Bahnsteig mit Fernweh

Von Gleis 9 starten Züge bald wohl auch bis Wien

Halle (Saale) - Auf dem Doppelbahnsteig 8/9 bleibt am Samstagvormittag für Besinnlichkeit weder Zeit noch Raum. Auf Gleis 8 hält kurz nach 10 Uhr der ICE von Berlin nach Frankfurt und pumpt Unmengen an Fahrgästen aus seinen Abteilen. Viele Reisende hetzen mit Koffern an Passagieren vorbei, die nebenan auf Bahnsteig 9 auf den IC nach Leipzig warten. 490 Meter ist der Doppelbahnsteig lang.

Und mit zusammen über 100 Zügen im Fernverkehr, die hier täglich halten, zählen beide Bahnsteige zu den wichtigsten im Hauptbahnhof. Ein Großteil der 37.000 Fahrgäste, die in Halle ein- oder aussteigen, nutzen die Bahnsteige 8 und 9.

Hauptbahnhof Halle: Dreimal täglich putzen

Katrin Juckoff kennt vermutlich jeden Quadratzentimeter auf dem neu gebauten und vor zwei Jahren wieder eröffneten Bahnsteig. Dreimal am Tag wird die zehn Meter breite Plattform gereinigt, zweimal täglich muss der Müll eingesammelt werden, den Reisende hinterlassen - nicht nur in den Mülleimern. Kippen, Kronkorken, Papier, Essensreste: Auf dem grauen Pflaster landet alles, was arglos entsorgt wird.

Juckoff und ihr elfköpfiges Team finden aber auch Handys, Kameras, Koffer und mitunter Beutel mit dem Wochenendeinkauf. So ein Bahnsteig animiert offenbar auch zur Vergesslichkeit. „Ich mag aber die Arbeit während der Weihnachtszeit. Die Fahrgäste sind spürbar entspannter als sonst. Und es bleibt auch immer Zeit für ein kurzes Gespräch“, sagt die 50-Jährige. Um den Hauptbahnhof in Schuss und vor allem sauber zu halten, muss man schon gut zu Fuß sein, erzählt die Vorarbeiterin. „Und wenn es auf so einen langen Bahnsteig wie die 9 geht, sollte man sich gut überlegen, was man alles zum Putzen mitnimmt. Denn die Strecke zieht sich“, sagt sie.

Hauptbahnhof Halle: Bahnsteig 9 heilt das Fernweh

Bahnsteig 9 heilt das Fernweh, könnte man sagen. Von hier fährt der IC beispielsweise bis nach Norddeich in Ostfriesland. Fast sieben Stunden ist der Zug unterwegs. Und die Malerei im Treppenaufgang zu Gleis 9 gibt wohl schon einen Hinweis auf ein neues Ziel. „Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?“, steht an der Wand. Ab März soll es tatsächlich einen Nachtzug von Warnemünde bis Wien geben. Und offenbar soll dieser Zug auch einen Zwischenstopp in Halle machen.

Doch die 9 hat jenseits der imposanten Dachgewölbe noch etwas anderes zu bieten - einen interessanten Blick Richtung Norden auf den Wasserturm, der seit 2008 als Werbebotschafter für den Bergzoo dient. Kommunikationsdesigner Helmut Brade hatte das Design entworfen, die Idee kam vom früheren halleschen Stadtplaner Wulf Brandstädter.

Hauptbahnhof Halle: Chef spendiert Stolle

Von Gleis 9 aus kommt man übrigens auch nach Dresden - allerdings nur mit einem Umstieg in Leipzig. Elbflorenz ist die Heimat von Karsten Kammler, seit 1. Juni Bahnhofsmanager in Halle. „An den Wochenenden im Advent herrscht tatsächlich mehr Trubel bei uns als an normalen Wochenenden. Viele Reisende fahren zu ihren Familien oder zum Einkaufen. Und am Heiligabend setzt noch einmal der ganz große Hype ein“, sagt der 53-Jährige.

Kammler bezeichnet sich selbst als Weihnachtskind. Wer in und um Dresden aufwachse oder aus dem Erzgebirge stamme, habe zum Fest der Feste eine innige Beziehung, doziert er mit einem breiten Lächeln. Ohne Grünhainer Engel wird im Hause Kammler jedenfalls kein Weihnachten gefeiert. Und wie es sich für einen Eisenbahner gehört, sind seine Nussknacker und Räuchermännchen ebenfalls Bahner.

Kammlers Stolz auf die sächsisch-weihnachtlichen Traditionen hat derweil auch für die Kollegen des Managers etwas Gutes. So will er mehrere der berühmten Dresdener Christstollen mit nach Halle bringen und dem Personal spendieren. Apropos Halle: Er habe sich bereits gut eingelebt. „Ich mag diesen Bahnhof und fühle mich hier wohl.“ (mz)