SPD-Zoff bei Anne Will
Wie heftig sich Kevin Kühnert und Paul Ziemiak beharkten
by JOSEF NYARYKlimapaket, Mindestlohn, schwarze Null: Die neue SPD-Spitze schleicht um die Sollbruchstellen der GroKo wie die Katze um den heißen Brei, denn niemand will sich die Schnauze verbrennen. Lieber erst ein bisschen abkühlen lassen!
Anne Will fragt sich aber schon: „Die SPD rückt nach links – wohin rückt die Koalition?“
Die Gäste
Paul Ziemiak (34, CDU). Der Generalsekretär will keine Neuverhandlungen: „Wir haben einen Koalitionsvertrag, den arbeiten wir ab!“
Kevin Kühnert (30, SPD). Der neue Parteivize will schnell zu Potte kommen: Es sei „nicht vermittelbar, wenn die Nachverhandlungen zur Halbzeit länger sind als die Koalitionsverhandlungen“.
Clemens Fuest (51). Der Wirtschaftsforscher (ifo) bleibt entspannt: Wenn die SPD auf Linkskurs gehe, müssen man „nicht gleich von negativen Folgen für die Wirtschaftsentwicklung sprechen“.
Jagoda Marinić (42). Die SPD-nahe Schriftstellerin („Sheroes – neue Held*innen braucht das Land“) arbeitet als Kulturmanagerin in Heidelberg.
Cerstin Gammelin (54). Die Journalistin (SZ) meint: „Weil die Sozialdemokraten nicht so weitermachen können wie bisher, die Union aber das will, bleibt als logische Konsequenz nur der Bruch!“
Bewährtes ARD-Strickmuster: Zwei rechts, drei links. Wie reagiert das Zoff-o-Meter?
Rotes Stoppsignal
„Manchmal muss man auch auf eine Selbstverständlichkeit hinweisen“, sagt der CDU-General und feuert die erste Spitze ab: „Wir brauchen gute Arbeit, nicht eine permanente Selbstbeschäftigung!“
Seine Forderung: „Jetzt haben wir lange darüber diskutiert, was für die SPD wichtig ist. Jetzt sollten wir darüber reden, was für Deutschland wichtig ist!“
Bitterste Bilanz
„Der Kühnert-Flügel ist der Verlierer“, erklärt die SZ-Journalistin im Ton einer amtlichen Feststellung.
„Es wird kein Verhandlungsmarathon geben! Der Koalitionsvertrag wird auch nicht nachverhandelt!“ kündigt Ziemiak an und fügt warnend eine ungewöhnliche Ortsbestimmung hinzu: „Wir sind nicht auf dem Basar!“
„Es war ganz viel Tamtam“, klagt Autorin Marinić über das SPD-Kandidatenrennen. „Es tauchten unheimlich viele Doppelpaare auf. Aber jetzt ist die Radikalität völlig verschwunden! Innerhalb weniger Tage wurde alles kleingeschrumpft!“
Frage des Abends
Kühnert spitzt das Thema zu: „Einiges werden wir mit der Union hinkriegen“, sagt er über seine Parteitagsbeschlüsse, „anderes wird Futter für den nächsten Wahlkampf!“
Und falls die Union alles ablehnt?, fragt Will. Der frischgebackene Parteivize faltet gelassen die Hände über dem Knie: „Dann ist es eine Option, zu sagen, das reicht nicht für weitere zwei Jahre“, antwortet er. „Ein Münzenwurf kommt nicht infrage!“
Salto des Abends
Will erinnert Kühnert an seine Forderung, die neuen Verhandlungen dürften nicht länger dauern, als die Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren. Aber dann müssten sich die Regierungsparteien ja bis Weihnachten einig sein!
Soviel Zeitdruck möchte der „neue starke Mann der SPD“ (Will) aber nicht aufbauen. Lieber macht er auch hier einen Rückzieher: „Das ist eine unpräzise Formulierung gewesen …“
Überraschendste Duzbrüderschaft
Ziemiak spricht nicht vom „Herrn Kühnert“, sondern vom „Kevin“. Kühnert duzt den CDU-Mann sogar: „Dann musst du mal ins Programm reingucken!“ Ziemiak hat auch keine Lust auf Formalitäten: „Kevin, man kann über alles reden.“ Andere Zeiten, andere Sitten!
