Weißbuch im Umlauf

Gesichtserkennung: EU-weites Verbot wohl vom Tisch

Sind Technik und Rechtslage schon bereit für die Überwachung öffentlicher Plätze? Die Europäische Union ist sich nicht sicher – verbieten will sie die Gesichtserkennung aber doch nicht.

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Sah es anfänglich noch so aus, dass die EU den Einsatz der automatisierten Gesichtserkennung für fünf Jahre untersagt, ist von einem Verbot nun nicht mehr viel übrig.

Kameras zur Überwachung finden sich an immer mehr öffentlichen Plätzen, bei einigen Straftaten halfen entsprechende Bilder bereits bei der Verbrechensaufklärung. Doch wo endet in Sachen Gesichtserkennung das öffentliche Interesse an Schutz und wo beginnt der Eingriff in die Privatsphäre? Wichtige Fragen, auf die oft noch Antworten fehlen – auch bei der Europäischen Union. Um alle Probleme aus dem Weg zu räumen, brachte die EU vor Kurzem sogar ein Verbot der automatisierten Gesichtserkennung für mindestens fünf Jahre ins Gespräch. Doch davon will nun anscheinend niemand mehr etwas hören: Wie die für gewöhnlich gut informierte Nachrichtenagentur Reuters am 30. Januar 2020 berichtete, hat die für den Vorschlag verantwortliche EU-Kommissarin Margrethe Vestager das Verbot auf Eis gelegt – und es aus ihrem 18-seitigen Weißbuch (White Paper) entfernt.

Gesichtserkennung: Gesetze und Technik anpassen

Das Dokument sah ursprünglich vor, den Einsatz der Gesichtserkennung in der Europäischen Union für drei bis fünf Jahre zu verbieten. In dieser Zeit sollte die EU ihre Gesetze zu Privatsphäre und Datenschutz auf den aktuellen Stand bringen, vor allem der Kampf gegen Datenmissbrauch steht im Fokus. Außerdem benötigt die Technik laut der Originalversion des Weißbuchs zusätzliche Sicherheit. Entwickler und Nutzer von künstlicher Intelligenz (KI) für eine automatisierte Gesichtserkennung stehen dann unter besonderer Beobachtung. Ausnahmen für gesonderte Tests zu Forschungs- und Entwicklungszwecken solle es geben. Noch ist nicht klar, wie die EU-Mitgliedstaaten zu der fünfjährigen Zwangspause stehen.

Komplette Liste: Die besten Überwachungskameras

Bundestag: Gesichtserkennung ist kontrovers

Hierzulande ist der Einsatz von Techniken zur Gesichtserkennung umstritten. Das zeigte sich am 30. Januar 2020, als der Bundestag über den Einsatz von Systemen zur automatisierten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum diskutierte. So sind FDP und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Nutzung der Technologie. Die FDP fordert ein gesetzliches „Recht auf Anonymität“ im öffentlichen Raum, das sich aber zum Zweck der Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung einschränken lässt.

Bundesinnenminister: Keine Gesichtserkennung

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will vorerst auf den Einsatz entsprechender Software verzichten. Er habe dazu noch Fragen, hatte er am 24. Januar 2020 erklärt. Deshalb ließ er einen Passus zur Verwendung entsprechender Software an Bahnhöfen und anderen sicherheitsrelevanten Orten aus einem internen Entwurf für das neue Bundespolizeigesetz streichen. Unionsvertreter machten sich in der Debatte hingegen für den Einsatz der automatischen Gesichtserkennung stark. Unbescholtene Bürger hätten nichts zu fürchten, betonte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Mathias Middelberg (CDU). Die Aufnahmen würden schließlich mit einer Datenbank verglichen, in der Bilder von Schwerstkriminellen und Terroristen gespeichert seien.

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Linke fordern klares Stoppzeichen

Der AfD-Abgeordnete Roman Reusch sprach ebenfalls von einem „wunderbaren Fahndungsinstrument“, das man den Behörden bei der Jagd auf Schwerverbrecher nicht aus der Hand schlagen dürfe. SPD-Vertreter wiesen wiederum auf Schwächen des Systems hin. „Eine automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ist sehr einfach auch zu überlisten“, warnte die innenpolitische Sprecherin Ute Vogt. Täter könnten sich tarnen, Bürger würden jedoch anlasslos kontrolliert. Ihr Parteikollege Uli Grötsch kündigte an: „Wir haben neben rechtlichen auch ethische Fragen zu diskutieren. Dafür brauchen wir Zeit.“ Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, André Hahn, forderte ein „klares Stoppzeichen“ für die Technologie. „Der öffentliche Raum dient dann praktisch nur noch der Fahndung.“

EU-Kommissarin legt finalen Vorschlag in Kürze vor

Laut Nachrichtenagentur Reuters stellt die Kommissarin für Digitales ihren Vorschlag am 19. Februar 2020 offiziell vor. Dann klärt sich, wie andere Staaten der Europäischen Union zu diesem Thema stehen und ob das Verbot tatsächlich endgültig vom Tisch ist. (Mit Material der dpa.)