Zeit an, sondern kann – im Falle einer digitalen Smartwatch – auch noch ganz viele andere nützliche Dinge tun. Sie kann unseren Herzschlag überwachen oder mit Bewegungssensoren unseren Sport messen. Sie kann Musik spielen, Fotos anzeigen, sich mit dem Handy verbinden – und das sind nur einige von tausenden Möglichkeiten, von denen viele noch nicht einmal erfunden sind. Die digitale Uhr am Handgelenk ist der Verkaufsschlager in Elektronikmärkten, der klassische Uhrmacher hat bald ausgedient. Bei einem Defekt schickt man seine Watch nämlich künftig an Apple zur Reparatur. Die Smartwatches füllen ganze Reihen an Ausstellungsfläche, nicht nur Apple mischt da mit, auch Samsung oder andere Hersteller von Kommunikationsgeräten. Vor der Einführung der Apple Watch im Jahr 2015 war der Markt überschaubar, seither wächst er rasant: Allein von 2018 bis 2019 beträgt das Wachstum 42 Prozent, in Zahlen wurden 2018 noch zehn Millionen Smartwatches verkauft, ein Jahr später bereits 14,2 Millionen. Knapp die Hälfte entfällt dabei auf die Apple Watch.
Analoge Uhren bleiben
Und doch: Trotz des talentierten Minicomputers am Handgelenk ist der Trend zur analogen Uhr, die lediglich die Zeit anzeigen kann und vielleicht noch das Datum, ungebrochen. Vor allem das Luxusuhren-Segment wächst zweistellig, vor allem in China, berichten Branchenkenner. Der weltweite Markt für Luxusuhren hat sich von 2012 mit 23 Milliarden US-Dollar bis heute auf stattliche 31 Milliarden Dollar vergrößert. Es scheint, als bliebe die Armbanduhr einer jener klassischen Gegenstände, die trotz ihrer Digitalisierung nicht an Popularität verlieren. Die Armbanduhr gehörte zu den wichtigsten Neuerungen des 20. Jahrhunderts, sie wurde wasserdicht und man ging damit auf den Grund des Meeres, konnte aber auch die Achttausender erklimmen. Ja sogar bis zum Mond hat sie es geschafft, an den Armen der Raumfahrer. Aber mit den Smartwatches und insbesondere mit der flächendeckenden Verbreitung der Smartphones sollte so ein Zeitmesser am Handgelenk eigentlich ziemlich altmodisch aussehen, oder? Was also macht die Armbanduhr im digitalen Zeitalter so beständig und populär?
Vom Militär zur Mode
Vor über 100 Jahren war die Armbanduhr zuallererst ein Accessoire der Frauen (Männer griffen lieber zu Taschenuhren). Es war der Erste Weltkrieg, der der Armbanduhr einen Popularitätsschub verpasste, denn im Schützengraben war die Uhr am Handgelenk wesentlich einfacher zu lesen als die Taschenver-sion. Armbanduhren wurden schnell Standard bei den Militärs – und die Uhrenmarken in aller Welt übertrafen sich gegenseitig mit neuen Uhrenmodellen, die in jeder noch so verzwickten und unmöglichen Lage funktionieren sollten. Uhren von Rolex oder Omega wurden unter Wasser und am Mond getestet, es gab ab den 1960er Jahren ständig neue Funktionen – vom Höhenmesser bis zur Stoppuhr –, um das Praktische der Armbanduhr zu unterstreichen. Zunehmend wurde das Objekt am Handgelenk auch zu einem Modeaccessoire – und zu einem Statussymbol, wenn es mit edlen Materialien gefertigt oder etwa mit Brillanten besetzt war. Ab den 1970er Jahren wurde die Uhrenwelt auf den Kopf gestellt: Die Quartz-Revolution sorgte dafür, dass batteriebetriebene Uhren mit Schwingquarzen als Taktgeber die Zeit viel genauer anzeigen konnten als herkömmliche Uhren zum Selbstaufziehen.
Dieser technische Quantensprung brachte auch die ersten Digitaluhren auf den Markt, und der Preisverfall am Uhrensektor war gigantisch. Die Branche erholte sich aber von dieser ersten digitalen Revolution innerhalb eines Jahrzehnts: Seit den 1980ern ist die Uhrenwelt der analogen großen Marken wieder in Ordnung, weil die Nachfrage stetig steigt – ausgerechnet in China, jenes Land, das den Rest der Welt nach wie vor mit billigen Zeitmessern überflutet, die oft nur wenige Euro kosten.