Dann fährt das Zoff-o-Meter hoch
Die Talkmasterin will lieber Klopperei statt Kuscheln und zitiert die SPD-Forderung eines „perspektivischen“ Mindestlohns: „Das ist ganz schön schwach formuliert!“, stichelt sie.
Sofort hacken die Duz-Gegner wieder aufeinander ein. Ziemiak macht den SPD-Vorschlag runter. Kühnert schimpft: „Das ist eine Aufwiegelung!“
Sachdienlichster Hinweis
Wirtschaftsprofessor Fuest steuert eine oft vergessene Selbstverständlichkeit bei: „Der Mindestlohn sollte nicht schneller steigen als die Tariflöhne!“, mahnt er.
Ziemiak warnt vor einem „parteipolitischen Überbietungswettbewerb“. Kühnert ärgert sich immer noch über den Vorwurf der „Selbstbeschäftigung“ gegen seine Partei: „Das war ein notwendiger demokratischer Prozess!“, giftet er.
Stoßseufzer des Abends
Die Autorin möchte auch was sagen, wird aber gleich unterbrochen. „Lassen Sie mich ausreden!“, wehrt sie sich. „Ich habe jetzt gelernt, dass man das auch mal sagen muss!“
Zu ihrem emotionalen Hinweis auf den neuen Andrang von Rentnern auf die Lebensmittel-Tafeln stellt Fuest allerdings klar: „Der Mindestlohn ist nicht die Ursache von Altersarmut. Hauptgrund ist die Teilzeitarbeit!“
Werbewirksamstes Etikett
„Die SPD hat beschlossen, mehr SPD zu wagen!“, sagt Kühnert in gelungener Anspielung an Willy Brandts einstiges Versprechen „mehr Demokratie wagen“.
Interessantester Einspieler
Die Talkmasterin zeigt eine Parteitagsszene, in der Kühnert für seine Rede von allen im Bild Applaus bekommt, nur nicht von den SPD-Granden Kurt Beck, Martin Schulz und Wolfgang Thierse in der ersten Reihe. „Nicht begeistert“, urteilt Will.
„Drei Tage, anstrengende Veranstaltungen, es war spät abends“, erklärt Kühnert gnädig, „also da geht manchmal die Aufmerksamkeit auch ein bisschen runter!“
„Sehr geschickte Reaktion!“, grinst Will. Allerdings wirkten die drei SPD-Urgesteine keineswegs schläfrig, sondern wach und ziemlich sauer.
Kitschigstes Eigenlob
Kühnert selbst hebt ganz andere Reaktionen hervor. Nach der Verabschiedung des neuen Sozialstaatskonzepts habe er beobachtet: „Die Leute hatten Tränen in den Augen!“
Spannendste Frage
Dann macht sich die Runde ziemlich gnadenlos über den bei Links schon fast verhassten Finanzminister her. „Olaf Scholz hat richtig Ohrfeigen bekommen!“, kommentiert die SZ-Journalistin und fragt: „Kann das gut gehen, dass Olaf Scholz jetzt das umsetzen muss, was Saskia Eskens sich ausgedacht hat?“
Kühnert sieht da kein Problem: Scholz bleibe ja Finanzminister, bemerkt er kühl.
„Aber er muss sich jetzt komplett wenden!“, ahnt die Journalistin nicht ohne Mitleid.
Und Ziemiak kommt noch mal mit seinem Lieblingsthema „Planungsbeschleunigung“ um die Ecke und klaut sich auch noch das Schlusswort: „Wenn wir das jetzt hinbekommen, freue ich mich, und damit können wir fast in die Weihnachtspause gehen!“
Zitat des Abends
Was in zehn Jahren ist, das entscheiden andere!
(Fuest)
Fazit
Knallharte Kontroversen über weichgespülte Pläne, manche Absicht versteckte sich dann doch lieber im Unkonkreten: Das war ein Talk der Kategorie „Wenig Rosine und viel Mehl“.