Südafrika läuft die Zeit davon
Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), der Südafrika seit 1994 regiert, steht vor dem wirtschaftlichen Offenbarungseid. Das unglaubliche Ausmass an Korruption unter dem im Februar 2018 geschassten Staatschef Jacob Zuma hat das Land an den Rand des Ruins geführt, das unter Präsident Nelson Mandela (1994 bis 1999) noch als Hoffnungsträger des Kontinents galt. Seine Nachfolger haben Südafrika seither systematisch heruntergewirtschaftet. Die nun vom Bankrott bedrohte nationale Fluggesellschaft South African Airways (SAA) kann als Fallstudie dafür dienen, was seit vielen Jahren schiefläuft: Vetternwirtschaft, eklatantes Missmanagement, ständige politische Einmischung und die rigorose Durchsetzung von Rassenquoten im Rahmen der vom ANC verordneten Politik des Black Empowerment. All das hat der Airline irreparablen Schaden zugefügt.
Vor dem Hintergrund einer Arbeitslosenquote von fast 30% und einer erdrückenden Schuldenlast hat der Staat jahrelang mit Steuergeldern die Reisekosten für die Wohlhabenden subventioniert. Obwohl die Airline seit zwei Jahren keine Bilanz mehr vorgelegt hat und seit langem in tiefroten Zahlen steckt, hat sie in den vergangenen zwanzig Jahren umgerechnet rund 4 Mrd. Fr. an staatlicher Hilfe erhalten. Wenn Afrikas einst grösster Carrier in den nächsten Tagen nicht frisches Kapital von umgerechnet 135 Mio. Fr. für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs erhält, könnte er in Kürze abgewickelt werden. SAA entlarvt dabei exemplarisch die Abhängigkeiten zwischen dem ANC und den eng mit ihm verbündeten Gewerkschaften, die auch dem gegenwärtigen Staatschef Cyril Ramaphosa in den Sattel geholfen haben.
Wachstum niedrig, Schulden hoch
Entsprechend zerstritten ist die Regierung über den weiteren Kurs. Während Ramaphosa und Pravin Gordhan, der Minister für Staatsunternehmen, die Airline retten wollen, würde der für das notwendige Geld zuständige Finanzminister Tito Mboweni den Carrier am liebsten sofort schliessen. Diese Woche nun hat Pretoria South African Airways in «Business Rescue» geschickt, was am Schluss sowohl auf die Rettung profitabler Teile wie auch auf die Liquidation hinauslaufen könnte.
Für Südafrika geht es jetzt in jedem Fall ums Ganze. Unabhängig davon, ob die Airline noch eine letzte Chance erhält oder bankrottgeht, weiss Präsident Cyril Ramaphosa, dass die Konfrontation dort nur eine Art von Generalprobe für einen viel härteren Kampf mit den noch viel mächtigeren Gewerkschaften beim staatlichen Strommonopolisten Eskom ist. Gegenwärtig erzeugt das einst kerngesunde Unternehmen in seinen (nun durchschnittlich vierzig Jahre alten) Kohlekraftwerken rund 95% des südafrikanischen Stroms. Seine Schuldenlast ist auf fast 30 Mrd. $ gewachsen, was rund 9% des südafrikanischen Bruttosozialprodukts (BIP) entspricht – verglichen mit knapp 0,5% im Fall von SAA. Dies ist ein gewaltiger Mühlstein, der am Ende das ganze Land in den Abgrund reissen könnte.
Ein Grund für die finanzielle Misere sind die viel zu hohen Kosten für Eskoms 47 000 Angestellte – grossteils dorthin ausgelagerte Parteikader, von denen laut Weltbank mindestens 15 000 entlassen werden müssten. Daneben schlagen die stark überteuerten Verträge für Kohlelieferungen zu Buche, die Eskom im Zuge der staatlichen Empowerment-Regeln mit von Schwarzen geführten Unternehmen geschlossen hat – und die ganz neu verhandelt werden müssten. Anders als bei SAA ist die Schliessung von Eskom jedoch keine Option, weil Strom das Lebensblut einer Wirtschaft ist und Südafrika ohne Verfügbarkeit von Elektrizität nicht das Wachstum erreichen kann, das es mehr als alles andere braucht, um Millionen von Menschen aus der Armut zu holen.
