Die Situation in der SPD lässt Steinbrück nachts nicht schlafen
Mit Peer Steinbrück hat sich Markus Lanz einen Gast eingeladen, der die Situation in der SPD sehr kritisch beurteilt. Der Ex-SPD-Vize hat deutliche Zweifel am derzeitigen Führungsduo. Doch auch ein anderes Thema geht ihm „auf den Keks“.
Wer an Peer Steinbrück denkt, ruft gedanklich vielleicht nicht sofort seine politische Laufbahn ab, sondern hat ein Bild im Kopf: Einen ausgestreckten Mittelfinger, dazu ein rotziger Gesichtsausdruck. So sah man ihn auf dem Cover des „SZ-Magazins“ im Jahr 2013, eine Woche vor der Bundestagswahl gegen Angela Merkel. Dieser Mittelfinger habe ihn sicher „zwei Prozent gekostet“, sagt er bei Markus Lanz. Der begrüßt Steinbrück mit den Worten: „Der Mann, der als Letzter das Kunststück fertiggebracht hat, in einem Bundestagswahlkampf mehr als 25 Prozent zu holen, obwohl er in der SPD ist.“ Und kommt danach sofort auf die Geste zu sprechen.
Steinbrück war von 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Als SPD-Kanzlerkandidat unterlag er bei der Bundestagswahl 2013 der Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU). Bei Lanz äußert sich Steinbrück unter anderem zum Zustand der GroKo und zur Arbeit des neuen SPD-Führungsduos.
Zunächst sind aber nicht Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans das Thema, sondern Sigmar Gabriels Position im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Dagegen hat Steinbrück reichlich wenig einzuwenden. Er fände die Reaktionen zu Teilen „bigott“. Ein Mann mit dessen Begabungen dürfe ja kein Berufsverbot haben. Gabriel würde dadurch nicht bestechlich werden. Steinbrück hätte seinem ehemaligen Parteikollegen jedoch geraten, sich genau anzuschauen, zu welcher Bank er da geht. „Diese Bank hat es in der Vergangenheit – und ich drücke mich jetzt sehr höflich und diplomatisch aus – mit einer Reihe von Fehlern und Handlungen zu tun gehabt hat, die ich ungern in einem Aufsichtsrat vertreten würde.“ Als Aufsichtsrat müsse man bei dieser Bank damit rechnen, dass „da im Keller noch was anderes ist“.
Dennoch dürfe sich Gabriel natürlich selbst eine berufliche Tätigkeit aussuchen. Die Empörungsbereitschaft der deutschen Gesellschaft, die mit dem Öffentlichwerden von Gabriels Position einherginge, ginge ihm aber „langsam auf den Keks“.
Steinbrück sieht „fünf alarmistische Nachrichten“ für die SPD
Lanz dockt an eine Rede von Steinbrück aus dem Jahr 2009 an. Auch damals wäre ihm schon viel auf den Keks gegangen. Nach Auffassung des Moderators könnte Steinbrück diese Rede heute noch einmal genauso halten. In dem Fall ging es um den damaligen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und ihn, die einen Tag zuvor von den Kollegen im Berliner Landesverband noch gelobt, einen Tag später jedoch „vors Revolutionsgericht gezogen“ worden seien. Steinbrück ist sauer, auch elf Jahre nach dem Vorfall. „Sie haben immer noch einen Hals, merk ich gerade“, sagt Lanz. „Ja“, entgegnet Steinbrück kurz und knapp. Darüber reden wolle er „hier“ aber nicht.
Dann sind sie mittendrin in der Pannen-SPD. Steinbrück beginnt, fünf alarmistische Nachrichten der Partei aufzuzählen. Es folgen eine Menge Zahlen, die das Gefühl erwecken, Steinbrück sei froh, das so fleißig Gelernte endlich mal rauslassen zu können. Die erste Nachricht sei, dass inzwischen nur noch acht Prozent der Bevölkerung die SPD für zukunftsgewandt und zukunftskompetent halten. „Das ist eine dramatisch schlechte Zahl.“ Hinzu komme, dass junge Existenzgründer und die unter 35-Jährigen ihre Interessen durch die SPD nicht vertreten sehen. Das Gleiche gelte für das Thema Sicherheit: „Der überwiegende Teil der Bevölkerung sieht die Themen innere Sicherheit und die Durchsetzung des Rechtsstaates nicht vordergründig bei der SPD.“ Fünfter und letzter Punkt: Inzwischen hätten viele Menschen den Eindruck, dass die SPD zwar für Bedürftige und Rechte für Minderheiten eintrete, diejenigen aber, die das Bruttosozialprodukt erwirtschaften, nicht im Blick hätten.
