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Rusada-Chef Jurij Ganus

"Die sauberen Sportler sind die Leidtragenden"

Im Manipulationsskandal wurde Russland für vier Jahre gesperrt. Das russische NOK will dagegen Einspruch einlegen. Jurij Ganus, der Chef der russischen Antidopingagentur Rusada, hält das für falsch.

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Nach der Entscheidung der Welt-Antidopingagentur (Wada), Russland für vier Jahre zu sperren, spricht der Chef der russischen Antidopingagentur Rusada, Jurij Ganus, von einer "Tragödie": "Sie war abzusehen - und das ist das Schlimme", sagte er dem SPIEGEL. "Mich macht es unzufrieden, dass die Leidtragenden des Skandals die Sportler sind. Sie sind die Geiseln dieses Schreckens, das ist die eigentliche Tragödie", sagte Ganus. Nun würden nicht Strafen gegen diejenigen verhängt, die die Daten manipuliert haben, sondern gegen Sportler.

Die russischen Offiziellen hätten nicht vermocht, die Fragen der Wada im Skandal um manipulierte Testdaten zu beantworten, so Ganus. Dabei seien sie die Verantwortlichen. Moskau hatte zugesichert, Kontrolldaten von Sportlern aus einem Moskauer Antidopinglabor der Wada zu übergeben.

Allerdings wurden diese laut Welt-Antidopingagentur gleich zweifach manipuliert: Zum einen wurden mehrfach auch noch Anfang 2019, also zu einem Zeitpunkt, als die Informationen von Sportlern eigentlich schon der Wada hätten übergeben werden sollen, tausendfach Daten gelöscht und verändert. Zum anderen wurden Datensätze so verändert, dass der Kronzeuge des russischen Dopingskandals, der ehemalige Leiter des Antidopinglabors Grigori Rodtschenkow, als Lügner dastehen sollte.

Wunsch nach einem Wandel im russischen Sport

Die Entscheidung des Wada-Exekutivkomitees am Montag sei erwartbar gewesen: "Dass sie einstimmig getroffen wurde, sagt alles", sagte Ganus. Der Rusada-Chef appellierte noch einmal, endlich einen Wandel im russischen Sport einzuleiten. In den staatlichen und staatsnahen russischen Medien wurde seit Tagen über eine angebliche Kampagne gegen Russland berichtet. "Es gibt keine Kampagne gegen Russland, in der ganzen Welt wird gegen Doping gekämpft - und wir müssen es endlich auch tun."

Ganus hofft, dass die russische Führung nun endlich etwas unternimmt: "Das ist der Moment der Wahrheit für die russischen Sportbehörden; es ist notwendig, Schritte einzuleiten. Wir brauchen die Unterstützung der Spitze Russlands."

Die Rusada werde weiter alles unternehmen, um den russischen Sport "zu erneuern", sagte Ganus. "Wir verstehen uns als Brücke für all jene, die für einen sauberen Sport in Russland eintreten." Die Wada hatte der russischen Antidopingagentur Rusada "effektive Arbeit" bescheinigt und sie damit explizit aus dem Datenskandal herausgenommen. Ganus selbst hatte die Datenmanipulationen öffentlich gemacht. Dennoch wird die Rusada nun bis 2023 offiziell suspendiert, die Regeln der Wada sehen vor, dass Sanktionen gegen die jeweilige nationale Antidopingagentur ausgesprochen werden.

Russland hat 21 Tage Zeit, Einspruch einzulegen. Dann wird der Internationale Sportgerichtshof Cas eine Entscheidung fällen. Die Rusada wird nicht vor Gericht gehen, das betonte Ganus noch einmal am Montag. Er hält diesen Weg für falsch.

"Was heute passiert ist, ist eine Schande"

Moskau werde für seine Sportler kämpfen, kündigte die heutige Parlamentsabgeordnete und ehemalige Eisschnellläuferin Swetlana Schurowa an. Russland werde die Strafen beim Cas anfechten, sagte der Parlamentsabgeordnete Dmitri Swischtschow, Sportausschuss der Staatsduma.

Sportminister Pawel Kolobkow betonte, dass es noch zu früh sei, über Strafen gegen Russland zu sprechen. Sollte Moskau gegen die Wada-Entscheidung klagen, werden alle Beweise neu geprüft. Das sei ein "breites Feld für Juristen". Russland habe alles probiert, um den Skandal zu lösen, alle Fragen der Wada beantwortet, behauptete er.

Premierminister Dmitrij Medwedew nannte die Entscheidung der Wada "eine Fortsetzung der antirussischen Hysterie, die eine chronische Form angenommen hat". Er äußerte sich als erster hochrangiger russischer Politiker. Er sprach sich dafür aus, dass Russland Einspruch gegen die Entscheidung einlegen solle.

"Die Sanktionen der Wada sind unangemessen und unlogisch", sagte Stanislaw Posdnjakow, Präsident des Russischen Olympischen Komitees (NOK). In den kommenden zehn Tagen wird der Aufsichtsrat der Rusada, zu dem auch das NOK und Paraolympische Komitee des Landes gehört, eine Entscheidung über eine Klage fällen.

"Was heute passiert ist, ist eine Schande", schrieb Hochsprung-Weltmeisterin Mariyauf Lasitskene auf Instagram. Sie habe nie an die Geschichte der russischen Offiziellen geglaubt, alles werde gut. Sie werde weiter für sich kämpfen, für ihren Sport - auch unter neutraler Flagge, auswandern werde sie nicht. "Es ist nur beschämend, dass die Athleten allein in ihrem Kampf sind, und die Sportverantwortlichen uns die ganze Zeit nur mit Worten verteidigen."

Lasitskene ist eine der wenigen russischen Sportler, die sich immer wieder kritisch öffentlich zu den Zuständen des Sportes in ihrem Land äußert.

Mitarbeit: Alexander Chernyshev