Netflix-Doku mit Nebenwirkungen: Kontroverse Paltrow-Serie regt auf
Die in der Serie "The Goop Lab" propagierten Heilmethoden seien "zwielichtig" und "gesundheitsschädigend", erklärte NHS-Chef Simon Stevens.
Über kaum eine andere Netflix-Serie wird derzeit so viel gesprochen wie über "The Goop Lab", eine Dokumentarserie über das Lifestyleunternehmen Goop, das von US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow gegründet wurde.
Sechs Episoden sind auf dem Streamingdienst derzeit abrufbar; jede Folge ist einem anderen Thema gewidmet. Etwa der Wim Hof Methode, die heilsame Effekte durch Kältetherapie verspricht, Psychedelika-Behandlungen gegen Depressionen und Angstzustände – oder energetischen Bodywork-Prozeduren gegen Stress und Traumata.
Im Mittelpunkt der Produktion stehen die Selbsttests der diversen Methoden durch die Goop-Belegschaft. Auch mit den genannten Therapien vertraute Expertinnen und Experten kommen zu Wort, teilweise werden auch Studien zitiert. Und dennoch: Der Großteil der vorgestellten Behandlungen entbehrt entweder jeglicher wissenschaftlicher Grundlage oder gilt in Fachkreisen zumindest als umstritten.
"Zweifelhaft und zwielichtig"
Noch drastischer formulierte es nun Simon Stevens, Chef des staatlichen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) in Großbritannien. Bei einem Vortrag in Oxford am Donnerstag sprach Stevens laut britischen Medien von den genannten Behandlungsmethoden als "zweifelhaft und zwielichtig".
"Goop ist gerade mit einer neuen Fernsehserie rausgegangen, in der Gwyneth Paltrow und ihr Team (…) einen 'Bodyworker' testen, der behauptet, akute psychologische Traumata und deren Nebenwirkungen zu heilen, indem er einfach seine Hände fünf Zentimeter über den Körper eines Kunden bewegt", formulierte er seine Kritik mit sarkastischem Unterton.
Die pseudomedizinischen Wellnesstipps der Unternehmerin provozieren seit geraumer Zeit Kontroversen. Und es ist nicht das erste Mal, dass Paltrow wegen dubioser Lifestyle-Produkte in der Kritik steht. So sorgten etwa ein sündteurer Detox-Smoothie mit Mondstaub, ein Jade-Ei für besseren Sex, Körpersticker für besseren Energiefluss sowie entgiftende Kaffee-Einläufe für Schlagzeilen.
Die genannten Artikel werden über die Goop-Website gepriesen.
Die Marke Goop, die 2008 zunächst als wöchentlicher Newsletter gegründet wurde, ist mittlerweile mehr als 250 Millionen Dollar wert.
Auch zu den angebotenen Produkten nahm Stevens Stellung: "Gwyneth Paltrows Marke (…) fördert Darmspülungen und Kaffeeeinlaufgeräte, obwohl sie ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen und etwa die NHS eindeutig darauf hinweist, dass 'keine wissenschaftlichen Beweise vorliegen, die darauf hindeuten, dass Darmspülungen gesundheitliche Vorteile mit sich bringen'."
Ungesunde Fake News
Durch Formate wie "The Goop Lab" würden "Lügen und Fehlinformationen auf Knopfdruck auf der ganzen Welt verbreitet". Zwar würden Fake News klassischerweise mit Politik in Verbindung gebracht, in jüngster Vergangenheit werde jedoch auch der Gesundheitssektor immer stärker davon infiltriert. "Die natürliche Sorge der Menschen um ihre Gesundheit und insbesondere die ihrer Lieben macht diesen Boden besonders fruchtbar für Quacksalber, Scharlatane und wunderliche Kauze."
Stevens ist nicht der erste Experte, der Paltrows Geschäftsmodell kritisiert.
Der kanadische Gesundheitsrechtsexperte Timothy Caulfield, der in seiner eigenen Serie "A User's Guide to Cheating Death" kontroverse Gesundheitsbehandlungen einem Faktencheck unterzieht, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Liebes Netflix, die Verbreitung von medizinischer Desinformation verursacht echten Schaden. Nicht nur, dass ihr unbewiesene Ideen und Produkte bewerbt, es trägt zur Erosion des kritischen Denkens bei."
"Ich finde die Existenz der Show frustrierend", sagte er zu Entertainment Tonight Canada. Einziges Ziel der Serie sei, "Angst vor Wissenschaft und konventioneller Gesundheitsfürsorge zu wecken und magisches Denken zu legitimieren".
Strafzahlung für Paltrow
Wegen der Bewerbung des zuvor genannten Jade-Eis wurde Paltrow 2018 zu einer Strafzahlung von umgerechnet 120.000 Euro verurteilt. Zuvor hatte Jen Guter, eine Frauenärztin aus Kalifornien, in einem offenen Brief auf ihrem Blog vor dem Produkt gewarnt. Kundinnen würden mit der Anwendung ein gesundheitliches Risiko eingehen, unter anderem, weil es sich bei Jade um ein poröses Material handelt, an dem sich Bakterien sammeln können. Dadurch könne eine Infektion und im schlimmsten Fall sogar ein toxisches Schocksyndrom ausgelöst werden.
Anlässlich der neuen Serie hagelte es von Gunter erneut Kritik: Der Netflix-Trailer sei "klassisch Goop: einiges an Desinformation, präsentiert mit unwissenschaftlichen, unbewiesenen, potenziell schädlichen Behandlungsmethoden, um Aufmerksamkeit zu erlangen – versehen mit dem Hinweis: Wir reden ja nur darüber", erklärte Gunter in der "Today Show" des Fernsehsenders NBC.
Transparenz
Goop hat bereits auf die Vorwürfe reagiert. In einer Erklärung heißt es, dass man die "Effizienz und Produkt-Ansprüche sehr ernst" nehme. Auf der Website weise man außerdem "transparent" darauf hin, dass Themen behandelt werden, "die von der Wissenschaft möglicherweise nicht unterstützt werden oder sich in einem frühen Stadium der Überprüfung befinden".
Eine Folge der Serie löste unterdessen mehrheitlich positive Reaktionen aus: In der Episode "Der Orgasmus-Mythos" befasst sich das Team mit dem Tabu rund um die weibliche Sexualität und Lust.
Am Beginn dieser und jeder anderen Episode wird ein Warnhinweis eingeblendet, der jedenfalls gewissermaßen für sich spricht: "Die folgende Serie soll unterhalten und informieren. Sie sollten immer Ihren Arzt konsultieren, wenn es um Ihre persönliche Gesundheit geht oder bevor Sie mit einer Behandlung beginnen."
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