Druck auf die Fraktion wächst: Erst Parteiaustritte, jetzt Steuer-Razzia bei Gauland: Die Folgen des AfD-Bebens
by FOCUS OnlineDer Bundestag hat die Immunität von Alexander Gauland aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den AfD-Fraktionschef wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Kann der Fall die Bundestagsfraktion unter Druck setzen?
Gegen AfD-Fraktionschef Alexander Gauland wird wegen möglicher Steuerhinterziehung ermittelt. Der Bundestag hat seine Immunität aufgehoben. Unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag durchsuchten Ermittler das Haus des 78-Jährigen in Potsdam.
Die Reaktion aus der AfD-Fraktion folgte prompt: Man erachte die Ermittlungen gegen Gauland als „ungerechtfertigt und unverhältnismäßig“. Es handele sich lediglich „um einen Fehler in der Steuererklärung“ und um einen „reinen Verwaltungsakt“. Klar ist: Bislang handelt es sich um einen Verdacht. Für Gauland gilt die Unschuldsvermutung.
Doch so ganz ohne Folgen für die Fraktion dürften die Ermittlungen gegen Gauland nicht bleiben. Der Fraktionschef ist eine Art Anker in der Partei, hinter dem sich sowohl Gemäßigte als auch Radikale der AfD versammeln. Was bedeuten die Ermittlungen insbesondere für die Bundestagsfraktion?
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„Lässt die AfD-Strategie noch fragwürdiger erscheinen“
„Sollte sich dieser Verdacht erhärten, könnte dies Folgen für Gauland und damit für die Fraktion haben. Denn dies lässt die AfD-Strategie noch fragwürdiger erscheinen, als sie es ohnehin schon ist – nämlich sich als bürgerlich zu inszenieren, mithin also auch staatlich gesetzte Spielregeln zu achten“, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel.
Zugleich gibt er aber zu bedenken: Es wäre für die anderen Parteien etwas leichter, die AfD auszugrenzen. „Das wiederum kann aber auch die Prozesse der inneren Schließung in der AfD verstärken und sie am Ende sogar stabilisieren.“
Sollte aber Gauland über diesen Fall scheitern, so der Politikwissenschaftler, dann würde es für die Fraktion sehr schwierig, „weil ein vergleichbarer Integrationsakteur in der AfD fehlt, der ihn ersetzen könnte.“
Gaulands Autorität
Gauland sei ein „sehr ambivalenter“ Akteur. Er habe eine „gewisse innerparteiliche Autorität“ und habe es geschafft, diese heterogene Fraktion nach außen geeint erscheinen zu lassen, meint Schroeder. Vor allem sei es ihm in den ersten Monaten gelungen, den Eindruck zu erwecken, dass es zumindest scheinbar ein Gleichgewicht zwischen den „Gemäßigteren“ und dem „Flügel“ gebe.
„Faktisch hat er jedoch den Prozess der Landnahme durch die extremistischen Kräfte nicht aufgehalten, sondern diesen Prozess erst möglich gemacht und ihn zugleich verharmlost“, so der Politikwissenschaftler. Nicht auszuschließen, dass sich die radikaleren Kräfte unter einem angezählten Gauland wieder stärker bemerkbar machten.
Fünfter Austritt aus der Fraktion
Die AfD-Fraktion steht ohnehin unter Druck. Erst in dieser Woche hatte die Abgeordnete Verena Hartmann ihren Austritt erklärt – der fünfte Rückzug innerhalb dieser Legislaturperiode. Frauke Petry verließ Partei und Fraktion schon kurz nach dem Bundestagseinzug im Jahr 2017. Ihr folgten die NRW-Abgeordnete Mario Mieruch und Uwe Kamann. Im Dezember 2019 entschloss sich der sächsische Bundespolizeibeamte Lars Hermann zum Rückzug.