Wie brandgefährlich die Lage inzwischen ist, zeigen die kürzlich vom Finanzminister vorgelegten Zahlen. Die Essenz: Während die Staatsschulden auf ein nicht länger tragbares Niveau gestiegen sind, dürfte das Wachstum dieses Jahr nur mickrige 0,5% erreichen und bis 2022 auf lediglich 1,7% steigen. Dabei bräuchte Südafrika nach Ansicht der Weltbank Raten von 6% und mehr, um seine hohe Armut und Arbeitslosigkeit zumindest ansatzweise zu verringern.
War Mboweni noch im Februar davon ausgegangen, dass die Schulden 2023 auf etwa 60% des BIP ihren Höchststand erreichen würden, dürften sie zu diesem Zeitpunkt nun auf 74% liegen und bis 2027 sogar auf 80% steigen. Dies ist umso verblüffender, als sie noch 2008 nur 30% des BIP betragen hatten. Es scheint so, als würde Südafrika zur Finanzierung seines Schuldenbergs die eigene Zukunft opfern wollen.
Ohne schnelle und drastische Einsparungen dürfte die Kreditwürdigkeit des Landes immer weiter fallen und dürften seine Finanzierungskosten im Gegenzug massiv steigen. Zeitgleich damit dürften sich auch die schwachen Zuwachsraten noch verlangsamen, obwohl nur mehr Wirtschaftswachstum Südafrika aus seiner ökonomischen, sozialen und politischen Misere befreien könnte. Doch einen realistischen Weg, der tödlichen Schuldenspirale zu entrinnen, sucht man am Kap weit und breit vergeblich.
Von den drei grossen Ratingagenturen hat inzwischen nur noch Moody’s Südafrikas Staatsschulden auf Investmentniveau eingestuft. Allerdings wird die Herabstufung auf Ramschniveau nun schon so lange erwartet, dass der Kapitalabfluss bereits eingesetzt hat und sich die Folgen zum Teil im Randkurs und in den südafrikanischen Bonds spiegeln. Das sind jedoch nur die kurzfristigen Folgen. Auf lange Sicht würde eine Herabstufung den Mix an Investoren stark verändern und den Markt spekulativer und volatiler machen. Vor allem aber würden die Finanzierungskosten für die Regierung wie auch für andere Akteure in der Wirtschaft spürbar steigen. Je tiefer Südafrika im Ramschstatus sinkt, desto schlimmer die Folgen. Schon deshalb verwundert es, dass die gerade erst getroffene Entscheidung von S&P, Südafrikas Ausblick auf «negativ» zu stellen, kaum Beachtung gefunden hat – vermutlich weil S&P Südafrika bereits zwei Stufen tief im Ramschstatus hat.
Bittgang zum IWF wird wahrscheinlich
Dabei wird jedoch übersehen, dass Südafrika auch im Ramschstatus noch tiefer sinken kann und sich seine Finanzierungskosten damit ständig erhöhen. Je tiefer ein Land fällt, desto schwerer wird für gewöhnlich die Wende und desto grösser ist das Risiko, in eine Abwärtsspirale mit immer höheren Tilgungskosten zu geraten.
Johann Rupert, Südafrikas führender Geschäftsmann und Verwaltungsratspräsident des Luxusgüterherstellers Richemont (CFR 74.74 0.27%), hat die nationale Schuldenlage als unhaltbar beschrieben. Er rechnet damit, dass seine Regierung nun binnen eines Jahres beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe bitten muss. Erst der IWF, so vermutet Rupert, werde das Land zu den schmerzhaften Einschnitten zwingen, die bereits vor Jahren notwendig gewesen wären, etwa zu einer drastischen Verringerung des Staatsdienstes oder den so lange aufgeschobenen Aufräumarbeiten bei den hoch defizitären Staatsunternehmen. Sollte die Regierung weiter über ihre Mittel leben, droht am Ende sogar ein Stopp der teuren Wohlfahrtsausgaben, die Südafrika bislang seinen sozialen Frieden erkauft haben.
Immer deutlicher wird nun, dass dem Land die Zeit davonläuft und Ramaphosa bis zur Budgetvorlage im Februar nicht in der Lage sein wird, die von Moody’s geforderten Einschnitte gegen den Willen der Gewerkschaften zu erzwingen. Inzwischen ist es deshalb auch nicht mehr ausgeschlossen, dass Südafrika – wie zuvor bereits Simbabwe – erst in ein Desaster schlittern muss, ehe sich seine Regierung der Realität stellt. Den Preis für dieses Versagen werden aber weniger die verantwortlichen Politiker als das Land und seine Menschen tragen.
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