Neuseeland
Ausflug auf ein Pulverfass
by Sissi Stein-AbelMindestens fünf Tote, von weiteren Touristinnen und Touristen fehlt jede Spur: Nach einem Vulkanausbruch auf White Island in Neuseeland fragen sich viele Menschen, warum es die Ausflugstour überhaupt gab. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten die verstärkte Vulkanaktivität gemeldet.
In einem Land, das auf einem Pulverfass sitzt, ist die ständige Gefahr durch Naturkatastrophen Normalität. Sie ist Teil des Lebens. Aber dann dieser Horror, die Tragödie, die völlig überraschend und unerwartet passiert. So wie am Montag um 14:11 Uhr Ortszeit, als der Hauptkrater der Vulkaninsel White Island an der zentralen Nordküste der Nordinsel Neuseelands Gift und Galle spuckte.
Er überraschte rund 50 Touristinnen und Touristen, die sich zum Zeitpunkt der Eruption auf der 48 Kilometer vor der Bay of Plenty gelegenen Insel befanden. Mindestens fünf Menschen haben den Vulkanausbruch nicht überlebt, aber es könnte noch mehr Tote gegeben haben, erklärte Polizeikommandeur John Tims bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Wellington. Bis zu 27 Personen könnten sich noch auf der Insel befinden, tot oder lebendig. Über ihren Zustand ist nichts bekannt, es besteht keine Verbindung.
Auf etlichen Aufklärungsflügen von Polizei und Luftwaffe habe es jedenfalls keine erkennbaren Lebenszeichen gegeben. Sieben Rettungshubschrauber, die vom Einsatzzentrum in der Stadt Whakatane losgeschickt wurden, mussten aufgrund des Ascheregens unverrichteter Dinge wieder umkehren. „Zu diesem Zeitpunkt ist es für die Polizei und Rettungsdienste zu gefährlich, auf die Insel zu gehen. Sie ist derzeit von Asche und vulkanischen Materialien bedeckt“, so Tims.
23 auf Lavagestein ausharrende Menschen wurden mit motorisierten Schlauchbooten von der Insel geholt. Sie wurden auf ein mehrere Stunden vor der Insel festgemachten Ausflugsboot transportiert. Darunter waren auch die mittlerweile fünf Toten. Die übrigen 18 Personen haben vor allem Verbrennungen erlitten.
Die meisten wurden in die Krankenhäuser in Whakatane und Tauranga eingeliefert, zwei lebensgefährlich verletzte Patienten wurden in das auf Verbrennungen spezialisierte Middlemore-Hospital in Auckland geflogen. Die Verletzten, die selbst gehen konnten, weinten, schrien, fielen dem wartenden medizinischen Personal in die Arme. Horror, Schock, Entsetzen überall.
Entsprechend verstört waren auch die Augenzeugen der Katastrophe. Michael Schade, ein amerikanischer Tourist, war einer jener Besucherinnen und Besucher, die schon auf dem Boot zurück waren, als der Hauptkrater in die Luft flog. Er filmte die Katastrophe und veröffentlichte das Video auf Twitter. Um 13:49 Uhr habe er noch selbst am Kraterrand gestanden, schrieb er. 22 Minuten später die Eruption, die bis zu 3,6 Kilometer hohe Aschewolken in die Atmosphäre schoss.
Der Vulkan
Die Maori nennen White Island „Te Puia o Whakaari“ – den „dramatischen Vulkan“. Tatsächlich ist er der aktivste Neuseelands, seit mindestens 150.000 Jahren. 70 Prozent des Stratovulkans, der 321 Meter aus dem Pazifischen Ozean ragt, befinden sich unter der Wasseroberfläche. Der Hauptkrater, nur 30 Meter über dem Meeresspiegel, bedeckt fast die ganze Insel, die einen Durchmesser von rund zwei Kilometern hat. Der Kratersee verschwindet regelmäßig und bildet sich neu. Er ist das nördliche Ende der Taupo-Vulkanzone, zu der auch Neuseelands größter See, der Lake Taupo gehört, der die mit Wasser gefüllte Caldera eines Supervulkans ist. Südlich des Taupo-Sees brechen die drei Vulkanriesen des Tongariro-Nationalparks regelmäßig aus.
Die Menschen an Bord rannten in Panik durcheinander und riefen immer wieder nur: „Oh no! Oh no!“ Auf einem Video des brasilianischen Touristen Allessandro Kauffmann ist zu hören, wie jemand panisch schreit: „Geht nach drinnen! Geht nach drinnen!“ Kauffmann schrieb auf Instagram: „Es waren zwei Tourgruppen auf dem Vulkan. Wir waren die erste, die andere konnte die Insel nicht rechtzeitig verlassen. Wir mussten warten, um den Leuten zu helfen, die noch auf der Insel waren. Einige hatten riesige Brandwunden am ganzen Körper. Das andere Boot war von Asche bedeckt.“ Auf einem Foto einer fest installierten Kamera des Nationalen Instituts für Geologie- und Nuklearwissenschaften (GNS), das die Aktivität des Vulkans durchgehend beobachtet, sind kurz vor der Explosion 22 Personen am Kraterrand zu erkennen. 32 bis 38 Besucher, die auf White Island waren, sind Passagiere des riesigen Kreuzfahrtschiffes Ovation of the Seas, das in Mount Maunganui, dem Hafen von Tauranga, festgemacht hat. Der australische TV-Sender Nine News berichtete von 24 Australierinnen und Australiern, die eine White-Island-Tour gebucht gehabt hätten. Diese Ausflüge finden per Boot oder per Hubschrauber statt. Auf Fotos und Videos ist auch solch ein zerstörter Ausflugshelikopter zu erkennen. Ob sich Menschen in einen 2016 für den Fall einer Eruption aufgestellten Schiffscontainer retten konnten, ist unbekannt.
Viele Menschen fragen sich nun, warum die Touristinnen und Touristen überhaupt auf White Island waren. Vor einer Woche hatten die GNS-Forscher schließlich erhöhte vulkanische Aktivität gemeldet. Schon im Oktober waren verstärkter Schwefeldioxid-Ausstoß und Vibrationen, so stark wie seit 2016 nicht mehr, gemessen worden. Damals war es zu einer Eruption gekommen, ebenso wie 2013, als sich zum Glück niemand auf der Insel befand.
Ein größeres Unglück liegt schon mehr als 100 Jahre zurück: Am 21. September 1914 riss ein Lahar – eine vom Vulkan rollende Schlammlawine – die Unterkünfte eines Schwefelbergwerks mit sich. Dabei kamen zehn Männer ums Leben, nur ein Kater namens Peter überlebte. Das Desaster wurde erst eine Woche später bekannt. Heute ist die Insel unbewohnt und wird lediglich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besucht. Und eben touristisch genutzt.
Solange sie schlummern, sind sie Naturschönheiten, so wie die weißen Dampfwolken, die von White Island in den Himmel steigen, eben ein alltägliches Phänomen am Horizont der Bay of Plenty, das Touristinnen und Touristen begeistert. So lange alles gutgeht.