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Lebt und liebt die Traube: Wirtin Christina Riegel. © Foto: Bernd Rindle

Bar in Bellenberg: Ein Besuch in der „Traube“ – die Kult-Kneipe im Ulmer Hinterland

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Gleichstellung? Nein, danke. Das Wortspiel auf den Wegweisern vor den Toiletten macht deutlich, wo es langgeht in der „Traube“ zu Bellenberg: „Men left.“ „Women are always right“ – Frauen haben immer Recht! Im Fall von Christina Riegel sogar das Schankrecht, seit sie vor etwa neun Jahren die Kultkneipe übernommen hat, die sie liebt und lebt. So wie ihre Kundschaft.

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Die Stammgäste wissen, dass ihr Geld in der „Traube“ gut angelegt ist und die Rendite stimmt. Wer beispielsweise in Most investiert, bekommt mehr, als er von der Bank je erwarten könnte: acht Prozent! Ein für Apfelwein durchaus nennenswerter Alkoholgehalt. „Deshalb trinken viele unseren Most als Schorle“, sagt die Wirtin. Ansonsten gibt’s in der „Traube“ keine halben Sachen. Schon gar keine „Preußenhalbe“, ein als großes Bier getarntes Getränk im 0,4-Liter-Gebinde zu 0,5-Liter-Preisen.

In Ulm sind solche Kneipen längst wegrenoviert

Bierkneipen wie die „Traube“ sind in Ulm schon längst wegrenoviert worden: Wo die Patina der dunklen Balken noch von den Schwaden filterloser Kippen stammt und auf den Konzertplakaten der Gilb der Jahrzehnte klebt. Als die Bärtigen noch keine Hipster und die Theken-Themen andere waren als Waxing und vegane Wurst. Als man nicht zum Barbier ging, sondern ausschließlich vom Finanzamt rasiert wurde. Wo bei einer Runde Billard die nächste Runde ausgespielt wurde und in der Ecke ein Flipper­-Automat stand.

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Früher belustigten sich die Gäste in der „Traube“ noch auf einer Freiluft-Kegelbahn, was darauf hinweist, dass die Wirtschaft einige Jahre auf dem Buckel hat. Wie viele, wusste auf die entsprechende Frage von Christa Riegel niemand im Ort zu sagen. Bekannt war nur, dass das Gebäude eines der ältesten in Bellenberg und früher ein Bauernhof war. Damit gab sich die Wirtin nicht zufrieden, durchkämmte im Bayerischen Staatsarchiv die Kataster und fand heraus, dass der Bellenberger Familie Heinrich zum Jahreswechsel 1855/56 das Krug- und Schank- und Brennrecht gewährt worden war. Der Betrieb als Dorfwirtschaft mit gutbürgerlicher Küche währte etwa 100 Jahre.

„Traube“ in Bellenberg: Rockt noch immer

Als Hermann Mader, der einstige Gorki-Park-Betreiber und ehemalige Kumpel der Toten Hosen, als Pächter einstieg, wurde die „Traube“ zur angesagten Musikkneipe, in der unter anderem Rio Reiser auf der Bühne stand. Und der Laden rockt immer noch regelmäßig einmal im Monat: „Seit ich da bin, haben bestimmt schon über 120 Bands gespielt“, sagt die 46-jährige Exil-Erbacherin, hinter der symbolhaft eine E-Gitarre von der Decke hängt.

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Was die „Traube“ auch auszeichnet, ist der liberale Geist, in dem alle Gäste ohne Ansehen der Person gern gesehen sind, solange sie sich zu benehmen wissen: „Wir bieten einen Platz für jedermann, wo niemand schräg beäugt wird, wo man sich schnell wohlfühlt und Wurzeln schlagen kann“, offenbart „Chrissy“, wie sie allerorten genannt wird, ihre Philosophie. „Das Besondere ist, dass jung und alt zusammenkommen, der Großvater trifft seinen Enkel, und die 80-jährige Oma sitzt auch da und trinkt ihre Geißenhalbe.“

Tradition in der Traube: Überbackene Seelen

Unantastbare Tradition sind auch die überbackenen Seelen, die seit 40 Jahren auf der Karte stehen und bisweilen kuriose Namen tragen, wie die Variante „Küchenboden“. Richtig liegt, wer vermutet, dass es sich bei dem Belag „um ein bisschen was von allem“ handelt, wie Christina Riegel bestätigt. Runterspülen kann man den Imbiss unter anderem mit einem Guinness vom Fass oder einem Glas Whisky.

Traube in Bellenberg ist eine offizielle Jack-Daniels-Pilgerstätte

Dass Christina Riegel mittlerweile 50 Sorten im Angebot hat, kommt nicht von ungefähr. „Ich bin selber Whisky-Fan.“ Konsequenterweise trifft sich in der „Traube“ einmal im Monat der „Whisky-Club“. Wobei die Wirtin auch bei geistigen Getränken Toleranz walten lässt und neben schottischen Single-Malts auch Produkte aus Japan, Deutschland und Bourbons aus den USA kredenzt. Was der „Traube“ bereits eine besondere Ehre eingetragen hat: „Wir sind offizielle Jack-Daniels-Pilgerstätte.“ Eine Auszeichnung, die nur jenen Lokalen zuteil werde, „in denen sich Mister Jack wohlgefühlt hätte“.

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Vermutlich auch wegen der Deko-Artikel, die von der Decke hängen: ausgelatschte Westernstiefel und Damenunterwäsche. Die stammt aus einem Automaten im Männerklo, wo sich die Herren für ein wenig Hartgeld einen String-Tanga ziehen können. Womit letztlich die Gleichstellung doch Einzug gehalten hat in der „Traube“ zu Bellenberg.

Geliebtes Resopal

Atmosphäre Was die Einrichtung der „Traube“ betrifft, sind die Stammgäste heikel. Christina Riegel erinnert an die Kommentare angesichts ihres Versuchs, die alten Resopaltische auszutauschen: „Bist du verrückt: Wehe, du nimmst uns die Tische weg.“