«Opfern droht Ersticken oder Verbrennen»

Vor vulkanischen Asche-Gas-Strömen kann man fast nicht fliehen, sagt ETH-Vulkanologe Peter Ulmer. Er klärt über die Gefahren bei Vulkanausbrüchen auf.

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Ein Vulkanausbruch auf der neuseeländischen Insel White Island hat mindestens fünf Menschen das Leben gekostet. 18 Personen wurden verletzt – mehrere weitere werden noch vermisst. (9. Dezember 2019)
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Rund 50 Personen hatten sich zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs auf der Insel aufgehalten.
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Rettungskräfte bringen kurz nach dem Vulkanausbruch Touristen von White Island weg.
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23 Menschen konnten von der Insel gerettet werden – fünf von ihnen starben. 18 weitere wurden teils schwer verletzt.
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Verletzte Personen werden ins Spital gebracht.
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Eine Frau wurde in ein warmes Tuch eingewickelt.
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Der Vulkanausbruch ereignete sich um 14.10 Uhr nachmittags (Ortszeit).
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Eine unbekannte Zahl von Menschen wird noch immer vermisst.
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Es gebe keine Lebenszeichen, erklärte die Polizei am Abend.
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White Island liegt etwa 50 Kilometer nördlich der Küste von Neuseelands Nordinsel. Selbst von dort aus war die riesige Aschewolke über der Insel zu sehen.
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Neuseeland liegt auf dem sogenannten Pazifischen Feuerring, der geologisch aktivsten Zone der Erde.
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Der Vulkan auf White Island wird von den Maori-Ureinwohnern Whakaari genannt. Er ist der aktivste Vulkan Neuseelands. Der letzte grössere Ausbruch war 2016. Damals wurde niemand verletzt.
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Die Insel wurde 1769 von dem britischen Seefahrer James Cook entdeckt, der ihr auch den Namen gab. Grund dafür war, dass White Island ständig in einer Wolke von weissem Dampf und Rauch erschien.
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Mehrere Unternehmen bieten heute Tagestouren für Touristen an. Die Insel wird pro Jahr von etwa 10'000 Ausflüglern besucht.

Herr Ulmer, als der Vulkan auf White Island ausbrach, befanden sich Touristen auf dem Vulkan. Warum wurde keine Warnung ausgesprochen?
Die Warnstufe vor der Eruption war seit Anfang Dezember auf Stufe 2, das heisst «mittlere bis erhöhte Ausbruchsgefahr». Doch die neuseeländischen Vulkanologen haben offensichtlich keine unmittelbare Eruption des als aktiv geltenden Vulkans erwartet. Trotzdem: Die neuseeländischen Behörden wissen, was sie machen. Es kann einfach immer mal wieder passieren, dass ein Vulkan relativ unerwartet ausbricht.

Ist es nicht möglich, Vulkanausbrüche vorherzusagen?
Meist kommt es im Vorfeld eines Ausbruchs zu kleinen Erdbeben. Sind diese aber zu schwach, dann wird die Gefahr nicht registriert und es ergeht keine Gefahrenmeldung. Die Vulkanologen haben hier zwar eine erhöhte Aktivität, jedoch vorwiegend Gasaustritt und nur wenig Erdbeben festgestellt, deshalb wurde keine höhere Warnstufe verfügt. Grundsätzlich nimmt man die Warnstufen in Neuseeland aber ernst. Auch die Tourguides halten sich daran, sie würden ansonsten ihre Lizenz verlieren.

