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Ein Landwirt sprüht Glyphosat aufs Feld.© APAweb / afp/Jean-Francois Monier

Glyphosat-Verbot verzögert sich um drei bis 18 Monate

Staatsrechtler Bußjäger spricht von einem "ordentlichen Fehler, der da passiert ist". Umwelt-NGOs sind verärgert, die Landwirtschaftskammer erfreut. Die SPÖ stellt einen neuen Gesetzesantrag im Parlament.

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Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hatte bekannt gegeben, das im Juli vom Nationalrat beschlossene Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat wegen eines "Formalfehlers" nicht kundzumachen. Das Gesetz hätte der EU im Voraus zur Notifizierung übermittelt werden müssen, was aber nicht geschehen ist.

Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" sagt Peter Bußjäger, Professor für Staatsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht an der Universität Innsbruck nun, dass sich damit das Verbot im besten Fall um drei Monate, im schlechtesten Fall um achtzehn Monate verzögern wird. "Das ist ein bisschen mehr als ein Formalfehler, das ist schon ein ordentlicher Fehler, der da passiert ist."

Notifizierung ist bei "technischen Vorschriften" Pflicht

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Bundeskanzlerin Bierlein segnet das Verbot nicht ab. - © APAweb / afp/John Thys

Die Notifizerung von nationalen Gesetzen hat den Sinn, unnötigen Handelshemmnissen innerhalb der EU durch technische Vorschriften, die einzelne Länder erlassen, vorzubeugen. Deshalb werden Gesetze an die Europäische Kommission übermittelt, damit diese und andere Länder die Möglichkeit haben, Einspruch zu erheben beziehungsweise Stellungnahmen abzugeben.

Die Notifizierung findet nun aber nicht "automatisch" statt, Staatsrechtler Bußjäger hält folgendes Szenario für realistisch. Das Parlament hebt den Gesetzesbeschluss auf, bringt den selben Entwurf neu ein, lässt ihn dann aber – anders als beim ersten Versuch – notifizieren. Dafür bleibt üblicherweise eine dreimonatige Stillhaltefrist lang Zeit. Kommt es keine Beanstandungen könnte der Gesetzeswerdungsprozess in Österreich weiterverfolgt werden.

Gibt es aber Beanstandungen am Gesetz, verlängert sich diese Frist – im längsten Fall auf bis zu 18 Monate. Dann kann das Gesetz trotz Beanstandungen anderer zwar in Kraft treten, aber: "Sofern das Gesetz unionsrechtswidrig ist, könnte das ein Vertragsverletzungsverfahren zur Folge haben."

Keine "inhaltliche Wertung" der Novelle, sagt Bierlein

Auf ein solches habe die EU auch wegen der fehlenden Notifizierung des Gesetzes hingewiesen, schrieb die Bundeskanzlerin in einem Brief an Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP). Sowohl der Verfassungsdienst im Justizministerium als auch der Rechtsdienst des Bundeskanzleramts kamen in einem gemeinsamen Gutachten zum Ergebnis, dass die Bundeskanzlerin von einer Kundmachung absieht. "Ich darf betonen, dass es sich ausschließlich um eine formaljuristische Entscheidung und nicht um eine inhaltliche Wertung der Novelle handelt", so die Bundeskanzlerin.

Das Umweltministerium zeigte sich bereits nach Ablauf der Frist abwartend und warnte auch vor einer inhaltlichen Rechtsunsicherheit. Denn ein "nationaler Alleingang" ist eigentlich nur unter zwei Bedingungen durchführbar. Es müssten neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegt werden, die bei der EU-weiten Zulassung von Glyphosat 2017 nicht bekannt waren. Oder es müssten spezielle Probleme etwa für Umwelt oder Gesundheit nachgewiesen werden, die es nur in Österreich, aber in keinem anderen EU-Staat gibt. Beide Fälle liegen nicht vor. Zudem war das Bundesland Kärnten bereits mit dem Versuch, ein Totalverbot einzuführen, bei der Kommission abgeblitzt.

Umweltschutz-NGOs sind verärgert, Landwirtschaftskammer freut sich

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert die geplante Vorgehensweise Bierleins, schließlich habe es eine Vier-Parteienmehrheit (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Jetzt) das Verbot des wahrscheinlich krebserregenden Pflanzengifts Glyphosat beschlossen. Die Europäische Kommission hätte das Gesetz mittels eines rechtlich bindenden Einspruchs stoppen können - dies aber nicht getan. Somit könne das Glyphosat-Verbot laut eines Rechtsgutachten des renommierten Juristen Daniel Ennöckl am 1.1.2020 in Kraft treten, heißt es in einer Aussendung von Greenpeace. Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit fordert von der Kanzlerin alle notwendigen Schritte zu setzen, um den demokratischen Willen der Bevölkerung und des Parlaments umzusetzen: "Alles andere wäre Verrat an der Demokratie, an den Österreicherinnen und Österreichern - und an der Umwelt."

Auch Global 2000 ist enttäuscht über die Entscheidung Bierleins: "Wenn ein souveräner EU-Mitgliedstaat trotz klarer Mehrheit im Parlament und breiter Unterstützung in der Bevölkerung eine wahrscheinlich krebserregendes Pestizid nicht verbieten kann, dann läuft etwas grundlegend falsch in Europa", sagt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei Global 2000.

Anders die Landwirtschaftskammer Österreich (LK): Man habe bereits in der Vorwoche darauf hingewiesen, dass dem Beschluss eines nationalen Glyphosat-Verbots ab Jänner 2020 ein Verstoß gegen die Notifizierungsrichtlinie der EU zugrunde liege. Dass die Bundeskanzlerin das Gesetz nun nicht kundmache, zeige der Kammer, dass sich ihr Rechtsverständnis bestätig habe und "dass der Rechtsstaat funktioniert". Ein Verbot ist nach Sicht der LK nur dann sinnvoll "und ehrlich", wenn auch sämtliche nach Österreich importierten Lebensmittel unter Garantie ohne Glyphosat erzeugt würden. "Alles andere wäre scheinheilig", heißt es in der Aussendung der Landwirtschaftskammer.

SPÖ bringt neuen Gesetzesantrag ein, Grüne und FPÖ mit dabei

Die SPÖ wird bei der Nationalratsitzung am Mittwoch jedenfalls erneut einen Antrag auf ein Glyphosatverbot einbringen: "Die SPÖ wird dranbleiben und die rasche Umsetzung eines Verbots vorantreiben. Es kann nicht sein, dass der mehrheitliche Wille der Bevölkerung und des Parlaments aufgrund von politischem Hick-Hack missachtet wird", sagte der stellvertretende Klubvorsitzende Jörg Leichtfried in einer Aussendung der Partei. Auch Olga Voglauer, Nationalratsabgeordnete der Grünen, bekräftigt per Aussendung, dass sich der gemeinsame Parlamentsbeschluss von SPÖ, FPÖ, NEOS und Jetzt explizit auf das
Vorsorgeprinzip und somit auf die Gefahren für Gesundheit und Umwelt,
die von Glyphosat ausgehen können, bezogen habe: "Es war der klare Wille des Gesetzgebers, Glyphosat zu verbieten, da wird sich wohl nichts daran geändert haben", hält Voglauer fest. Für die FPÖ hat Bierleins Entscheidung einen "fahlen Beigeschmack". Sollte es im Parlament tatsächlich einen neuen Anlauf brauchen, sei müsse der so umgesetzt werden, "dass jedwede formale Sabotagemöglichkeit von vornherein ausgeschlossen werden", betonte Klubobmann Herbert Kickl in einer Aussendung. (apa/red)