Tödliche Attacken auf der Straße: Wie sollten Sie auf Straßen-Pöbeleien reagieren? Eine ehrliche Antwort
by FOCUS Online, https://www.facebook.com/JulianM.RohrerEin Mann stirbt nach einer Auseinandersetzung in Augsburg. Er wird – offenbar nach einem Streit aus Nichtigkeiten – niedergeschlagen und überlebt die Folgen nicht. Viele Menschen fragen sich nun: Wie hätte ich in dieser Situation reagiert? Der Versuch eines Leitfadens.
Vorweg: Niemand kann rückblickend sagen, ob gewisse Methoden oder anderes Verhalten in Situationen wie in Augsburg oder in bekannten Zivilcourage-Fällen wie bei Tugce Albayrak oder Dominik Brunner geholfen hätten. Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer. Aber es gibt Taktiken, wie sich jeder auf derartige Situationen vorbereiten kann – um seine Chance zu erhöhen, glimpflich raus zu kommen.
Dazu haben wir mit Andreas Leffler gesprochen. Er blickt auf mehr als 30 Jahre Kampfsporterfahrung zurück und hat das Buch „Selbstverteidigung - Willkommen in der Realität“ (hier bestellen - Anzeige) geschrieben. Mit ihm gehen wir unterschiedliche Szenarien durch. Seine Antworten entmystifizieren den Straßenkampf und sind deshalb so hilfreich, weil sie brutal ehrlich sind.
Szenario A: Wir erkennen eine gefährliche Situation aus der Entfernung
Andreas Leffler: „Hier versuche ich, es gar nicht zu einem Risiko kommen zu lassen. Wie gelingt das? Indem ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Das geht ohne großes (Kampfsport-)Training. Auch ich – mit 31 Jahren Kampfsport-Erfahrung – versuche, gefährliche Situationen zu umgehen. Jugendliche pöbeln vor einem Club? Ich wechsele die Straßenseite. Es gibt einen Umweg, der mich zwar Zeit kostet, aber an einer verrufenen Gegend vorbeiführt? Dann nehme ich die Extrazeit in Kauf. Ich muss durch einen unbeleuchteten Park laufen, wenn ich nach Hause will? Dann nehme ich ein Taxi. Das mag banal sein, schließt eine gewisse Gefährdung aber aus.“
Szenario B: Wir geraten selbst in eine gefährliche Situation
Andreas Leffler: „Die Maxime ist: Defensiv neutral reagieren. Das ist schwierig, weil man Angst hat oder selbst wütend wird. Doch der eigene Stolz darf da keine Rolle spielen. Wenn der verletzt wird, ist das Ergebnis minimal im Vergleich zu allen anderen Szenarien, die passieren könnten.
Der Satz: In der Ruhe liegt die Kraft mag abgedroschen sein, aber er bedeutet in diesem Kontext viel.
Also: Ich bleibe ruhig und versuche herauszufinden, was der Gegenüber will. Will er nur provozieren? Deinen Geldbeutel? Das Gesicht vor seinen Freunden bewahren? Das sind völlig unterschiedliche Situationen. Auf gar keinen Fall reagiere ich mit Beleidigungen, auf gar keinen Fall lasse ich mich auf einen Streit ein. So komisch es klingt: Ich reagiere mit Respekt. Wenn rüberkommt, dass der fehlt, wird die Situation eskalieren – dabei ist es egal, ob der Aggressor besoffen ist oder gerade von seinen Kumpels aufgestachelt wird. In jedem Fall versuche ich, die Situation so schnell wie möglich zu verlassen.
Natürlich hilft mir Kampfsporterfahrung, um ein gewisses Selbstbewusstsein an den Tag zu legen. Wenn ich weiß, was ich kann, transportiere ich das auch nach Außen. Aber nur in Grenzen, weil: Ich will nicht provozieren mit meinen angeblichen Erfahrungen. Das kann ich auch nur jedem raten, der mal ein Selbstverteidigungsseminar gemacht hat: Rudimentäres Verständnis von Techniken reicht nicht, nur konsequentes Üben helfen, in einer aufregenden Situation zu wissen, was ich tun muss.“
Stress vermeiden - Contenance bewahren - so geht's
Szenario C: Wir werden Zeuge einer gefährlichen Situation
Andreas Leffler: „Sofort die Polizei rufen. Ohne darüber nachzudenken. Da muss man sich nicht schämen. Wenn man eingreift: Man wird vermutlich auch selbst zum Opfer. Wahrscheinlich zieht man die Aufmerksamkeit sogar auf sich und das eigentliche Opfer macht sich davon. Das wird in vielen Selbstverteidigungsseminaren falsch rübergebracht.
Deswegen: Spiele nicht den Helden.
Aber bedeutet das, dass man keine Zivilcourage zeigen darf? Nein, man muss es nur klug angehen. Ich spreche Umstehende oder Zeugen direkt an: ‚Du mit der blauen Jacke, hilf mir!‘ Ich gehe gemeinsam mit anderen in die Situation. Man muss klarmachen: Es gibt keine Einzel-Helden, sondern eine Gruppe, die verhindern will, was da gerade passiert. Und sonst warte ich im Zweifel auf die Polizei.“
Szenario D: Der Kampf ist unvermeidbar
Andreas Leffler: „Jetzt muss ich agieren. Ich atme weiter! Ich passe auf, dass niemand in meinem Rücken steht, damit ich Rückzugsmöglichkeiten frei habe. Stehe ich gut, der Angreifer aber schlecht? Ich versuche, den Blick so offen zu halten, dass ich auch im Kampf sich auftuende Fluchtrouten sehen kann.
Angst ist nicht schlecht aber dennoch nur ein bedingt guter Ratgeber. Ich versuche, so ruhig wie irgendmöglich in die Sache zu gehen, wenn sie sich eh nicht mehr ändern lässt. Wut ist ein ganz schlechter Ratgeber, da man dann einen Tunnelblick bekommt und beispielsweise so wütend auf den Angreifer einschlägt, dass man das plötzlich aufblitzende Messer des zweiten Angreifers übersieht.
Ich erkenne dumme Aktionen und vermeiden sie selbst. Wenn mich z.B. der Angreifer mit beiden Händen an der Jacke packt, dann ist mir ja noch nichts passiert, er aber hat seine beiden Hände beschäftigt, während meine Hände noch frei sind.
Ich schreie laut, um Aufmerksamkeit von Passanten/Anwohnern auf mich zu ziehen. Ich nutze die Überraschung, wenn möglich. Ich schütze meinen Kopf. Was, wenn er eine Waffe hat? Habe ich Hilfsmittel zur Hand, die ich bislang übersehen habe? Einen Stock am Boden, ein Bierglas oder etwas ähnliches? Eine eigene "Waffe", auch wenn sie improvisiert ist, kann hier Leben retten.
Generell aber zum Thema eigene Waffe: Nimm nie eine Waffe mit, wenn du nicht vor hast, sie zu benutzen. In dem Moment, wo du eine Waffe ziehst, veränderst du eine Schlägerei in eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod, das weiß auch dein Angreifer. Wenn du die Waffe aber eigentlich gar nicht nutzen willst oder nicht weißt, wie man sie nutzt, dann riskierst du, dass dein Angreifer plötzlich um sein Leben, also umso härter kämpft. Im schlimmsten Fall wird die Waffe gegen dich verwendet.
Und immer wieder: Versuche, jede Möglichkeit zur Flucht zu nutzen, die sich dir bietet.“
Wenn Sie angegriffen werden: Diese Waffen hat jede Frau in ihrer Handtasche
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