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Auf diesem undatierten, vom ukrainischen Präsidialpresseamt zur Verfügung gestellten Foto schaut der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an vorderster Front aus einem Schutzraum heraus, während er die vom Krieg betroffene Region Luhansk im Osten der Ukraine besucht.© Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Ukraine-Gipfel: Hoffen auf einen Durchbruch

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Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine ringen um den Frieden im Donbas. Viel Hoffnung lastet auf dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, doch ohne Zugeständnisse Wladimir Putins geht praktisch nichts.

Bis zu einem wirklichen Frieden in der Ost-Ukraine ist es noch ein weiter Weg. Beim Gipfeltreffen im Normandie-Format wollen Deutschland und Frankreich den Krieg im Osten der Ukraine beenden. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel treffen sich am Montag im Élyséepalast mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Klar ist: Jede Bewegung in dem Konflikt hängt vom Kremlchef ab.

Ein Durchbruch in den Friedensverhandlungen wäre eine Überraschung, doch bereits kleine Schritte könnten zu einer Verbesserung der Lage im Donbas entscheidend beitragen.

Wie funktioniert das Normandie-Format?

Der Gipfel wird auch als „Normandie-Treffen“ bezeichnet, weil es die erste Zusammenkunft dieser Art im Juni 2014 in der Normandie gab. Den letzten Gipfel hatte es vor drei Jahren gegeben, im Oktober 2016 in Berlin.

Nach dem gemeinsamen Treffen der vier Staats- und Regierungschefs wird es zudem ein bilaterales Gespräch zwischen Putin und Selenskyj geben. Allein dieses erste persönliche Treffen der beiden wird von den Gastgebern als Erfolg verbucht.

Wie ist die derzeitige Situation in der Ost-Ukraine?

Seit über fünf Jahren herrscht Krieg im Osten der Ukraine. In den dortigen Regionen Donezk und Luhansk kämpfen ukrainische Regierungstruppen mit prorussischen Separatisten.

Eine erste Waffenruhe wurde zwar schon im September 2014 vereinbart. Doch sowohl die ukrainische Armee auch die von Russland militärisch unterstützten Separatisten durchbrachen diese regelmässig.

Die humanitäre Situation der in der Konfliktregion lebenden Menschen ist immer noch sehr schwierig – auch wenn der Beschuss seit dem Sommer etwas nachgelassen hat. In dem Krieg sind nach UN-Schätzung bereits rund 13.000 Menschen ums Leben gekommen, davon über 3000 Zivilisten.

Welches Ergebnis ist vom Gipfel erwartbar?

Aus Sicht des ukrainischen Politikwissenschaftlers Vyacheslav Likhachev soll bei den jetzigen Verhandlungen vor allem der neue ukrainische Präsident eingeführt werden. „Das Wichtigste ist, dass das Treffen selbst nach drei Jahren ‚Einfrieren‘ des Formats stattfindet“, erklärte Likhachev unserer Redaktion.

Für Macron und Merkel seien die Umstände günstig, um sowohl dem russischen als auch dem ukrainischen Präsidenten die Möglichkeit zu geben, selbst zu einer Einigung zu kommen. Allerdings glaubt Likhachev, dass Putin wohl versuchen wird, „beharrlich an seiner Linie festzuhalten“. Der Zeitpunkt spreche zudem für den russischen Präsidenten. „Denn die europäischen Staats- und Regierungschefs brauchen jede Illusion, die ihnen die Möglichkeit gibt, zu sagen, dass sich die Situation entspannt hat.“ Letztlich erwartet Likhachevs aber „keine ernsthaften Fortschritte oder schicksalhaften Entscheidungen“.

"Von diesem Treffen ist leider nicht viel zu erwarten", sagt auch Andreas Umland, Senior Research Fellow am Kiewer Institut für Euro-Atlantische Kooperation, unserer Redaktion. Denn die Vorstellungen Putins und Selenskyjs über die Rückführung der "de facto von Russland besetzten Gebiete" unter Kiewer Kontrolle gehen weit auseinander. So schwebe dem Kreml "ein scheindemokratischer Prozess vor, der den bleibenden Einfluss Russlands in den derzeit quasi annektierten Gebieten und damit auch in der gesamten Ukraine sichern würde", erklärt Umland.

