„Verzweifelte Menschen“

Personal fehlt – dramatische Situation der Altenpflege in Köln

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Köln - Die Situation der Altenpflege in Köln ist dramatisch. Wenn nicht beherzt gegengesteuert werde, „schlittern wir in eine Katastrophe,“ sagt Caritas-Chef Peter Krücker. Die Caritas geht davon aus, dass schon jetzt für ambulante und stationäre Pflege zusammengenommen bis zu 2000 Pflegekräfte in Köln fehlen, da es in der Pflege viele Teilzeitbeschäftigte gibt.

Für viele Kölner ist die persönliche Katastrophe längst da. Vor allem in der Kurzzeitpflege und bei den ambulanten Pflegediensten spitzt sich die Lage immer mehr zu: Dass Gesundheitsminister Jens Spahn und die Große Koalition planen, einen Rechtsanspruch auf einen Kurzzeitpflegeplatz einzuführen, muss denen, die in Köln derzeit für ihre pflegebedürftigen Angehörigen einen solchen Platz suchen, wie Hohn vorkommen. Es gibt nämlich keine: Ganze 87 Kurzzeitpflegeplätze sind es derzeit für die Millionenstadt. Wer einen davon ergattern will, muss viele Monate im voraus anfragen – und zwar in möglichst vielen Heimen gleichzeitig.

Angehörige in Köln am Rande des Zusammenbruchs

Aber das Leben kennt eben oft keinen Vorlauf: „Wir haben verzweifelte Menschen am Telefon, deren hoch betagte Angehörige etwa nach einem Oberschenkelhalsbruch noch völlig immobil aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sie brauchen dringend zur Überbrückung der Situation einen Platz und finden keinen. Menschen werden in völlig ungeklärte Versorgungslagen entlassen“, erläutert Krücker. Auch pflegende Angehörige am Rande des Zusammenbruchs, die dringend eine Pflegeauszeit bräuchten, fänden für ihre Lieben keinen Platz. Die schlechte Nachricht ist, dass es derzeit sogar eher weniger als mehr Plätze werden. Die so genannten eingestreuten Kurzzeitpflegeplätze werden durch Dauerpflegeplätze ersetzt, weil es auch davon eben viel zu wenige gibt.

Wer dann einen ambulanten Pflegedienst sucht, dem geht es nicht besser: Die Träger der freien Wohlfahrtspflege müssen derzeit in Köln im Monat 300 Angehörige am Telefon abweisen, weil Pflegefachkräfte fehlen und die vorhandenen Kräfte bereits über ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten. „Wir haben jeden Tag weinende Angehörige am Telefon“, erläutert Detlef Silvers, Geschäftsfeldleiter Alter und Pflege. Oft Menschen, die schon bei einem Dutzend Pflegediensten vergeblich angerufen haben, weil der pflegebedürftige Angehörige kurzfristig aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Wenn dann akute Notfälle doch aufgenommen werden, liegt die Versorgungszeit oft erst am späten Vormittag, da die Liste der Patienten so lang ist.

Köln: Pflegebedürftige müssen länger auf Hilfe warten

Das bedeutet, dass schwer Pflegebedürftige bis dahin im Schlafanzug im Bett darauf warten müssen, bis ihre Windeln gewechselt werden. Sobald ein Kollege krank wird, gerät das enge Zeitkorsett vollends aus den Fugen. „Wenn unsere Dienste kollabieren, müssen immer mehr Menschen ins Heim, wo dann die ohnehin vorhandenen Probleme noch größer werden“, erläutert Krücker. Denn auch dort gibt es lange Wartelisten, Angehörige in Not müssten in die Eifel ausweichen, wo es noch Plätze gebe.