Quelle: Screenshot: zdf/markus-lanz
„Das müsste diese SPD eigentlich aufwecken, und sie müsste daraus eine Strategie entwickeln. Aber das kann ich bei der neuen Führung nicht erkennen.“ Der erste direkte Hinweis auf das neue Führungsduo Esken und Walter-Bojans. Lanz zeigt sich beeindruckt von dem Zahlengedächtnis Steinbrücks. „Ich bin baff.“ Wie er sich das merken könne. „Weil mich das nachts beschäftigt!“ Er schlafe nachts schlecht wegen seiner SPD. „Dann haben sie sehr lange nicht geschlafen“, antwortet ihm Lanz.
Steinbrück hat Zweifel am SPD-Führungsduo
Wie er die Führungsetage denn nun bewerte, will Lanz konkret wissen. „Ich hab gelinde Zweifel, ob die neue Führungsriege vor dem Hintergrund der fünf alarmierenden Nachrichten, die ich formuliert habe, ob sie die auf der Agenda hat und daraus eine Strategie formulieren kann. Ich weiß es nicht, aber mein Optimismus hält sich in Grenzen.“ Ob Steinbrück die beiden gewählt habe. „Nein, die beiden habe ich nicht gewählt.“ – „Das heißt, Sie haben Olaf Scholz gewählt?“ – „Richtig.“
Das Problem von Esken und Walter-Borjans sieht Steinbrück insbesondere darin, dass keine Zukunftskompetenz erkennbar ist. Das „Zeitgespräch in der SPD“ stimme nicht mit dem der Bevölkerung überein. „Für die Bevölkerung ist die Durchsetzung des Rechtsstaates eine zentrale Frage. Die Bevölkerung befasst sich mit der Frage, wie es mit unserer Alltagskultur bestellt ist.“ Davon höre er aus der Führungsriege nichts.
In der Globalisierung wiederum sieht Lanz das größte Problem, das Parteien nicht bewerkstelligen können. Was man dagegen tun könne, darauf hat auch Steinbrück keine allgemeingültige Antwort. Er sieht viele Versäumnisse innerhalb der letzten Jahre. Doppelbotschaften könnten helfen, und das würde für die SPD bedeuten: „Wie zähme ich den Raubtierkapitalismus. Wie gehe ich mit dem digitalen und finanziell getriebenen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts um.“ Um eine Planwirtschaft zu umgehen, müsse es Regeln geben. So einfach sei das.
Ob er es bereue, so früh aus der Politik gegangen sei. „Nein, die hätten mich ja sonst rausgeschmissen.“ Nicht so wie bei Sarrazin, fügt er an. Dessen Ausschluss aus der Partei kann er nachvollziehen, findet aber, dass man ihn damit aufwerte, ihn zum Märtyrer mache. Auf die Aussage Sarrazins hin angesprochen, die SPD-Spitze sei offenbar teilweise „in den Händen fundamental orientierter Muslime“, entgegnet Steinbrück mit gefasster Mine: „Ich sage ja auch nicht, dass der alle Sinne beisammen hat.“ Man habe sich einfach nicht früh genug mit verschiedenen Thesen von und um Sarrazin auseinandergesetzt. Leider hätten sich „eklige, dumpfbackige Rechte“ und nicht die SPD um solche Themen gekümmert.
Kevin Kühnert – ein Strippenzieher
„Ich bin davon überzeugt, dass die Gesellschaft eine gut aufgestellte Mitte-links-Partei braucht.“ Doch solange die SPD ihren Spitzenkandidaten nicht den Freiraum gibt, eher auf das Wählerpublikum zu schauen als auf die eigenen Delegierten, wird sie „über ein Potenzial von 20 Prozent“ nicht mehr hinauskommen. „Allein mit dem, was sie heute hier gesagt haben, haben sie schon mehr Leute mobilisiert als Saskia Esken bei ihrem Auftritt“ attestiert ihm Lanz. „Ja, als Saskia Esken allemal“, sagt Steinbrück.
Und Kevin Kühnert, wo sieht er den in nächster Zeit? Im Parteivorstand sei er bedeutend. „Da gehört er qua Begabung hin.“ Er sehe aber mit einem gewissen Erschrecken, welche Strippenzieherei von Kühnert ausgehe. Gerade, was die zukünftige Aufstellung der SPD angeht. „Ich glaube, dass dort im Hintergrund eine Personalpolitik betrieben wird, wo ich nicht genau sehe, wie transparent die eigentlich ist.“
jha