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Pulver verschossen.© imago images / ITAR-TASS
Times mager

28,57

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Kommen wir doch noch einmal auf laienhafte Darstellungen in penetranter Fernsehwerbung zurück, nämlich jetzt mit Blick auf „Reizdarm pro“.

Es wäre ungerecht, den Leuten vom Waschmittel einen Strick drehen zu wollen, etwa in der Art: „Wie, das beste Persil, das es je gab, ist schon 60 Jahre her?“ Fairerweise muss gesagt werden: Es kann ja sein, dass das im Jahre 1959 ganz genau stimmte, gemessen an den anderen Persils seit 1907, weshalb auch niemand, der 1959 eine Packung Persil erworben hatte, wütend vor Gericht zog und gegen das deutlich schlechtere Persil von 1958 klagte.

Im Jahr 1970 kam dann „Unser Bestes“ und noch drei Jahre später folgte, in einer auch damals schon unübersichtlichen Welt, die Hymne auf Kontinuität und Verlässlichkeit: „Da weiß man, was man hat.“

Es ist ein bisschen unangenehm, aber der Anlass für diese Überlegungen liegt im Verdauungstrakt. Beziehungsweise in der penetranten Werbung für ein Mittel, das die Erkrankung, gegen die es doch eigentlich wirken soll, sogar im Markennamen trägt, nämlich: Reizdarm.

In der Werbung hampeln Schauspielerinnen und Schauspieler, wie an dieser Stelle schon einmal beschrieben, sehr laienhaft vor der Kamera herum – was sicher für Schauspielerinnen und Schauspieler zu den anspruchsvollsten Übungen zählt – und teilen sinngemäß mit, die ganzen Beschwerden seien so gut wie weg.

Alle, die das schon immer geglaubt haben, sollten jetzt sehr stark sein, hier geht es schließlich nicht um Ihre Waschmaschine, aber sagen wir es offen: Sie müssen sich Gedanken machen. Jetzt gibt es „Reizdarm pro“ (nicht die Krankheit, das Mittel!), und was soll man sagen: Das wirkt, heißt es, um 40 Prozent stärker, aber irgendwie entsteht nicht der Eindruck, dass es den Schauspielerinnen und Schauspielern jetzt auch um 40 Prozent besser geht.

Das Times mager hat alles an Mathematik hervorgeholt, worüber es verfügt, und für Sie die 40 Prozent mehr Wirkung in das bisher vorhandene Defizit umgerechnet. Es liegt bei 28,57 Prozent. Frage: Hatten die Schauspielerinnen und Schauspieler noch 28,57 Prozent ihrer gespielten Symptome, als sie früher behaupteten, die Beschwerden seien „wie weg“?

Bitte nicht missverstehen: Allen, denen das Zeug hilft, sei das von Herzen gegönnt. Es geht hier ausschließlich um dieses penetrante Werbe-Geschwätz.

Wenn Sie nun glauben, das sei etwas Neues, dann googeln Sie mal den „Spiegel“ Nummer 50/1968: „Den deutschen Waschfrauen zu Gefallen inszenierten vier Giganten den größten Werbezirkus, den es je gab. In dem Reklame-Kolosseum stritten sich der Weiße Riese mit dem weißen Dash-Mann, der weiße Ritter mit dem Cascade-Flieger und die Peters-Sippe mit der Familie Saubermann.“ Der Titel lautete: „Pulver verschossen“. Ja, da hatte man noch keine Hemmungen im Journalismus.