Wie muss man sich den Vulkanausbruch vorstellen?
Vulkanausbrüche verlaufen unterschiedlich, je nachdem, um was für eine Art von Vulkan es sich handelt. Diese werden voneinander unterschieden aufgrund der Zusammensetzung ihres Magmas. Bei White Island handelt es sich um eine vulkanische Explosion mit viel Asche und teilweise grösseren Fragmenten (Bomben). Die Aschesäule ist auf eine Höhe von vier Kilometern aufgestiegen und der Ascheregen ging fast ausschliesslich auf die Insel nieder. Der Vulkan ist ein sogenannter Schichtvulkan, bei dem explosive Tätigkeit und Lavaströme sich abwechseln. Bei diesem Typ ist es notorisch schwierig, genauere Aussagen über die Art und Zeitpunkt der nächsten Eruption zu machen.

Welche Gefahren bestehen dabei?
Im konkreten Fall waren Verbrennungen durch die niedergehende heisse Asche und Gase sowie glühende Gesteinsbrocken verantwortlich für die Verletzungen und wahrscheinlich auch den gemeldeten Todesfall. Grundsätzlich stellen aber pyroklastische Ströme die grösste Gefahr dar bei Vulkanausbrüchen. Dabei handelt es sich um sehr feine vulkanische Asche, die mit austretenden Gasen zusammen in enormem Tempo die Hänge hinuntergleitet. Vor ihnen kann man fast nicht fliehen, und wenn sie einen erreichen, verbrennt man. Solche wurden aber noch nicht gemeldet. Daneben besteht das Risiko, aufgrund von hohen Aschekonzentrationen in der Luft zu ersticken. Und von den sogenannten Auswürflingen, also Gesteinsbrocken, die durch die Luft geschleudert werden, geht die Gefahr des Erschlagenwerdens aus.

Kann man sich in Sicherheit bringen?
Wenn man die Gegend kennt und weiss, wohin man fliehen sollte, ist es unter Umständen möglich, vor der Gefahr davonzurennen. Bei den pyroklastischen Strömen kann man auf die Seite fliehen, da diese sich immer von oben nach unten bewegen. Und natürlich ist es am besten, sich so weit wie möglich vom aktiven Vulkan wegzubewegen, um nicht von herunterkommenden Brocken getroffen zu werden. Diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs im Krater befunden haben, sind laut dem neuseeländischen Geologischen Institut aber extrem gefährdet. Da White Island sehr klein ist, waren wohl auch die Touristen an der Küste, die den Ausbruch fotografisch festgehalten haben, in Gefahr.

Besteht weiterhin eine Gefahr für die Menschen vor Ort?
Auch jetzt ist die Situation noch nicht vollständig ungefährlich, auch wenn sich die Lage beruhigt hat. Man geht davon aus, dass es in ungefähr 24 Stunden zu einer weiteren Eruption kommen könnte. Trotzdem können Einsatzteams jetzt Rettungen vornehmen. Die Rettungskräfte sind dabei aber nicht in Gefahr. Sie sind mit Helikoptern unterwegs und suchen nach Überlebenden. Bis zu zwanzig Personen könnten immer noch fehlen, deren Überlebenschancen möglicherweise gering sind. Erstickungsgefahr wegen des Asche in der Luft besteht zurzeit ebenfalls nicht mehr. Die Aschewolke war vier Kilometer hoch nach dem Ausbruch, doch sie zog relativ schnell davon.

Wie viele Vulkane sind derzeit weltweit aktiv?
Gemäss dem Global Volcanism Program wurden im Jahr 2019 45 Vulkanausbrüche verteilt über den ganzen Globus registriert. Die meisten davon ereigneten sich entlang des Pazifischen Feuerrings. Gegenwärtig sind weltweit 15 Vulkane aktiv.

Wann kam es das letzte Mal zu einem grösseren Vulkanunglück?
Grundsätzlich kann man sagen, dass grössere Ausbrüche sich alle 10 bis 15 Jahre ereignen, zu grossen Ausbrüchen kommt es nur ein- bis zweimal pro Jahrhundert. Das letzte grosse Vulkanereignis, bei dem es zu Toten kam, ereignete sich 2018 in Anak Krakatau in Indonesien. Dabei liessen 437 Menschen ihr Leben.