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Auch mit Bart apart: Cecilia Bartoli.© Decca

Und die Lady mit Bart ist . . . Cecilia Bartoli

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Sie ist nicht leicht zu benennen, diese Kunstfigur. Darf man zu ihr "Dragqueen" sagen? Eher nicht. Dafür hätte sich ja ein Mann als Frau verkleiden müssen. Hier aber ist das Gegenteil der Fall. Cecilia Bartoli trägt auf dem Cover ihres neuen Albums Vollbart; sie tritt somit gewissermaßen als "Dragking" auf. Nun muss man sagen: Bartoli hat diesen Verkleidungsgag nicht erfunden, er hat selbst schon einen ziemlichen Bart. Er stößt aber durchaus heutige Gedanken an. Wandelt die Diva, so mag sich mancher fragen, neuerdings auf den Spuren von Conchita Wurst?

Diese Assoziation ist wohl beabsichtigt. Immerhin zeigt sich Bartoli auf ihrem neuen Album ähnlich geschlechterhybrid wie der Song-Contest-Sieger: Ihr Arienprogramm springt zwischen den Gender-Ufern nur so hin und her. Bald faucht die Bartoli als hoheitsvolle Kleopatra, bald schmachtet sie als zarter Jüngling.

Den Rahmen dafür bildet eine Hommage an Farinelli, den Weltstar unter den Kastraten. 1734 mit dem Slogan "One God, one Farinelli" vergöttert, verkörperte er die Virtuosität und Extravaganz seiner Epoche: Hünenhaft anzusehen, war er zugleich von zarten Zügen; engelshaft anzuhören, war die Stimme doch von männlicher Kraft gestählt. Bis zu 250 Töne, so heißt es, habe der Neapolitaner mit einem Atemzug gestaltet. Ein Wunderwesen, das die Geschlechterrollen sprengte und die Grenzen der Gesangskunst gleich dazu. Ganz Europa lag dieser Prachtentfaltung zu Füßen - bis der Barock-Stil irgendwann als hoffnungslos verzopft galt. Erst das 20. Jahrhundert entwickelte wieder einen Appetit daran. Das kam nicht von ungefähr. Die Klassikfans gierten nach neuen Werken, konnten sich aber nur bedingt für einen atonalen Stil erwärmen. So entdeckten sie die barocken, ruppigen Klangfarben neu, und dabei auch den Reiz geschlechtshybrider Figuren. Die Kastratenrollen sangen nun freilich Frauen und Countertenöre.

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Cecilia Bartoli Farinelli

Bartoli, 53, ist der wohl prominenteste Ersatz für die Spitzenton-Artisten von gestern. Zwar kann die italienische Operndiva schon aus körperlichen Gründen kein zweiter Farinelli sein: Der Engelsklang der Kastraten ist nur möglich durch einen barbarischen Eingriff am Knabenleib. Bartoli reicht den Vorgängern aber zumindest in gewisser Hinsicht das Wasser: Einerseits versteht sie es, zarte Melodiebögen ätherisch schweben zu lassen. Andererseits besitzt sie die nötige Wendigkeit für Farinellis Presto-Arien (aus der Feder von Tonsetzern wie Nicola Porpora und Riccardo Broschi) und meistert auch die mörderischste Koloraturkurve. Und: Sie transportiert in ihrem oft haarfeinen Ton ein Höchstmaß an Gefühlsglut.

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An dieser Stelle bewerten die "Wiener Zeitung"-Klassikexperten Edwin Baumgartner und Christoph Irrgeher wöchentlich und alternierend Neues vom Plattenmarkt.

Das gilt auch für die Begleiter, den Giardino Armonico unter Giovanni Antonini: Wie ein Leichtgewichtboxer verbindet dieses Orchester Drahtigkeit mit Explosionskraft. Die zugehörige Tournee, jüngst in Deutschland gestartet und im Herbst des nächsten Jahres im Wiener Musikverein zu Gast, dürfte einen Besuch wert sein. Nicht nur, aber auch wegen einer barocken Fülle an Kostümen.