Vinzi-Bett steht vor dem Abriss
by Christine ImlingerDie Einrichtung Vinzi-Bett der Vinzi-Werke sucht dringend ein neues Quartier. 2021 wird das Gebäude abgerissen, 50 Menschen stünden dann wieder vor der Obdachlosigkeit.
Wien. Walter hat es aus der Obdachlosigkeit geschafft. In ein paar Tagen, vermutlich kommende Woche, wird er seine erste eigene Wohnung beziehen. Er hat auch einen Teilzeitjob und eine abgeschlossene Lehre – damit steht er wieder so fest auf eigenen Beinen, wie er das lang selbst nicht geglaubt hat. Walter ist Niederländer, auch ist Walter nicht sein richtiger Name, aber er klingt seinem niederländischen Namen ähnlich, sagt er. Mit seinen Eltern musste er seine halbe Jugend lang quer durch Europa ziehen. Irgendwann ist die Familie in der Nähe von Linz gestrandet, Walter war damals 16 Jahre alt.
Er begann eine Lehre, es kam zum Bruch mit der Familie, er brach die Lehre ab, weil er wegen der Berufsschule in Wien war, blieb er einfach da. Der hagere junge Mann mit den langen blonden Haaren hatte keinen Anspruch auf Sozialleistungen, und schlug sich zwei Jahre so durch, bis er irgendwann zur Notschlafstelle Vinzi-Bett in die Ottakringer Straße geschickt wurde. Hier, erzählt er, hat er erstmals wieder so etwas wie ein Zuhause, eine Gemeinschaft gefunden. Er blieb rund zwei Jahre. Kontakt mit der Familie gibt es seit Jahren keinen. Warum seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern – auch die leben heute verstreut in Europa – umhervagabundierten, weiß er nicht genau. Es tut für ihn nicht mehr viel zur Sache, mit 22 Jahren, sagt er, steht er nun auf eigenen Beinen.
Und mit dem Umzug endet für ihn eine Herbergsuche, die für die Vinzi-Werke noch läuft: Die Notschlafstelle muss aus dem Gebäude in der Ottakringer Straße nach mehr als zehn Jahren ausziehen. Spätestens Mitte 2021 muss das Haus nahe dem Yppenplatz geräumt sein, dann wird es abgerissen, der Neubau wird keine Notschlafstelle mehr beherbergen.
„Wir suchen ganz, ganz dringend“, sagt Gabi Damm, die Obfrau der Einrichtungen Vinzi-Bett und Vinzi-Shop, der gegenüber der Notschlafstelle liegt. Die Suche läuft schon seit mehr als einem Jahr, und sie gestaltet sich schwierig. Schließlich sollte das neue Quartier wieder Platz für rund 40 bis 50 Menschen bieten, in 15 bis 20 Zimmern, dazu Aufenthaltsräume, Küche – und eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr wäre auch von großem Vorteil.
„Es muss einfach gelingen, dass wir etwas finden, diese Menschen stehen sonst wieder vor der Obdachlosigkeit“, sagt Damm.
Damm ist eigentlich Grafikerin, sie lebt in der Nähe und hat vor einem halben Jahr die ehrenamtliche Obfrauenschaft der zwei Einrichtungen übernommen. Zuvor hatte sie zwei Jahre lang Kochdienste geleistet. „Ich war in einer Lebenssituation, in der ich das Gefühl hatte, ich habe ein Übermaß an Liebe in meinem Leben“, sagt Damm. Diese wollte sie spenden.
„Hier spürt man die Wärme“
„Man spricht heute so viel von sozialer Wärme. Hier wurde ein Haus geschaffen, in dem man diese Wärme spürt. Ich war von Anfang an gern hier“, sagt Damm. Nun ist sie die Obfrau des Hauses, das längst mehr als nur die Notschlafstelle ist, als die es konzipiert wurde. Viele Gäste, die von Anfang an gekommen sind, sind alt geworden. Über 80-Jährige, sagt Damm, wollte man nicht mehr tagsüber auf die Straße schicken. Nun können sich einige Gäste auch tagsüber hier aufhalten, haben ihre fixen Betten.
Mitarbeiter gibt es nicht, der gesamte Betrieb, von der Organisation bis zum Kochen des täglichen gemeinsamen Abendessens, wird von Ehrenamtlichen übernommen. „Es ist erstaunlich, dass es so gut funktioniert“, sagt Damm. Auch, weil viele Stammgäste mitwirken. Sie übernehmen Arbeiten, und mitunter kommen sie als Mitarbeiter in den Vinzi-Werken unter.
Wie Walter, der seine Lehre als Einzelhandelskaufmann im Sozialmarkt Vinzi-Markt gemacht hat und nun dort arbeitet. Er ist mit seinen 22 Jahren einer der Jüngsten, die in der Notschlafstelle Vinzi-Bett leben, die meisten Gäste sind Männer über 50. Bei den älteren Männern ist es schwer, noch einmal den Ausstieg aus der Obdachlosigkeit, eine Wohnung, Arbeit, zu finden. Walter aber erzählt von mehreren jungen Männern, die er hier getroffen hat, denen das gelungen ist. Einer zum Beispiel ist jetzt Koch in Salzburg. Ohne Vinzi-Bett, sagt Walter, wäre es schwer gewesen, wieder auf die Beine zu kommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2019)