Ohne Daten geht nichts mehr auf dem Acker
5G ist derzeit noch nicht an jeder Milchkanne verfügbar. Das ist schlecht für die Landwirte. Denn in ihrer Branche ist die Digitalisierung schon weit fortgeschritten, sie sind auf Internet auf dem Feld angewiesen.
by Werner PlutaWelches Getreide wird in dieser Saison angebaut? Wann wird gesät, wann gedüngt, wann bewässert? Jedes Jahr sieht sich ein Landwirt vor viele Entscheidungen gestellt, die den Ertrag jedes seiner Felder beeinflussen. Daten helfen ihm dabei, diese Entscheidungen zu treffen.
Die Landwirtschaft ist inzwischen zu einem der am stärksten digitalisierten Wirtschaftszweige geworden: Traktoren und Mähdrescher von Herstellern wie Claas, Fendt oder John Deere sind längst fahrende Sensorstationen. Zwar sitzt noch ein Mensch am Steuer, doch der hat eher die Aufgabe, das Fahrzeug zu überwachen.
Per Satellitennavigationssystem Global Positioning System (GPS), das mit Korrektursignalen verbessert wird, fährt der Traktor oder der Mähdrescher bis auf wenige Zentimeter genau in der Spur, so dass möglichst wenige Pflanzen beschädigt werden. Manche der Maschinen regulieren sogar den Reifendruck entsprechend den Bodenverhältnissen. Die Maschinen sind mit Sensoren ausgestattet, die beispielsweise Daten über die Pflanzengesundheit erfassen. Andere Sensoren werden in den Boden eingebracht und messen die Feuchtigkeit oder die Temperatur.
Alle Abläufe werden erfasst, von jedem Vorgang auf dem Feld eine digitale Karte erzeugt: vom Säen, vom Düngen, vom Sprühen. Mit einem Farm-Managementsystem wie Climate Field View der Bayer-Tochter The Climate Corporation werden die Daten zusammengeführt und mit weiteren Karten und Daten angereichert: topografischen Karten, Wasserverbrauchskarten, Wetterdaten. Selbst Satelliten liefern dem Landwirt Daten über seine Felder - der europäische Sentinel etwa oder kommerzielle Anbieter wie Planetlabs erfassen in hoher Auflösung wie Pflanzen gedeihen. Nur so kann der Landwirt den bestmöglichen Ertrag auf seinen Feldern erzielen.
Auf seinem Computer oder seinem Mobilgerät kann er sich jederzeit den Zustand seiner Felder anzeigen lassen - und auf Variabilitäten reagieren. Denn der Ackerboden ist nicht überall gleich: An dieser Ecke wachsen die Pflanzen weniger gut, sie brauchen mehr Nährstoffe, an jener gedeihen sie hervorragend, brauchen also viel weniger Dünger. An einer anderen Stelle haben Schädlinge die Pflanzen befallen, hier muss gespritzt werden.
Der Landwirt kann sich die Daten auf dem Traktor anzeigen lassen und in Echtzeit darauf reagieren. Gesprüht oder gedüngt wird nur dort, wo es nötig ist. Das geht fast bis auf die Pflanze genau. Die deutschen Unternehmen Bosch und BASF beispielsweise haben zusammen ein Smart-Spraying-System entwickelt, das gezielt gegen Unkraut vorgeht. Bei der Fahrt über das Feld erfassen Sensoren am Fahrzeug die Pflanzen. Es unterscheidet Nutzpflanzen und Unkraut und steuert die Düsen so, dass nur Unkraut besprüht wird und keine anderen Pflanzen. Das Ganze spielt sich im Bereich von Millisekunden ab. 2021 soll das System laut Bosch marktreif sein.
Für den Landwirt ist das gleich ein doppelter Vorteil: Durch gezieltes Düngen oder Bekämpfen von Unkraut oder Schädlingen kann er seinen Ertrag steigern. Gleichzeitig senkt er seine Kosten, indem er die Menge an versprühten Herbiziden so gering wie möglich hält. Durch den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ließen sich 30 bis 70 Prozent gegenüber einer Ganzflächenapplikation einsparen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke. Beim Dünger seien es rund zehn Prozent. Was gut ist für das Betriebsergebnis eines Hofs, hilft zusätzlich noch der Umwelt.
Aber das Farm-Management taugt nicht nur für die Gegenwart.
Die Farm der Daten
Ein System wie Climate Field View bietet nicht nur Echtzeitansichten auf dem Mobilgerät, sondern auch die Verwaltung von Feldern und Daten sowie eine Planung für die kommende Saison auf dem Computer. Der Landwirt lädt die Daten, die er über die Saison gesammelt hat, über eine Webschnittstelle in das System.
So kann er beispielsweise eine Ertragskarte, die er bei der Ernte erstellt und die ihm die Verteilung der Erträge auf einem Acker anzeigt, mit den Dünge- oder Spritzkarten vergleichen. So kann er festzustellen, was die Maßnahmen gebracht haben. Für die kommende Saison kann der Landwirt dann seine Aussaat besser planen: Dort wo die Erträge höher sind, weil der Boden besser ist, kann er dichter säen als dort, wo der Boden weniger gut ist.
Problematisch ist die Frage nach der Datenhoheit. Erst einmal gehören die Daten natürlich dem Landwirt - er erhebt sie ja schließlich in seinem und für seinen Betrieb. Andererseits ist er nicht allein: Engagiert er Dienstleister für bestimmte Aufgaben wie etwa zum Spritzen oder Mähen, muss dieser seinerseits Daten erheben, um seine Tätigkeit nachzuweisen: Wie oft ist er über das Feld gefahren, wie viel Pflanzenschutzmittel oder Dünger hat er ausgebracht und so weiter.
