Jüngste Ministerpräsidentin
In Finnland übernehmen Frauen die Macht
Sanna Marin wird Finnlands neue Ministerpräsidentin. Auf die 34-jährige Sozialdemokratin warten heikle Aufgaben – und ein überwiegend weibliches Kabinett.
by Helmut SteuerStockholm. Erleichtert sieht sie aus, als sie aus dem Sitzungssaal kommt. Doch sie weiß auch: „Jetzt beginnt die Arbeit“, sagt Sanna Marin selbstbewusst. Die 34-jährige Sozialdemokratin wird Finnlands neue Regierungschefin – und löst damit Antti Rinne ab. Der 57-Jährige musste in der vergangenen Woche nach einem heftigen Koalitionsstreit über die Zukunft der finnischen Post zurücktreten.
Seine Nachfolgerin, Mutter einer knapp zweijährigen Tochter, zählt nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin am heutigen Dienstag zu den jüngsten Regierungschefs der Welt. Doch solche Superlative und Rekorde sind nicht Marins Sache. „Ich habe nie über mein Alter oder mein Geschlecht nachgedacht“, erklärt die Sozialdemokratin nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin für das Amt der Regierungschefin. Wichtig sei ihr die Politik, nicht das Drumherum.
Das allerdings sahen vor allem die finnischen Medien anders. Als Marin am Sonntagabend nach der parteiinternen Wahl aus dem Sitzungssaal trat, sah sie sich Dutzenden Mikrofonen und Kameras gegenüber. Und nicht nur ihre politische Agenda, sondern vor allem auch ihr Alter war Gegenstand der Fragen der Reporter.
Die Politikerin, die in Helsinki geboren ist, aber in Tampere im Süden des Landes lebt, ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Ja, sie freue sich auf die kommende Arbeit ihrer Mitte-links-Koalition, die aus fünf Parteien besteht – alle geführt von Frauen. Zunächst gelte es aber, das verloren gegangene Vertrauen der Koalitionspartner untereinander wiederherzustellen, sagte sie.
Das ist auch notwendig, denn ihr Vorgänger Rinne wurde vom größten Regierungspartner, der Zentrumspartei, zum Rücktritt gezwungen. Der Grund war ein tagelanger Streit über die Zukunft der staatlichen finnischen Post. Die Postdirektion hatte einen neuen Tarifvertrag für die rund 700 Paketsortierer gefordert. Der vorgelegte Vertrag sah zum Teil deutliche Lohnsenkungen vor. Die Postgewerkschaft rief zum Streik auf, dem sich weitere Gewerkschaften anschlossen. Letztendlich wurde der neue Tarifvertrag zurückgezogen.
Der Streit innerhalb der Koalition entzündete sich jedoch an der Frage, ob die Postdirektion eigenmächtig oder im Auftrag der Regierung gehandelt habe. Und seit wann Rinne von den Plänen eines neuen Tarifabkommens wusste. Die Zentrumspartei entzog Rinne das Vertrauen und machte deutlich, dass sie die Koalition platzen lassen würde, wenn Rinne nicht zurückträte.
Ich habe nie über mein Alter oder mein Geschlecht nachgedacht.Sanna Marin (Finnlands künftige Ministerpräsidentin)
Politisch wird sich unter der Führung von Marin nur wenig ändern. Alle Koalitionsparteien haben versichert, dass sie mit dem nach den Parlamentswahlen im April dieses Jahres ausgehandelten Programm weiterregieren wollen. Das heißt aber nicht, dass es für Marin einfach wird.
Die junge Frau mit den großen blauen Augen sieht sich direkt mit einem großen Streik konfrontiert: Seit Montag befinden sich 100.000 Beschäftigte in der Technologie-, Chemie- und Papierindustrie in einem dreitägigen Ausstand. Außerdem hat Finnland noch bis Jahresende den EU-Ratsvorsitz inne und muss die Verhandlungen über einen neuen EU-Haushalt leiten.
Doch heikle Aufgaben sind der in einer gleichgeschlechtlichen Ehe groß gewordenen Marin nicht fremd. In der Schule habe sie niemandem erzählt, dass sie mit zwei Frauen aufwuchs. Die damals ungewöhnliche Familiensituation habe sie aber stark gemacht. Das zeigte sie unter anderem als Vorsitzende des Stadtparlaments von Tampere. Politische Freunde und Gegner beschreiben sie als zielstrebig und analytisch.
Im Sommer trat sie in die Regierung von Antti Rinne als Verkehrs- und Kommunikationsministerin ein. Künftig wird sie als Regierungschefin das gesamte Kabinett leiten – bei der nun fast alle Schlüsselpositionen von Frauen besetzt werden. Zu den beteiligten Koalitionsparteien gehören neben Sozialdemokraten und Zentrum die Grünen, die Linken und die Schwedische Volkspartei – das ist die Partei der schwedischsprachigen Minderheit im Land. Alle Koalitionspartner der Sozialdemokraten haben weibliche Parteivorsitzende, Marin wird diesen Posten bei den Sozialdemokraten voraussichtlich im Juni 2020 von Rinne übernehmen.
Die 32 Jahre alte Linken-Parteichefin Li Andersson ist bereits Bildungsministerin, die nur zwei Jahre ältere Vorsitzende der Grünen, Maria Ohisalo, führt das Innenministerium. Anna-Maja Henriksson, die 55 Jahre alte Chefin der Schwedischen Volkspartei, hat das Amt der Justizministerin inne. Der wichtigste Koalitionspartner, die Zentrumspartei, schickt nun ihre 32 Jahre alte Parteichefin Katri Kulmuni in das Finanzministerium unter Marin – sie war zuvor Wirtschaftsministerin.
Am Dienstag wird Marin, die Verwaltungswissenschaften studierte, vom finnischen Parlament zur Regierungschefin gewählt. „Und dann beginnt die Arbeit“, sagte sie. Gleichzeitig dankte sie ihrem Mann, dass er künftig wichtige Aufgaben im Haushalt übernehmen wird.
Mit Material von dpa