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Die Stammzellen wurden Philipp Schmidt in Dessau per Stammzellapherese entnommen.Foto: DSD
Letzte Hoffnung passende Stammzellen

Die Nadel im Heuhaufen

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   •  Philipp Schmidt aus Thale hat Stammzellen für einen todkranken Leukämie-Patienten in Amerika gespendet.
   •  Was alles passiert und wie er sich dabei gefühlt hat.

Thale - Rund 160.000 Menschen haben sich bei der Deutschen Stammzellspenderdatei (DSD) in Dessau seit ihrer Gründung vor 27 Jahren typisieren lassen. „Doch nur etwa ein Prozent davon hat die passenden genetischen Eigenschaften und kommt damit als Spender und Lebensretter für einen Todkranken in Frage“, sagt DSD-Sprecherin Katja Kluger. „Unsere Arbeit gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“

Philipp Schmidt aus Thale ist eine dieser Nadeln. Seine Gewebemerkmale passen perfekt zu einem an Leukämie erkrankten Amerikaner. Für ihn hat Schmidt am 22. Oktober in Dessau Stammzellen gespendet. Nun muss sich der 34-jährige Berufsschullehrer ein wenig gedulden: Erst Ende Januar wird er erfahren, ob die Stammzellen vom Körper des Empfängers angenommen worden sind.

Letzte Hoffnung passende Stammzellen: Behandlung zuerst mit Medikamenten

Empfänger und Spender kennen sich nicht. Erst nach zwei Jahren dürfen sie voneinander erfahren - wenn beide wollen. Und dennoch ist Philipp Schmidt für den Unbekannten im fernen Amerika die einzige, die letzte Hoffnung. Wird bei einem Patienten eine Leukämie festgestellt, wird er zunächst herkömmlich mit Medikamenten behandelt. Wenn all das nichts nützt, werden Familienangehörige typisiert. Die Chance, dass bei ihnen die Gewebemerkmale mit denen des Kranken übereinstimmen, ist am höchsten.

Erst wenn das nichts bringt, werden die Stammzellregister angefragt. Unter den 26 deutschen Registern befindet sich die DSD oder auch die größere und bekanntere DKMS.

Letzte Hoffnung passende Stammzellen: Immunsystem wird komplett zerstört

Findet sich dort ein passender Spender, wird ein präzise ausgeklügelter Prozess in Gang gesetzt, der für den Empfänger zunächst höchst lebensgefährlich beginnt. Denn zehn Tage vor der Stammzellentnahme wird sein Immunsystem durch Chemotherapie und Bestrahlung komplett zerstört. Er würde nun an jeder Infektion sterben.

„Und nur mit der Spende kann er weiterleben“, sagt Katja Kluger. Denn die fremden Stammzellen lassen das Immunsystem neu entstehen.

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Philipp Schmidt mit Kater Jules.Foto: Dominique Leppin

In diesen zehn Tagen darf der Spender auf keinen Fall selbst krank werden - oder gar seine Spendenbereitschaft zurückziehen. „Ich habe Medikamente bekommen, die dem Körper vorgaukeln, dass er krank ist“, sagt Schmidt, der in seiner Küche sitzt und seinen Kater Jules streichelt. Sie bewirken, dass Stammzellen vom Knochenmarkt ins Blut geschwemmt werden.

Dadurch bekam Schmidt aber auch die Symptome einer starken Erkältung, berichtet er: Kopfschmerzen, Hüftschmerzen, Husten, Schweißausbrüche. „Doch als die Stammzellen dann aus meinem Blut geholt worden sind, waren die Beschwerden mit einem Schlag weg“, sagt Schmidt.

Letzte Hoffnung passende Stammzellen: Blut wird durch Zellseperator geleitet

Die Stammzellentnahme läuft ähnlich wie eine Blutplasmaspende ab: Bei der so genannten Stammzellapherese wird das Blut des Spenders in einem ständigen Kreislauf aus einer Armvene durch einen Zellseparator geleitet und wieder zurückgeführt. „Ich war nach vier Stunden fertig“, sagt Schmidt. „Wer zur Blutspende geht, kann das auch machen.“

Unangenehm sei, dass man den rechten Arm fünf Stunden lang nicht bewegen dürfe und in dieser Zeit natürlich auch nicht auf die Toilette gehen könne. „Im Vergleich zu dem, was der Kranke und seine Familie durchmachen, ist das aber ein Witz.“

Nachdem die Spende entnommen worden ist, bleiben 72 Stunden, in denen die lebensrettende Fracht ihren Empfänger erreichen muss. In Schmidts Fall hat ein Kurier die Stammzellen per Flugzeug nach Amerika gebracht.

Letzte Hoffnung passende Stammzellen: Vor drei Jahren registrieren lassen

Schmidt hat sich im Dezember 2016 an einer Magdeburger Berufsschule registrieren lassen, als ein Stammzellspender für eine an Leukämie erkrankte Kollegin in Dessau gesucht wurde. „Ihr konnte leider nicht geholfen werden“, sagt Katja Kluger. „Sie ist ein Jahr später gestorben.“

Die Chance des Empfängers, durch die Stammzelltransplantation sein Leben zu retten, ist dennoch sehr gut: Laut einer Studie des Internationalen Zentrums für Blut- und Knochenmarktransplantationsforschung liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Patienten nach zehn Jahren bei 85 Prozent, wenn sie mindestens zwei Jahre nach der Behandlung keinen Rückfall erlitten haben.

Letzte Hoffnung passende Stammzellen: Diagnose Leukämie in Deutschland alle 15 Minuten

Fühlt sich Schmidt nun als Lebensretter? Er überlegt einen Moment und sagt dann: „Am selben Tag wie ich war auch noch jemand aus Magdeburg zur Spende in Dessau. Wir haben darüber gesprochen - und uns beide nicht so gefühlt.“ Er weiß auch noch nicht, ob er, wenn es möglich ist, tatsächlich Kontakt zu seinem Stammzellempfänger in den USA aufnehmen wird. „Ich habe mir da noch nicht so viele Gedanken gemacht“, sagt Schmidt.

Alle 15 Minuten erhält ein Mensch in Deutschland die Diagnose Leukämie. Jedes Jahr erkranken allein in Deutschland etwa 13.000 Menschen an bösartigen Blutkrankheiten. Und auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt: Durch Menschen wie Philipp Schmidt wird vielen von ihnen das Leben gerettet. (mz)