An allen Ecken mangelt es an Pflegepersonal und an Heimplätzen. In den Kölner Pflegeheimen fehlen allein in den nächsten Jahren 1100 zusätzliche Stellen in der Altenpflege – und der Markt ist komplett leer gefegt. Auch die Zahl der Plätze ist in den vergangenen zwei Jahren bei steigendem Bedarf weniger geworden: 240 Plätze sind durch gesetzlich vorgegebene Umbaumaßnahmen vor allem durch Umwandlung von Doppel- in Einzelzimmer weggefallen. Laut Berechnungen der Stadt müssten in Köln in den nächsten sechs Jahren 1100 stationäre Pflegeplätze neu geschaffen werden. Die Beratungsgesellschaft Terranus rechnet für Köln bis 2040 gar 3900 fehlende Plätze voraus. Bis dahin wird Köln nicht nur 100.000 Einwohner mehr haben. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich bis dahin in der Stadt verfünffachen.

Caritasverband Köln will dem Mangel entgegenwirken

Der Caritasverband Köln müht sich nach Kräften, dem Mangel entgegenzuwirken: Er gründet gemeinsam mit dem Caritas-Krankenhaus Hohenlind ein eigenes Ausbildungszentrum, wo ab Oktober 2020 eine neue Ausbildung zur Pflegefachkraft angeboten wird und junge Auszubildende angezogen werden sollen. Parallel dazu wurde ein Pilotprojekt zur Anwerbung von Pflegefachkräften aus Tunesien gestartet. Außerdem investiert der Verband in ein neues Pflege-Quartierszentrum in Porz: Dort sollen 99 stationäre Pflegeplätze, 16 Tagespflegeplätze und elf seniorengerechte Wohnungen entstehen. Ende 2022 soll Einweihung sein. Geprüft wird derzeit der Bau eines weiteren neues Pflegeheims im unterversorgten Stadtteil Ossendorf.

Auf der anderen Seite erwartet der Caritasverband, dass auch Stadt, Land und Bund ihre Hausaufgaben machen. Die Stadt müsse gerade in unterversorgten Stadtteilen zusätzliche Flächen für Pflegeheime erschließen, wenn sie ihre Vorsorgepflicht ernst nehme, fordert Krücker. Hier müsse die Wohlfahrtspflege zum Zuge kommen und nicht der am meisten zahlende Investor. Außerdem müsse die Stadt schneller und unbürokratischer handeln. „Es kann nicht sein, dass wir angesichts dieser Mangelsituation in Porz eineinhalb Jahre auf die Baugenehmigung warten.“ Manchmal wünsche er sich, dass die Stadt mehr außerhalb von Bebauungsplänen denke, ergänzt Silver. „Wenn man höher bauen könnte, sollte man das dann auch einfach zulassen.“ Mehr als fünf Jahre habe die Stadt den Pflegebedarfsplan nicht fortgeschrieben, erst jetzt sei ein Institut damit beauftragt worden.

Land soll finanziellen Rahmenverbindungen verbessern

Auch das Land müsse die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern. „Viele Träger investieren nicht, weil es ein Zuschussgeschäft ist“, erläutert Rücker. Derzeit refinanziere das Land 106.000 Euro für die Schaffung eines Pflegeplatzes von 53 Quadratmeter. „Wie soll das in einer Stadt wie Köln bei den Bodenpreisen gehen?“, fragt Silver. Dafür brauche es mindestens 150.000 Euro pro Platz. Die Differenz trügen die Träger. Das alles schaffe freilich noch nicht die dringend benötigten Fachkräfte. „Von den 13.000 Stellen, die Minister Spahn in seinem Sofortprogramm Pflege finanzieren will, konnten im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gerade 250 besetzt werden“, sagt Krücker.

Es brauche vor allem die bessere Bezahlung der Pflegekräfte, von der in der Politik so viel und schon so lange geredet werde. „Am Ende passiert an dieser Stelle nichts.“ Dabei diene dieser Punkt als Blaupause dafür, ob die Handelnden die Dramatik der Lage wirklich erkannt hätten.