Eckpunktepapier
Justizministerin Lambrecht erhöht den Druck auf „Patenttrolle“
Patentaufkäufer machen mit Lizenzgebühren und Schadensersatz gute Geschäfte. Nun fordert die Union eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Richter.
by Heike AngerBerlin. Gleich in mehreren Verfahren vor verschiedenen Landgerichten stehen sich derzeit Nokia und Daimler gegenüber. Der Netzausrüster hat den Autohersteller verklagt: Daimler soll patentrechtlich geschützte Mobilfunktechnik in seine Fahrzeuge einbauen, ohne dafür Lizenzgebühren zu zahlen (etwa Az. 7 O 3890/19, Az. 2 O 37/19 oder Az. 4 A 26/19). Gegenwärtig sind viele Konzerne in Sachen Telekommunikation und Software in Patentstreitigkeiten verwickelt.
Durch die vernetzte Mobilität oder das Internet der Dinge werden Produkte immer komplexer. In einem Auto können Smartphone-Module verbaut werden, in denen Tausende Patente stecken. Selbst redlichen Unternehmen gelingt es nicht immer, alle Patentrechte zu klären und nötige Lizenzen zu erwerben. Dadurch drohen hierzulande permanent Unterlassungsklagen, die die gesamte Produktion lahmlegen könnten. Für die Hersteller bedeutet das eine enorme Rechtsunsicherheit.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat das Problem im Blick: Zum Jahresstart soll es ein Eckpunktepapier für eine Reform des Patentrechts geben, war im Ministerium zu erfahren. Das zeigt jedoch, dass es noch Klärungsbedarf gibt. Denn eigentlich sollte bis zum Jahreswechsel ein fertiger Referentenentwurf vorliegen.
Der Missbrauch des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist seit Längerem ein Ärgernis für die Industrie. Hier sind auch „Patenttrolle“ unterwegs, die mit zusammengekauften Patenten Hersteller verklagen, um abzukassieren. „Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Kraftfahrzeuge herzustellen oder kein Telekommunikationsnetz zu betreiben – das fordern Patentinhaber jede Woche vor Gericht“, berichtet Patentexperte Florian Müller. „Keiner will tatsächlich dieses Land ins 19. Jahrhundert zurückklagen.“
Es gehe schlicht ums Geld. „Um so viel Geld, wie es nur mit maximalem Druck abzupressen ist“, erklärt Müller, der auch den Branchendienst Foss Patents betreibt. „Weil Telekommunikations-, Automobil- und Elektronikfirmen nach einer Niederlage in einem Patentstreit oft keine Wahl bleibt, wird stillschweigend bezahlt“, berichtet Müller. „Je nach Fall fließen Millionen oder sogar Milliarden.“
Der Koalitionspartner erwartet von Justizministerin Lambrecht ein „zügiges“ Handeln, um Unternehmen einen besseren Schutz vor Patenttrollen zu bieten. „Wenn Patente in großen Mengen aufgekauft werden, um die Unternehmen mit dem Stopp ihrer Produktionsprozesse zu bedrohen, dann ist das ein Missbrauch, den wir abstellen müssen“, betont die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker.
Union fordert Angleichung an EU-Recht
Sie nimmt auch standardessenzielle Patente in den Blick, also Schutzrechte, die branchenweite Standards abdecken – etwa in der Telekommunikation. Gerade hier sei eine Zunahme des gezielten Einsatzes des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs zu beobachten.
Die Unionsfraktion erwägt zwei Neuerungen: Derzeit sieht der patentrechtliche Unterlassungsanspruch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Das könnte geändert werden. Auch das Prozessrecht ließe sich demnach modifizieren. Denn in einem gerichtlichen Verletzungsverfahren vor dem Landgericht wird bislang keine Rücksicht auf die oft langwierigeren Verfahren vor dem Bundespatentgericht genommen, in denen der Bestand des jeweiligen Patents geprüft wird.
Dementsprechend fordert die Union eine „Synchronisation der Verfahren“. Das EU-Recht schreibt eigentlich bereits eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vor Erlass eines Produktions- oder Verkaufsverbots vor.
Und: „Andere europäische Länder, aber auch die USA und China sprechen Patentinhabern nur Geldbeträge zu, wenn der Wert ihrer Erfindung den Logistikschaden einer Produktionsumstellung in der Industrie oder den Schaden einer Abschaltung von Diensten übersteigt“, erklärt Patentexperte Müller. „Dies erfordert eine Differenzierung, die deutsche Patentrichter – aufgrund ihrer Expertise international angesehen, in diesem Punkt aber unbeirrbar – rundweg ablehnen.“
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