In Richtung Merkel und Macron mahnt der Politikwissenschaftler, die Intentionen und Taktik Moskaus zu hinterfragen: "Der Kreml möchte einen Scheinrückzug aus dem Donezbecken dazu benutzen, um die Souveränität beziehungsweise sogar Stabilität des ukrainischen Staates zu unterwandern."

Selenskyj selbst warnte vor überhöhten Erwartungen. „Der Krieg im Donbas wird nicht am 10. Dezember enden“, schrieb seine Sprecherin Julia Mendel auf Facebook. Seit dem letzten Normandie-Gipfel 2016 seien fast keine Fortschritte erzielt worden.

Was ist das Hauptziel und was will die Ukraine erreichen?

Ein erster wichtiger Schritt zu einem dauerhaften Waffenstillstand ist die Entmilitarisierung der Separatistengebiete im Donbas. Kiew will die Kontrolle über den ukrainisch-russischen Grenzabschnitt zurück, der von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Zudem fordert die Ukraine einen weiteren Gefangenenaustausch und einen Waffenstillstand. Ein Friedensplan, der 2015 in der weissrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelt wurde, liegt auf Eis.

Zwar wünscht sich die grosse Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung Frieden und Stabilität. Doch durch welche Kompromisse das erreicht und vor allem langfristig sichergestellt werden soll, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.

So wären laut einer Umfrage der ukrainischen Stiftung Demokratische Initiative nur etwa ein Drittel der Ukrainer bereit, die Handelsbeziehungen mit den Separatistengebieten wiederherzustellen, den beiden Regionen einen in der ukrainischen Verfassung garantierten Sonderstatus zuzubilligen oder Russisch offiziell zur Staatssprache zu machen. Einer Friedensmission im Donbas steht hingegen landesweit eine Mehrheit offen.

Wie funktioniert die Steinmeier-Formel?

Beim jetztigen Ukraine-Gipfel spielt die sogenannte Steinmeier-Formel eine Schlüsselrolle. Sie geht auf Ex-Aussenminister Frank-Walter Steinmeier zurück, der sie im Rahmen des Normandie-Quartetts von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine präsentierte. Steinmeiers Vorschlag soll die Umsetzung der Minsker Abkommen von 2014 und 2015 erleichtern.

Konkret geht es unter anderem um Kommunalwahlen, die in den umkämpften Gebieten stattfinden sollen, die von pro-russischen Rebellen kontrolliert werden. Steinmeier schlug für die Gebiete Donezk und Luhansk einen Sonderstatus für die Wahl vor. Internationale Wahlbeobachter sollen dann beurteilen, ob die Abstimmung frei und fair verlaufen ist, bevor es eine dauerhafte Regelung für die umstrittenen Gebiete gibt.

Die Ukraine fürchtet, dass den pro-russischen Kräften damit de facto eine Autonomie gewährt wird, während die Kämpfe weitergehen. Sie fordert deshalb zunächst eine vollständige Kontrolle über ihre Grenze, danach erst Wahlen und einen Sonderstatus.

Russland legt die Formel genau andersherum aus: Erst müsse es Wahlen unter einem Sonderstatus für Donezk und Luhansk geben, dann könne eine Entwaffnung der Rebellen erfolgen.

Bei dem Gipfel in Paris geht es nun um die Auslegung der Formel: Selenskyj stellte in einem „Spiegel“-Interview klar, die Ukraine werde sich „niemals“ auf Wahlen in den umstrittenen Gebieten ohne eine vorherige Entwaffnung der Rebellen einlassen.

Welche Rolle nimmt Deutschland in den Verhandlungen ein?

Deutschland drängt zu einer Lösung des Konflikts in der Ost-Ukraine. „Wir müssen beim Normandie-Gipfel alles dafür tun, Fortschritte im Friedensprozess in der Ukraine zu erreichen, sagte Bundesaussenminister Heiko Maas den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der Konflikt sei „eine seit Jahren schwelende Wunde in Europa“. Maas verwies darauf, dass Selenskyj „mit mutigen Schritten eine neue Dynamik in Gang gebracht“ habe. Zugleich sah er Putin in der Pflicht: „Um bei den schwierigen nächsten Schritten voranzukommen, muss auch Russland sich bewegen.“

Mit Material von dpa und AFP.