https://p5.focus.de/img/fotos/origs9969299/1885291802-w630-h427-o-q75-p5/abgelehnte-asylbewer-59183876.jpg
Sebastian Willnow/dpa-Zentralbil Abgelehnte Asylbewerber werden von Polizisten zur Abschiebung begleitet.

Angespitzt von Ulrich Reitz: Flüchtlinge, Sicherheit: SPD ignoriert Anliegen ihrer Wähler und macht großen Fehler

by

Saskia Esken werden inzwischen alle kennen. Aber kennen sie auch Hans-Joachim Fuchtel? Nein? Ein Fehler. Denn Fuchtel hat Esken besiegt, und zwar gleich drei Mal hintereinander.

Stets gegen denselben Gegner im selben Wahlkreis zu verlieren, ist nicht so einfach.  Wir wissen nicht, ob die Wähler in Calw, das liegt im Württembergischen, an Fuchtel schätzen, dass der seit 20 Jahren Vorsitzender des Blasmusik-Kreisverbandes ist, in dem immerhin 2200 Musiker organisiert sind, wie Fuchtel auf seiner Website vermerkt.

Wir wissen auch nicht, ob Fuchtel ein Sieger-Gen in sich trägt oder ob die Menschen im Schwarzwald es schätzen, wenn man zu Ende bringt, was man angefangen hat, sein Studium etwa - Fuchtel ist Volljurist, Esken studierte abschlussfrei. 

Über den Autor: Ulrich Reitz

Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance seiner Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.

Vielleicht liegt es auch am Sozialismus, von dem Esken träumt, Fuchtel aber nicht. Dass die Mitglieder der SPD sich gleichwohl für die Erfolglos-Frau Esken entschieden, zeigt womöglich den Abstand zwischen der SPD und dem Wahlvolk. Andererseits: Hätte die SPD darum Herrn Fuchtel von der Christenunion zum SPD-Vorsitzenden machen sollen? Eher nicht.

Bei "neuer" SPD ist alles alt

Aber dass es für sie keine Rolle spielte, ob die und der neue überhaupt je erfolgreich in Wahlen waren - waren sie nicht - zeugt dann doch von sehr selbstbewusster Abgehobenheit - SPD: völlig losgelöst. Eine Ex-Volkspartei. Jene „Erneuerung“ der SPD, die nun stattgefunden haben soll, besteht in der weitgehenden Abschaffung von Hartz 4, der Einführung einer Vermögenssteuer und höheren Schulden, damit der Staat mehr investiert. Daran ist allerdings gar nichts neu, sondern alles alt. 

Die ausgerufene Erneuerung der SPD ist tatsächlich eine Rolle rückwärts. Es geht nicht vorwärts in die neue Zeit, sondern zurück in die Vergangenheit. In eine alte Zeit, in der die Gerechtigkeitsfrage noch für ungefähr 40 Prozent der Wählerstimmen taugte. Das ist längst vorbei, und die Gerechtigkeitsproblematik hat sich aus der Sicht ehemaligen SPD-Wähler längst auch weiterentwickelt.

Wer zum Beispiel heute Schulden macht, muss morgen die Steuern erhöhen. Von den frischen Schulden leben die Menschen heute zu Lasten der Steuerzahler von morgen. Was ist daran gerecht?  Bei Hartz 4 sollen nach dem Willen der neuen SPD-Führung die Sanktionen für jüngere Menschen, die ihren Pflichten auf dem Amt nicht nachkommen, abgeschafft Werden.

Ist bedingungsloses Grundeinkommen gerecht?

Weshalb werden gerade den Jungen die Sanktionen genommen - stuft man ausgerechnet sie jetzt als nicht mehr erziehbar ein? Ist das etwa die Vorwegnahme eines bedingungslosen Grundeinkommens, von dem SPD und Gewerkschaften bislang nichts wissen wollten?  Und die Kindergrundsicherung - bis zu 478 Euro für Jugendliche ab 14 Jahren, wenn ihre Eltern geringe Einkommen haben - soll das etwa ein Anreiz sein für langzeitarbeitslose Eltern, wieder arbeiten zu gehen?

Und soll diese üppige Alimentieren allen zugutekommen, auch jenen, die in dieses soziale Sicherungssystem nie eingezahlt haben - Wirtschaftsflüchtlinge etwa? Und wie will die SPD Geringverdienern, von denen heute, etwa im Ruhrgebiet, etliche die AfD wählen, erklären, dass dies sozial gerecht sein soll?  Darüber hat dieser angebliche Programmparteitag nicht geredet.

