Kommentar

Beim Wasserstoff muss die Bundesregierung Farbe bekennen

Wasserstoff gilt als wichtiger Baustein der Klimaneutralität. Doch der Einsatz in industriellem Maßstab ist noch eher Wunsch als Wirklichkeit.

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Wasserstoffproduktion

Ohne den sogenannten blauen Wasserstoff wird die Industrie kaum auskommen.(Foto: dpa)

Man hat lange auf die „Nationale Wasserstoffstrategie“ warten müssen, nun liegt sie vor: 21 Seiten, 31 Maßnahmen. Doch der Entwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium dürfte in dieser Fassung innerhalb der Bundesregierung noch nicht mehrheitsfähig sein. Zwar herrscht mittlerweile über alle Parteigrenzen hinweg die Überzeugung, dass Wasserstoff eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung spielen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es sich um klimaneutralen Wasserstoff handelt.

Doch was ist damit gemeint? Das Strategiepapier vermeidet die Unterscheidung zwischen „grünem“ und „blauem“ Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird mittels Strom aus erneuerbaren Energien durch Elektrolyse hergestellt. Er ist somit CO2-frei. Blauer Wasserstoff entsteht beispielsweise auf der Basis von Erdgas, das dabei frei werdende CO2 wird unterirdisch gespeichert. Aus Sicht vieler Umweltpolitiker ist blauer Wasserstoff zugleich „böser“ Wasserstoff.

Im Entwurf der Strategie ist ganz überwiegend von „CO2-freiem“ oder „CO2-neutralem“ Wasserstoff die Rede, was nach Definition des Wirtschaftsministeriums blauen Wasserstoff ausdrücklich einschließt. Der Streit mit dem Umweltministerium ist damit kaum vermeidbar.

Die Nationale Wasserstoffstrategie ist somit noch keine beschlossene Sache. Das Bundeswirtschaftsministerium hat vielmehr eine Diskussion angestoßen, auf deren Verlauf man gespannt sein darf.

Kühne Träume

Am Ende der Debatte steht hoffentlich die Erkenntnis, dass es auf Jahre und Jahrzehnte hinaus nicht ohne blauen Wasserstoff gehen wird. Denn der Traum vom Einsatz grünen Wasserstoffs in industriellem Maßstab setzt eine Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Quellen in Größenordnungen voraus, die aus heutiger Sicht nicht erreichbar erscheint.

Allein die deutsche Chemieindustrie hat vorgerechnet, dass sie bis 2050 jährlich mehr als 600 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung haben muss, um bis dahin klimaneutral zu werden. Denn dazu müssten völlig neu Prozesse und Technologien eingeführt werden – und ein großer Teil des Stroms wird benötigt, um grünen Wasserstoff zu produzieren. 600 Terawattstunden bedeuten eine Erhöhung des Strombedarfs der Branche um den Faktor elf. 600 Terawattstunden Strom sind mehr als der gesamte deutsche jährliche Stromverbrauch über alle Sektoren.

Allein dieses kleine Zahlenspiel verdeutlicht die Dimension über die man reden muss, wenn man grünen Wasserstoff zum Allheilmittel machen will. Gerne wird in diesem Kontext darauf verwiesen, man könne den grünen Wasserstoff aus anderen Weltregionen importieren. Der Aufbau der entsprechenden Importstrukturen dürfte nicht leicht sein. Sich allein darauf zu verlassen, dass Deutschlands kühne Wasserstoff-Träume den Rest der Welt elektrisieren, wäre fahrlässig.

Mehr: Wie kein anderes Land der Welt arbeitet Norwegen daran, eine Infrastruktur zur Lagerung von CO2 unter dem Meeresboden aufzubauen. Das weckt das Interesse deutscher Unternehmen.