Auffällig: Die Erklärungen der Abgeordneten zu ihrem jeweiligen Rückzug ähneln sich. Verena Hartmann begründete ihren Rückzug mit wachsender Macht des rechtsnationalen „Flügels“. „Der Flügel will die AfD voll und ganz übernehmen, da sich mit diesem ‚Etikett‘ mehr erreichen lässt, als mit dem adäquateren NPD-Label“, schrieb die künftig fraktionslose Abgeordnete am Dienstag auf ihrer Facebook-Seite. „Diejenigen, die sich gegen diese rechtsextreme Strömung wehren, werden gnadenlos aus der Partei gedrängt“, fügte sie hinzu.
Grabenkämpfe in der Fraktion?
Hartmann ging sogar noch einen Schritt weiter: Wer sich dem „Flügel“ nicht unterwerfe, dem drohe die „politische Demontage“. Auch in die Fraktion würden diese Grabenkämpfe hineingetragen. Schon Hermann hatte bei seinem Austritt einen wachsenden Einfluss des „Flügel“-Frontmanns Björn Höcke beklagt.
Dem widersprachen die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Bundestagsfraktion, Alice Weidel und Gauland. Die Behauptung, in der AfD vollziehe sich ein „Rechtsruck“, sei „natürlich völliger Quatsch“. Man sehe „überhaupt keine Grabenkämpfe in der Fraktion“.
Dass die Austritte aus der Partei kurzfristig zu einer bedrohlichen Destabilisierung der Fraktion führen, glaubt Politikwissenschaftler Schroeder nicht. Vielmehr sei wahrscheinlich, dass sich der ohnehin schon harte Führungsstil im Inneren noch stärker bemerkbar mache. „Dort hat man ja ohnehin schon ein sehr starkes Regiment aufgebaut, dass denjenigen, die wirklich abweichende Positionen vertreten, kaum Luft zum Atmen lässt.“
Wie wahrscheinlich ist eine Spaltung der Fraktion?
Dies sei womöglich auch ein Grund dafür, warum die Parteiaustritte bislang nicht zu einer frappierenden Veränderung in der Fraktion führten. „Die Steuerung auf Bundesebene ist im Vergleich zu der in den meisten Länderparlamenten strenger und erfolgreicher. Die Abschottung und Angst der Abgeordneten vor einem Ausstieg aus der neuen Karriere scheint in der Bundestagsfraktion stärker als in den Landesparlamenten, wo das Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit schlicht nicht so stark ist“, sagt Schroeder.
Dass die Spaltung einer Fraktion jedoch kein völlig abwegiges Szenario ist, zeigt der Blick in die Länder. So ist etwa der „Flügel“ in Baden-Württemberg stark vertreten. Landessprecher Bernd Gögel gilt allerdings als gemäßigt, der Verband ist gespalten. Auch in Bayern ziehen sich tiefe Gräben durch Fraktion und Landesvorstand. Ähnlich gespalten ist der Landesverband in Schleswig-Holstein. Hier hatte das Parteiausschlussverfahren gegen die ehemalige Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein für mächtig Ärger gesorgt.
Denkbar, dass vergleichbare Szenarien auch der Bundestagsfraktion blühen könnten? Politikwissenschaftler Schroder glaubt dies nicht: „Bislang fehlt es auf Bundesebene an einem Kopf, der den Mut und die Fähigkeit hätte, einen Spaltungsprozess herbeizuführen.“
Finanzielle Verluste für die Fraktion
Klar ist dagegen schon jetzt, dass die nun noch 89 Abgeordnete umfassende Fraktion mit jedem Austritt finanzielle Verluste hinnehmen muss. So gehen der Fraktion laut einem Bericht der „Zeit“ mit jedem ausgetretenen Abgeordneten monatlich fast 10.000 Euro aus der Kasse des Bundestages flöten. Und intern geht laut „Zeit“ die Sorge um, dass Hartmanns Rückzug nicht der letzte gewesen sein könnte.
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