Über Flüchtlinge und Sicherheit debattiert SPD nicht

Überhaupt ist interessant, worüber die SPD nicht geredet, geschweige denn debattiert hat. Über Sicherheit und Ordnung nämlich, was der SPD früher einmal sehr wichtig war. So wichtig, dass sich der letzte erfolgreiche SPD-Vorsitzende, Gerhard Schröder, in Otto Schily einen Roten Sheriff hielt und persönlich versprach, kriminelle Ausländer sofort abzuschieben, und damit basta.

Schröder wusste noch, dass gerade die beschworenen kleinen Leute ihre persönliche Sicherheit vor ungeordneten Verhältnissen und Kriminalität ohnehin als vornehmste Aufgabe des Staates sehen, und keineswegs nur die Herstellung sozialer Sicherheit.  Der wichtigste SPD-Mann für die innere Sicherheit kommt aus Niedersachsen, heißt Boris Pistorius und hat gerade im Vorsitzenden-Wettbewerb unter ferner liefen abgeschnitten.

Nicht geredet hat die SPD über die Flüchtlinge, und ebenso wenig über die Seenotrettung, die einerseits Menschen rettet, andererseits aber Schleuser, also organisierte Kriminelle, reicher macht. In der evangelischen Kirche, die selbst ein Schiff schicken will, wird darüber wenigstens kontrovers diskutiert - in der SPD - Fehlanzeige. Und auch das relative Versagen der Behörden bei der Abschiebung von Nicht-Schutzbedürftigen war der SPD nicht der Rede wert. 

Gar nicht erst ernsthaft diskutieren will die SPD über andere Fragen der Sicherheit - etwa darüber, ob nicht doch der deutsche Verteidigungsbeitrag steigen sollte, zumal der Bundesaußenminister zuletzt zugab, dass man ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten Deutschland nicht verteidigen könne. Wurde deshalb Heiko Maas peinlicherweise erst im zweiten Wahlgang in den Vorstand der SPD gewählt? 

SPD ist gespalten

Auch eine andere Frage der sozialen Gerechtigkeit blieb außen vor. Sie hat zu tun mit dem Euro und der Rettung der Griechen, also dem Umstand, der vor ein paar Jahren die AfD erst groß gemacht hat. Deutschland, schrieb aktuell der „Spiegel“ auf, ist pro Kopf der größte Nettozahler in Europa, die Griechen profitieren pro Kopf mit jährlich 1049 Euro. Ist das sozial gerecht?  Bisher, das war vor der Neuwahl ihrer Führung, war die SPD vor allem gespalten zwischen rechts und links, zwischen boom-städtisch grün (Klima, Gender, Multikulti) und abstiegs-städtisch konservativ (Rente, Mitbestimmung, Sicherheit).

Vielleicht auch noch zwischen Alt und Jung. Neuerdings ist die SPD auch noch gespalten zwischen Establishment und Anti-Establishment, zwischen dieser neuen Parteiführung, welche die SPD-Mitglieder aus dem Nichts aufsteigen ließen, einerseits, und den sozialdemokratischen Ministern sowie der Fraktion andererseits, die für ein „Weiter so“ in der Großen Koalition stehen.

Eine mehrfach gespaltene Partei, die ihr Profil ohne Not verzwergt auf das Soziale und die Sicherheitsbedürfnisse ihre Ex-Stammwähler ignoriert - kann man damit Staat machen? Und falls es stimmt, dass die SPD womöglich untergeht, wer beerbt sie dann? Die Akademiker ließen sich vielleicht so aufteilen: Die Grünen holen sich die Klimabewegten, die Union die Staatstreuen, die FDP die Linksliberalen. Und wer krallt sich die Verunsicherten, Enttäuschten, Abgehängten, Abstiegsgeplagten? Das sind nicht wenige Wähler. Und auf die freut sich dann wohl die AfD.

Im Video: Ein Meter Schnee, Orkanböen bis 160 km/h: Wintersturm Siro rollt auf Europa zu

https://p5.focus.de/img/fotos/crop11440285/2637014890-cv16_9-w630-h355-oc-q75-p5/de-standbild181.jpg
Im Video: Ein Meter Schnee, Orkanböen bis 160 km/h: Wintersturm Siro rollt auf Europa zu