Ein Problem mit der Mentalität?
Der FC Bayern ist sich selbst ein Rätsel
by Tobias NordmannNach vier souveränen bis beeindruckenden Siegen aus den ersten vier Spielen bricht beim FC Bayern ein grenzloser "Hansi"-Hype aus. Nach zwei nicht erklärbaren Niederlagen wird die Euphorie aber von Enttäuschung abgelöst. Und die Münchner suchen nach Antworten.
Huub Stevens war fassungslos. Dass Javi Martinez in der 90. Minute all seine baskische Wucht - die wird mit rund 86.000 Gramm bemessen - in eine Grätsche gegen den französischen Spitzenathleten Marcus Thuram legte, das wollte die Trainer-Legende einfach nicht verstehen. Der Franzose, so fand Stevens beim Fußball-Talk "Doppelpass", hätte den Ball erstmal nicht aufs Tor bringen können. Folglich war das Tackling eine Idee ohne Not. Ein Tür-Rücköffner für die Krise, die dem "Hansi-Hype" aus elf Metern schließlich eine amtliche Watschn verpasste. Rami Bensebaini traf zum 2:1, nachdem er zuvor schon das 1:1 erzielte hatte. Borussia Mönchengladbach verteidigt die Tabellenführung und der FC Bayern steht nach Spieltag 14 so schlecht da wie noch nie seit Einführung der Drei-Punkte-Regel. Nämlich als Siebter.
Zum zweiten Mal nacheinander haben die Münchener in der Liga verloren. Das klingt irgendwie historisch. Tatsächlich gab es das zum Wechsel von September auf Oktober 2018 aber schon mal. Aber was ist die Wahrheit schon gegen das Gefühl? Und das Gefühl beim FC Bayern verheißt grad nichts Gutes. Joshua Kimmich, den das Niederlagen-Doppel trotz dreieinhalb guter bis sehr guter Halbzeiten nun fast zum "durchdrehen" brachte, ahnt, dass das Münchener Meistergesetz im kommenden Sommer überarbeitet werden könnte. Nicht mehr nur eine ambitionierte Mannschaft, wie in der vergangenen Saison, steht nun vor dem Rekord-Champion, sondern gleich sechs!
Nun ist aus Leverkusen (6.), aus Freiburg (5.) und aus Gelsenkirchen (4.) nichts von Titelträumen zu hören, dafür aber geben Mönchengladbach und Leipzig ihre Zurückhaltung in der Angelegenheit "Schale" mehr und mehr auf. Borussia Dortmund hatte seine Meister-Hemmungen ja bereits im Sommer fallen gelassen, berauscht von der eigenen Einkaufspolitik - die es nun im Winter allerdings teilweise zu korrigieren gilt. Ein neuer Angreifer soll her. Womöglich Erling Braut Haaland, das Schnäppchen-Sturm-Wunder von RB Salzburg. Wobei die Diskussion nach noch mehr offensiver Wucht nach Spielen wie gegen Fortuna Düsseldorf (5:0) am Samstag ja immer ein wenig niedlich wirkt. Aber weil es eben auch ein paar andere Auftritte gab, ist eine stabile Option im Zentrum eine gute Idee.
Plötzlich verkümmert die Kaltschnäuzigkeit
In München wären sie noch zwei Wochen nie auf die Idee gekommen, über ihren Angriff zu diskutieren. Zu viel Spektakel bot Serge Gnabry, zu gierig war Robert Lewandowski, zu viel Potenzial versprach Kingsley Comen und selbst Thomas Müller wirkte so vital, dass alle Debatten um seine Nothelfer-Degradierung verstummten. Dann aber kam Leverkusen. Und dann ging es nach Gladbach. In beiden Spielen zusammen feuerten die Bayern 41 Mal aufs Tor, der kümmerliche Ertrag: zwei Treffer. Und halt zwei 1:2-Niederlagen. Die allerdings mit völlig unterschiedlichen Stimmungen bewertet wurden. "Sehr viel Gutes" sah Müller noch gegen Bayer, einzig die "nie dagewesene Ineffizienz" würde die Mannschaft ärgern.
Gegen die Borussia nun hätte die Münchener die Sätzen wiederholen können. Niemand hätte von einer falschen Wahrnehmung gesprochen. Zumindest nicht 50 Minuten. Denn so lange war der FC Bayern sehr dominant. Hätte die Meisterfrage beantwortet werden müssen, die Antwort wäre eindeutig gewesen. Doch mit der Führung, brach das Dominanz-System in sich zusammen, was auch mit Systemkorrekturen des Gegners zu tun hatte. Und so rätseln sie jetzt, wie ein derartiger Kontrollverlust zustande kommen kann. Mit nun aber deutlich dramatischeren Sätzen. "Das Selbstverständnis hat gefehlt. Wir machen das 1:0 und hätten so weiterspielen müssen. Wir hätten nicht abwarten dürfen. Das Ergebnis über die Zeit bringen, bringt nichts bei unserem Fußball", fand Kapitän Manuel Neuer. Und Müller sagte: "Das Spiel in dieser Situation zu verlieren, ist brutal."
"Sehr, sehr unzufrieden", war auch Trainer Hansi Flick. Jener Interim, der den erfolgreichsten Start eines Bayern-Trainers hingelegt hatte, dessen neue Spielidee sie in München bereits gefeiert hatten. Und den Jupp Heynckes mit Nachdruck für eine neue Epoche empfohlen hatte. Nach einer starken Halbzeit "haben wir das Fußballspielen vergessen", urteilte er. Manchmal, so sagte er, "fehle ihm die Entschlossenheit". Ein Problem mit der Mentalität? Kimmich deutete da zumindest so etwas an: "Wer es jetzt noch immer nicht begriffen hat und glaubt, das wird schon wie die letzte Saison, der ist fehl am Platz."
In einer Welt zwischen Hype und Hexenjagd kam aber natürlich auch die Frage nach Hansi Flick auf. Und die Bayern gehen überraschend gelassen mit dem Thema Trainer um: "Genauso, wie wir nach Siegen Ruhe bewahrt haben, muss man auch jetzt Ruhe bewahren und trotzdem nach innen sehr ehrlich sein", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic. In der Winterpause wird analysiert, ob es mit Flick oder einem anderen Coach weitergeht. "Wir haben auch heute in der ersten Halbzeit gesehen, dass es läuft. Nein, da hat sich nichts verändert." Nur das Gefühl. Und das wirkt ja stärker als die Wahrheit.