SRF-Mitarbeiter sollen keine kritischen Artikel liken
Am Dienstag entscheidet die SRF-Geschäftsleitung um Natalie Wappler über den Studiostandort Bern. Nervosität und Unmut machen sich breit.
by Claudia BlumerEs ist die Woche der Entscheidungen, auch bei der SRG. Am Dienstag erfahren die Mitarbeiter des Radiostudios in Bern endlich, wie es mit ihnen weitergeht. Seit eineinhalb Jahren ist bekannt, dass die SRG das Studio nach Zürich verlegen will. Doch die neue SRF-Direktorin Nathalie Wappler hat die Pläne im Sommer 2019 korrigiert. Es sollen nun gegen 70 Stellen verlegt werden, betroffen sind SRF 4 News und die Nachrichtenredaktion. Zusammen mit dem Onlinebereich, der wohl ebenfalls verlegt wird, und einem Teil der Chefredaktion wären es zwischen 70 und 90 Stellen.
Ursprünglich sollten gegen 180 Stellen verlegt werden, das war allerdings noch vor dem Sparprogramm. Was Nathalie Wappler angekündigt hat: Die Flaggschiff-Sendungen wie «Echo der Zeit» und «Rendez-vous» sollen in Bern bleiben.
«Es ist wichtig, Eure Fragen beantworten zu können»
Am Dienstag segnet die Geschäftsleitung die Audiostrategie ab, die in den vergangenen Monaten erarbeitet wurde. Am selben Tag werden die Mitarbeiter informiert, und tags darauf reist Nathalie Wappler nach Bern, um die Mitarbeiter zu treffen und Fragen zu beantworten. Manche Angestellte glauben deshalb, es werde einschneidende Entscheide geben. Es sollten möglichst viele an die Infoveranstaltung kommen, heisst es in der Einladung, die von der Chefredaktion unterzeichnet ist, «denn es ist wichtig, Eure Fragen beantworten zu können».
Befürchtet wird, dass der Standort Bern ins Hintertreffen geraten könnte. Die SRG will in den kommenden Jahren Ressourcen in die digitale Produktion umleiten, bis 2024 soll die Hälfte des Geldes dorthin fliessen. Und das Zentrum wird die multimediale Produktionsstätte in Leutschenbach sein. «Wir befürchten, dass wir abgehängt werden, auf dem Abstellgleis landen und zu Tode gespart werden», sagt eine Mitarbeiterin. Wenn die SRG sich zum Produktionsstandort Bern bekenne, müsste sie auch Abteilungen, die sie als zukunftsträchtig erachtet, in Bern lassen und dort investieren.
Für Unmut sorgt ausserdem die Mitarbeiter-Beteiligung an der Audiostrategie. Ein halbes Dutzend Arbeitsgruppen wurden dafür gebildet, rund 30 Mitarbeitende in Bern haben sich daran beteiligt, etwa in den Gruppen «Betriebskonzept» oder «digitales Audio». Doch zu Beginn sei nichts passiert, schliesslich hätten wenige Sitzungen stattgefunden, an denen ausser Brainstorming und Bestandesaufnahme nichts passiert sei. Was die Gruppenleiter und die Chefredaktion schliesslich daraus machten, erfuhren die Beteiligten nicht, die Abschlussberichte haben sie nicht gesehen.
Die Mitarbeiter-Partizipation sei nichts anderes als eine «Alibi-Übung» gewesen, sagt Jérôme Hayoz vom Syndikat Schweizer Medienschaffender (SSM). Die Übung habe den einzigen Zweck gehabt, den Schein zu wahren, während in dieser Zeit andere Leute die Entscheidungen trafen. Von den Mitarbeitenden mag sich niemand mit Namen äussern. Kein Wunder, denn vergangene Woche wurde ihnen mitgeteilt, dass öffentlich geäusserte Kritik nicht goutiert werde. Die SRF-Mitarbeiter sollten auch keine kritische Artikel in den Social-Media-Kanälen liken oder weiterverbreiten. Die Direktive sei von der Chefredaktion gekommen, heisst es. Die Ressortleiter hätten sie weitergegeben, wobei es ihnen teilweise sichtlich unwohl gewesen sei.
Noch im Sommer hatte es danach ausgesehen, als könnte die Politik der SRG einen Strich durch die Rechnung machen. Der Nationalrat hatte mit 120 zu 54 Stimmen eine Gesetzesänderung befürwortet, die der SRG die Standortverlegung von Bern nach Zürich verunmöglicht hätte. Nachdem Nathalie Wappler die Strategie korrigiert hatte, liess der Ständerat die Vorstösse fallen, im Herbst lehnte die kleine Kammer jegliche Intervention ab. Damit ist das Thema politisch derzeit vom Tisch. Die SRG ist also wieder frei, zu machen, was sie will.