Mehr als eine Uhr
Ende der 90er Jahre hat sich die Funktion der Armbanduhr entscheidend verändert: War früher die Funktionalität das entscheidende Kaufargument, so wurde die analoge, mechanische Uhr im Zeitalter der aufkommenden Mobiltelefone weit zurückgedrängt auf ihr Aussehen: Die Uhrenmode ist seither so vielfältig wie nie, was Käufer auch dazu bringt, nicht bloß eine, sondern gleich mehrere Uhren zu besitzen – auch das ist ein Grund für das stetige Marktwachstum. Die lebenslange, weitervererbte Armbanduhr war damit Geschichte. Mit der Marke Swatch hielt selbst in der Schweiz ein poppiges Wegwerfprodukt Einzug in die Uhrenschaukästen – sehr zur Freude der kräftig verdienenden Branche. Swatch hatte die Uhr als leistbares Lifestyle-Tool etabliert, man konnte sich zu jeder Tagesverfassung eine eigene Uhr anziehen. Emotionaler wie diese Marke eine ganze Generation von jungen Leuten für die klassische Armbanduhr begeistert hatte, ist das nie wieder gelungen.
Mit dem Aufkommen der Smartphones hatte plötzlich jeder Mensch eine Taschenuhr dabei. Bedeutete das nun das endgültige Aus für die klassische Uhr? Mitnichten! Die Branche verzeichnet seit Jahren einen konstanten Anstieg bei der Nachfrage von mechanischen Uhren, also solche, die ohne Quartz-Werk arbeiten und händisch aufgezogen werden. Zugleich ist aber der Smartwatch-Sektor vor allem deshalb am Wachsen, weil er die alte Funktionalität der Uhr, das Messen der Zeit, mit den neuen digitalen Möglichkeiten kombiniert. Dabei ist die Smartwatch voraussichtlich erst der Beginn einer ganzen Reihe von digitalen Helferleins, die wir am Körper tragen werden. Der dahintersteckende Industriezweig nennt sich Wearable Technology und wird künftig in Jacken, T-Shirts, Hosen oder Mützen stecken, mit Funktionen, die weit über jene der Uhr hinausgehen. Wobei: Diese Zukunft könnte noch ferner liegen als gedacht, man erinnere sich nur an den kapitalen Flop der Google-Brille, deren Produktion rasch eingestellt wurde.
Smartwatch bleibt Nischenprodukt
Gelernt über Generationen, das ist eben der Vorteil der guten analogen Armbanduhr, zurückgeworfen auf das bisschen, das sie kann; sie wird mehr denn je Mode-Objekt bleiben, so viel ist sicher. Die Smartwatch ist dagegen trotz aller Wachstumsraten noch immer ein Nischenprodukt, das vor allem für Fitnessaffine einen Mehrwert bringt. Mode-Preis gewinnen die meist doch eher klobigen Dinger jedenfalls keinen.
Das ist auch der Trumpf, den die großen Hersteller ausspielen: Das Design der Uhren reicht von klassisch bis modern, und es gibt kaum einen anderen Gegenstand aus dem alltäglichen Leben, bei dem die Verarbeitung derart hochgehalten wird wie bei der klassischen analogen Uhr.
Ein bisschen Einfachheit
Die beste Botschaft kommt von dem Uhren-Startup Daniel Wellington, ein Unternehmen, das 2017 die schnellstwachsende Firma Europas war. Die besonders schlichten Uhren dieser Marke sind besonders beliebt bei der Zielgruppe der Millenials, also bei jungen Menschen, die rund um die Jahrtausendwende geboren sind. Diese Digital Natives sind umgeben von Social Media, von Computern und Smartphones, sie lesen keine gedruckte Zeitung mehr, sondern bestenfalls E-Books. Ausgerechnet diese Generation soll die Rettung für analoge Uhren bringen? Brancheninsider wissen, wieso gerade diese Uhren derzeit der große Renner in dieser Zielgruppe sind: Die stressgeplagten, stets reizüberfluteten und technologieintensiven Millenials wollen einfach nur ein bisschen Einfachheit zurück. Zwei Zeiger, die sich im Kreis drehen. Wie beruhigend.