Aber solche Daten wecken Begehrlichkeiten. Denn die Maschinenhersteller können davon profitieren, wenn sie Mähdrescher und Traktoren dauerhaft überwachen: Mit Hilfe der Daten können sie ihre Produkte anpassen oder verbessern. Ein Unternehmen wie The Climate Corporation kann Daten auswerten und sein Produkt dementsprechend verändern. Laufen viele Daten zusammen, lassen sich die Entscheidungshilfen verbessern.
Davon profitieren auch die Landwirte: Teilt der Hersteller ihm mit, dass am Mähdrescher oder am Traktor ein Teil stark abgenutzt ist und ausgetauscht werden muss, lässt sich die Reparatur planen und die Maschine fällt nicht auf dem Feld bei der Arbeit aus. Ein Software-Unternehmen könnte, wenn es auf dem Feld eines Kunden Schädlingsbefall feststellt, andere Kunden in der Region frühzeitig warnen und so möglicherweise eine Ausbreitung verhindern.
Die Climate Corporation hat einen klaren Standpunkt zur Datenhoheit: Sie gehören dem, der sie generiert, also dem Landwirt. Ohne seine Zustimmung werde das Unternehmen keine Daten an Dritte weitergeben, sagte Ines Kapphan von Climate Corporation Golem.de. Der Landwirt könne aber selbst entscheiden, seine Daten anderen zugänglich zu machen, etwa einem Agronomen oder seinem Vertrieb.
Um verwertbare Erkenntnisse und Entscheidungshilfen für die Landwirte erstellen zu können, nutzt das Unternehmen aber aggregierte Daten, die von den Landwirten kommen. Die Daten werden dafür anonymisiert, so dass ein Kunde nicht zu identifizieren sei. Allerdings betont die Firma in ihren Geschäftsbedingungen, dass sie aggregierte oder anonymisierte Informationen nicht als Kunden-Farmdaten betrachte.
Datenhoheit ist ein kritischer Punkt. Der andere ist die Interoperabilität: Die verschiedenen Datensätze, die der Landwirt aus seinen Maschinen bekommt, sind nicht unbedingt interoperabel. Es fehlt an Standards, wie auch an einigem anderen.
Autonome Landwirtschaftsroboter
Laut einer im vergangenen Herbst veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern wird sich die Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten noch weiter sehr verändern: Maschinen werden auch in der Landwirtschaft mehr und mehr die Arbeit übernehmen.
Menschen auf den Feldern werden dann der Vergangenheit angehören, davon sind die Fraunhofer-Forscher überzeugt: "In der Langzeitperspektive wird sich die Klasse der überwachten autonomen Maschinen weiterentwickeln, mit geringeren Anforderungen an die Anwesenheit und Qualifikation einer Aufsichtsperson; die bereichs- und anwendungsspezifischen autonomen Bearbeitungsschritte werden in universellere Aktions- und Arbeitsformen übergehen." Die Klasse der völlig autonomen Maschinen werde sich von reinen Demosystemen über die Zwischenstufe von Systemen, die mit definierten Plänen autonom auf dem Feld agieren, langfristig hin zu Systemen entwickeln, die eine Grobplanung über andere Systeme erhalten und dann völlig autonome Aktionen durchführen.
Danach sollen kleine Roboter wie der Xaver von Fendt oder der Contadino von Continental im Schwarm auf dem Feld im Einsatz sein. Die kleinen Roboter könnten säen, düngen oder Unkraut mechanisch bekämpfen.
Vorteil gegenüber den tonnenschweren Großgeräten ist eine Schonung des Bodens: Die kleinen, leichten Maschinen verdichten weniger. Zwar lässt sich ein verdichteter Boden wieder pflügen. Doch tiefer pflügen erfordert mehr Energie, also mehr Treibstoff - und das wiederum bedeutet mehr Kosten und mehr Emissionen.
Ganz ohne Bodenverdichtung geht es, wenn die Roboter gar nicht auf ihm unterwegs sind: Drohnen können verschiedene Aufgaben auf dem Feld übernehmen. Heute werden sie beispielsweise zur biologischen Schädlingsbekämpfung genutzt: Sie setzen auf einem Maisfeld Schlupfwespen aus, den natürlichen Feind des Zünslers. Getestet wird auch der Einsatz von Drohnen vor dem Mähdrescher, um Tiere, etwa Rehkitze, aufzuspüren
Das deutsche Unternehmen Volocopter, das an einem autonomen Flugtaxi arbeitet, will seine Volodrone für die Landwirtschaft nutzbar machen. Zusammen mit John Deere hat Volocopter das übermannshohe Fluggerät mit einer Spritzeinrichtung des Landmaschinenherstellers ausgerüstet. Die Volodrone können bis zu 200 Kilogramm Zuladung tragen und sollen mit einer Akkuladung etwa eine halbe Stunde fliegen können. In der Zeit sollen sie laut Volocopter eine Flächenleistung von bis zu drei Hektar schaffen.
Eine solche elektrisch betriebene Drohne eignet sich besonders für schwierige Einsatzbedingungen. Sie könnte beispielsweise beim Weinbau in Steillagen den Hubschrauber im Spritzeinsatz ersetzen. Damit Szenarien mit solchen robotischen Systemen Realität werden, muss aber vor allem der Breitbandausbau vorangetrieben werden. Mobiles Internet, besonders schnelles mobiles Internet, muss dafür - entgegen der Bemerkung von Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) - tatsächlich an jeder Milchkanne verfügbar sein.