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Christian Nestroi (rechts), spricht sich mit Marco Renner, stellvertretender Geschäftsführer des Vereins „Förderkreis Kinder- und Jugendpflege“ ab. Nestroi fängt eine Ausbildung zum Erzieher an. Er konnte seinen Beruf als Programmierer nicht mehr ausüben.Foto: Andreas Braun
Vom Programmierer zum Erzieher

Christian Nestroi traut sich nochmal

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   •  38-Jähriger startet in eine neue Ausbildung zum Erzieher.
   •  Der Verein „Förderkreis Kinder- und Jugendarbeit“ nutzt Förderung durch Agentur.

Könnern - Christian Nestroi und Marco Renner sitzen am Tisch. Der eine drückt bald die Schulbank, der andere ist stellvertretender Geschäftsführer des Vereins Förderkreis Kinder- und Jugendarbeit Bernburg.

Christian Nestroi beginnt nun eine Ausbildung. Dass allein freilich ist nicht sehr erstaunlich. Wohl aber, dass der 38-Jährige gelernter Programmierer ist und nun Erzieher wird. Für den zweifachen Familienvater ist es eine Chance, in einem neuen Beruf Fuß zu fassen und für den Arbeitgeber eine Möglichkeit, das Team zu verstärken.

Für zwei Jahre aus dem regulären Arbeitsprozess raus

Der Verein betreut Kinder und Jugendliche, die in ihren Familien nicht klar gekommen sind. Nestroi ist nun erst einmal für zwei Jahre aus dem regulären Arbeitsprozess raus. Er geht zur Schule und lernt Erzieher.

Doch an manchen Wochenenden will er hier im Haus sein und seine Kollegen unterstützen. Vier sind es, die hier Erzieher sind, und zwei Mitarbeiter, die mit unterstützen und ein Hausmeister. „Zwei Jahre weg und dann sehe ich die Kinder nicht, wie sie sich entwickeln - das geht nicht. Ich will den Kontakt halten und nicht als Fremder wiederkommen“, sagt Nestroi.

Den Schritt hat er nicht bereut. „Es ist die richtige Entscheidung und ich bin sehr zufrieden. Mit Kindern konnte ich schon immer gut umgehen. Auch mit denen in meiner Nachbarschaft. Darum gefällt es mir hier gut.“

Jugendlichen von 16 bis 18 Jahren müssen vieles selbst erledigen

In dem Haus in Könnern ist eine Wohngruppe von acht Kindern im Alter von drei bis 13 Jahren untergebracht. Eine weitere Wohngruppe gibt es noch in Ilberstedt und in Bernburg ein Wohnung für betreutes Wohnen. In letzterer sind die Jugendlichen von 16 bis 18 und auf Antrag auch noch länger untergebracht, müssen aber schon vieles selbstständig erledigen.

Nestroi soll in Könnern arbeiten, denn der Verein braucht Erzieher, die es auf dem Markt so gut wie gar nicht mehr gibt. Darum fördert die Agentur Umschulung von Menschen, die in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten können, die sich für einen sozialen Beruf eignen und umsteigen wollen. Nestroi eignet sich, bescheinig ihm Renner.

„Es muss auch für das dritte Jahr die Finanzierung gesichert sein“, sagt Mandy Dreßler

600 Stunden musste Nestroi im sozialen Bereich arbeiten, bevor die Ausbildung beginnt, erzählt Mandy Dreßler. Sie arbeitet beim Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit in Bernburg und sucht Arbeitgeber, um eben wie bei Christian Nestroi zu unterstützen. „Es muss auch für das dritte Jahr die Finanzierung gesichert sein“, sagt Mandy Dreßler.

Das wurde vom Verein abgesichert, der Nestroi einstellte. Das dritte Jahr ist ein Praktikumsjahr. Danach ist aus dem Programmierer ein Erzieher geworden. „Dass es ein Mann ist, ist gut“, sagt Teamleiterin Daniela Schwarz. Sie koordiniert die Arbeiten in der Wohngruppe. In Könnern sind sieben Jungs in der Wohngruppe und ein Mädchen. Da passe ein Mann gut in die Gruppe.

„Es wird Zeit, dass es wie bei Pflegern eine Ausbildungsvergütung gibt“

Der Beruf des Erziehers ist wichtig, sagt Agenturchefin Anja Huth. Doch er ist unattraktiv und vor allem gesellschaftlich nicht geschätzt. „Es muss immer noch Schulgeld bezahlt werden, wenn man Erzieher werden möchte. Es wird Zeit, dass es wie bei Pflegern eine Ausbildungsvergütung gibt“, so Anja Huth.

In asiatischen Ländern oder im Norden Europas sind Erzieher und Erzieherinnen hoch angesehene Berufe. Denn wer Kinder erzieht, der legt den Grundstock für das künftige Leben. Das werte man in Deutschland anders. Darum sei es auch schwierig, jemanden zu bewegen, den Beruf zu erlernen oder sich umschulen zu lassen.

Erschwert werde es, dass in Sachsen-Anhalt nur eine Förderung für die Umschulung von der Agentur gezahlt werden dürfe, wenn die Schule zwei Jahre am Stück an fünf Tagen in der Woche stattfindet. „In anderen Bundesländern ist das attraktiver für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Da geht es auch, wenn an zwei oder drei Tagen nur Schule ist und an den anderen Tagen gearbeitet wird“, so Mandy Dreßler. (mz)