Brexit-Countdown im Liveticker: Bye-bye Britain: Großbritannien verlässt heute die EU
Großbritannien verlässt am heutigen Freitag um Mitternacht nach 47 Jahren Mitgliedschaft die Europäische Union. Am Samstag beginnt dann eine Übergangsphase bis Ende des Jahres, in der ein Handelsabkommen und weitere Vereinbarungen zu den künftigen Beziehungen mit Großbritannien ausgehandelt werden sollen.
Eine Ära geht zu Ende. Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum wird Großbritannien heute um 24 Uhr (MEZ) die Europäische Union verlassen. Das Land war über 47 Jahre lang Mitglied in der Staatengemeinschaft und ihren Vorgängerorganisationen. In einer Übergangsphase bis zum Ende des Jahres müssen London und Brüssel aber noch ihre künftigen Beziehungen klären.
Begangen wird der historische Moment in London (23 Uhr Ortszeit) aus Rücksicht auf die Brexit-Gegner ohne großen Pomp. Big Ben soll nicht läuten. Der Uhrturm des britischen Parlaments wird derzeit restauriert und müsste dafür extra hergerichtet werden. Am Parliament Square soll an allen Fahnenmasten der Union Jack wehen. An die Fassade der 10 Downing Street wird ein Countdown projiziert.
Trotzdem dürfte im Regierungssitz der eine oder andere Sektkorken knallen. Pressefotografen hatten dort bereits vergangene Woche größere Lieferungen englischen Schaumweins erspäht - Champagner aus dem EU-Land Frankreich verbietet sich bei dem Anlass selbstredend.
Wir halten Sie mit einem Liveticker an diesem historischen Tag auf dem Laufenden:
10.30 Uhr: Die EU-Spitzen haben Großbritannien zum Abschied eine enge Partnerschaft angeboten. Klar sei aber, dass Großbritannien Vorteile der Mitgliedschaft in der Europäischen Union verlieren werde, schrieben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli in einer am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung.
Gleichzeitig sprachen sie von neuer Stärke und Einigkeit der EU. Auch für Europa werde mit dem Brexit in der Nacht auf Samstag eine neue Zeit anbrechen, schrieben die drei Präsidenten. "In den letzten Jahren sind wir enger zusammengewachsen - als Nationen, als Institutionen und als Menschen. "Allen sei wieder bewusst geworden, dass die EU mehr sei als ein Markt oder eine Wirtschaftsmacht. Man vertrete gemeinsame Werte und sei zusammen einfach stärker.
10.00 Uhr: Der britische Premierminister Boris Johnson hat es kurz vor dem Brexit als sein Ziel bezeichnet, die durch die erbitterte Debatte um den EU-Austritt entstandenen tiefen Risse in der britischen Gesellschaft zu überwinden. Es sei seine Regierungsaufgabe, das Land zu "vereinen" und "nach vorne zu bringen".
"Dies ist der Moment, in dem die Morgendämmerung hereinbricht und sich der Vorhang für einen neuen Akt hebt", heißt es in einer Vorabmeldung zur Rede, die Boris Johnson heute Abend halten will.
09.40 Uhr: Brexit-Gegner haben Freitagmorgen in der britischen Hafenstadt Dover ein riesiges Banner mit der Aufschrift "We still love EU" ("Wir lieben die EU noch immer") installiert. Dover liegt direkt am Ärmelkanal. Vom Hafen der Stadt fahren regelmäßig Fähren in die EU-Länder Frankreich und Belgien.
Der lange Abschied der Briten von der EU hatte zwischendurch etwas von Stan Laurel & Oliver Hardy:
Morgenpost
Analyse
Boris Johnson: "Kein Ende, sondern ein Anfang"
In einer Rede, die am Abend übertragen werden soll, betont Premierminister Boris Johnson laut im Voraus verbreiteten Auszügen, der Brexit sei kein Ende, sondern ein Anfang. "Es ist ein Moment der echten nationalen Erneuerung und des Wandels", so der Premier. Seine Aufgabe sei es nun, das Land zu einen und voranzubringen. Die Lebenschancen der Menschen sollten nicht davon abhängen, in welchem Teil des Landes man aufwachse. Das werde nicht mehr akzeptiert.
Ausgelassener als Johnson will der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, mit seinen Mitstreitern den EU-Austritt feiern. Die Initiative "Leave means Leave" hat für Freitagabend eine Party vor dem Parlament geplant. Auch in anderen Teilen des Landes wird gefeiert. Ein Feuerwerk wurde Farage allerdings untersagt.
Schwierige Übergangsphase
Auch wenn Johnson den Brexit am liebsten nun beiseiteschieben will, wird das Thema auch in diesem Jahr weiter die Schlagzeilen in Großbritannien bestimmen. Bis zum 31. Dezember bleibt das Land noch in einer Übergangsphase, in der sich so gut wie nichts ändert, außer dass Großbritannien nicht mehr repräsentiert sein wird in Brüssel. Währenddessen müssen sich beide Seiten über ein Anschlussabkommen einig werden, sonst drohen schwere Konsequenzen für den Handel und weitere Bereiche. Doch die Zeit gilt dafür als äußert knapp und die Vorstellungen auf beiden Seiten klaffen weit auseinander.
Seine Verhandlungsziele für die künftigen Beziehungen will Johnson britischen Medien zufolge nächste Woche vorstellen. Souveränität sei wichtiger als reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des "Telegraph" in einer Rede als Leitlinie ausgeben. Der Bruch zwischen London und Brüssel soll viel klarer ausfallen als unter Johnsons Vorgängerin Theresa May geplant. Er will sein Land von der Anbindung an EU-Regeln frei machen und die Verbindungen weitgehend kappen.
Johnson würde sich einem Zeitungsbericht zufolge auf ein Handelsabkommen mit der EU einlassen, wie es deren Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier vorgeschlagen habe. Es handle sich um das sogenannte Kanada-Modell, berichtet die "Times" unter Berufung auf Inhalte einer Rede, die Johnson am Montag halten wolle. Das Modell basiere auf dem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) und erlaube einen nahezu zollfreien Warenhandel, umfasse aber auch Grenzkontrollen. Großbritanniens großer Dienstleistungssektor würde ausgeklammert.
Abtrünnige Schotten
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon warnte Johnson unterdessen erneut, Schottland ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit zu verweigern. Johnson könne "nicht ewig dem Willen der Schotten im Weg stehen", sagte sie der Zeitung "Die Welt" (Freitagsausgabe). Das schottische Parlament hatte am Mittwoch für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum votiert.
Die EU-Kommission fordert indes eine möglichst enge Anbindung an EU-Standards. Unfaire Subventionen sowie Sozial- oder Umweltdumping dürfe es nicht geben, forderte auch der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Kommission will nächsten Montag ihrerseits die Verhandlungslinie vorschlagen, die dann noch von den 27 bleibenden Staaten gebilligt werden muss. Ende Februar oder Anfang März geht es dann wirklich an den Verhandlungstisch.
Irlands Premierminister Leo Varadkar zeigte sich hoffnungsvoll. Für den bereits beschlossenen Vertrag seien alle über ihren Schatten gesprungen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Welt" (Freitag). Das sei "ein gutes Omen" für die nächste Phase der Verhandlungen. "Was auch immer geschieht, ich hoffe, dass die Tür immer offen steht, sollte das Vereinigte Königreich jemals entscheiden, zurückkehren zu wollen."