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dpa/H. Hanschke Frauen mit Migrationshintergrund nehmen an einem Volkshochschulkurs teil

Studie "Vergeudete Talente": Migrantinnen in Deutschland kämpfen um Anerkennung ihrer Bildung – was helfen kann

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Montag, 09.12.2019, 13:29

„Ich habe studiert. Ich werde in Deutschland keine Putzfrau sein!“, sagt Youma (Name von der Redaktion geändert) entschlossen. Viele Jahre hat die junge Senegalesin als Lehrerin an einem Gymnasium in ihrem Heimatland in Westafrika Deutsch unterrichtet.

Nach ihrer Heirat mit einem Deutschen lebt Youma jetzt in Nordrhein-Westfalen. Eigentlich könnte sie ein glückliches Leben führen. Doch trotz ihrer hohen Qualifikation und obwohl Deutschland händeringend nach Lehrkräften sucht, darf die junge Frau hierzulande nicht unterrichten. „Sie sagen, mein Studium ist nichts wert. Im Senegal war ich gut – hier bin ich schlecht“, erzählt sie verzweifelt.

Youma ist eine von 20 Migrantinnen, die SÜDWIND für seine jüngste Studie interviewt hat. Das Institut will mehr wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit erreichen und setzt sich vor allem für die Gleichberechtigung von Frauen weltweit ein. Das Ergebnis der Studie: Obwohl sie oft abgeschlossene Berufsausbildungen oder sogar Universitätsabschlüsse haben, können viele Frauen, die aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland gekommen sind, hierzulande beruflich nicht Fuß fassen.

Zwar ist die Mehrheit der Migrantinnen der Studie zufolge erwerbstätig, doch müssen sie viel häufiger unter ihrer Qualifikation und in unsicheren Arbeitsverhältnissen arbeiten als männliche Migranten oder die lokale Bevölkerung. Und das obwohl sie laut den Studienautoren „zumeist hochmotiviert sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen“.

Zugewanderte Akademikerinnen arbeiten oft unter Qualifikation

Zwar gibt es auch viele Migrantinnen, die keinen Berufsabschluss haben. Der Anteil ist dreimal so hoch wie unter deutschen Frauen. Doch die Studie zeigt, dass es auch qualifizierte Frauen aus dem Ausland in Deutschland schwer haben. Denn obwohl fast jede vierte Frau aus dem Kreis der ersten Generation der Migrantinnen studiert hat, findet nur die Hälfte davon auch einen Job, der ihrer Qualifikation entspricht. „Akademisch gebildete Frauen arbeiten laut Langzeitstudien viel häufiger unterhalb ihrer Qualifikation als männliche Migranten“, heißt es in der Studie. Fast jede dritte zugewanderte Akademikerin arbeitet indes überhaupt nicht.

Auch bei den berufsqualifizierenden Bildungsabschlüssen gibt es deutliche Diskrepanzen: Mehr als 16 Prozent der Frauen mit Berufsausbildung arbeiten nicht in ihrem gelernten Beruf, sondern lediglich in Hilfstätigkeiten. Zum Vergleich: Bei den zugezogenen Männern dieser Gruppe sind es nur acht Prozent.

Ingenieurinnen arbeiten im Supermarkt, Architektinnen fahren Taxi

Dies ist nicht nur für die Frauen selbst ein Problem, sondern auch volkswirtschaftlich betrachtet. Die Verantwortlichen für die Studie argumentieren, dass Deutschland gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auf Zuwanderung auch aus Nicht-EU-Staaten angewiesen ist. Bis 2060 gehen Experten von einem jährlichen Einwanderungsbedarf von mindestens 260.000 Menschen aus. Von den derzeit rund 19 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund machen Frauen knapp die Hälfte aus.

Obwohl sich hierzulande in den letzten Jahren vieles verbessert habe, was den Zugang zum Arbeitsmarkt für Migranten betrifft, stehen viele zugezogene Frauen immer noch vor demselben Dilemma: Bauingenieurinnen müssen als Verkäuferinnen arbeiten, Architektinnen fahren Taxi, Lehrerinnen putzen Büros. Die Studienautoren betonen, dass das nicht nur entmutigend für die betroffenen Migrantinnen ist, sondern auch ein gesamtgesellschaftlicher Verlust, eine Vergeudung von Talenten. Bei schlecht bezahlten Hilfstätigkeiten sind die Frauen zudem teilweise auf staatliche Transferleistungen angewiesen.

Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse erschwert Integration

Hauptursache für die prekäre Lage vieler qualifizierter Migrantinnen sind laut SÜDWIND Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse. Bei der Antragstellung fallen nicht nur hohe Kosten zum Beispiel für die Übersetzung von Dokumenten an. Viele Berufsabschlüsse werden hierzulande, auch wenn sie oft schon vergleichbar sind, immer noch nicht anerkannt.

Je nach Berufsfeld ist das aufgrund rechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen nachvollziehbar. Immerhin gelten zum Beispiel im syrischen Bauingenieurwesen andere Ausbildungsstandards als in Deutschland. Und in Ghana läuft eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten naturgemäß anders ab als hierzulande. Um eine Weiterqualifizierung kommen qualifizierte Migrantinnen in vielen Branchen also nicht umhin. Um das Potenzial zu nutzen, sollten die Möglichkeiten hierfür erweitert und verbessert werden.

Es geht auch anders: Pflegekräfte können schnell Fuß fassen

Erfahrungen aus dem Pflegesektor zeigen indes, wie man eine bessere Balance aus wichtigen Berufsstandards und flexibler Arbeitsmigration erreichen könnte. Schon jetzt arbeiten hierzulande mehr als 130.000 Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft als Pflegekräfte. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass bis 2025 rund 150.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden.

Um diesen Personalmangel zu lösen, geht ein besonderes Anwerbungsprogramm schnelle und vor allem unbürokratische Wege. Bei „Triple Win“ werden Visa an Fachkräfte vereinfacht erteilt, Wartezeiten verkürzt und die Anerkennung ist über fachliche und sprachliche Schulungen geregelt. Zwischen 2013 und 2018 konnten so schon mehr als 2000 Pflegekräfte aus Bosnien-Herzegowina, Serbien, den Philippinen und Tunesien unkompliziert nach Deutschland vermittelt werden.

Mehr Kinderbetreuung könnte Migrantinnen beruflich integrieren

Ein weiterer Grund, warum viele Migrantinnen ihr Potenzial nicht ausschöpfen könne, ist die Familiensituation und die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Besonders Kinder und Kleinkinder sind der Studie zufolge eine große Hürde, die dem beruflichen Erfolg der Frauen entgegenstehen.

Dass die allermeisten Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse oder Weiterbildungen immer noch keine Kinderbetreuung anbieten, ist „das einigende Band, das Migrantinnen unabhängig von Einreisegrund und Qualifikation in ihrer beruflichen Integration behindert“. Um die Zugangshürden zu senken, müssten dem Institut zufolge Integrationskurse auch in Teilzeit und vor allem begleitet von Kinderbetreuung angeboten werden.

„Das Putzfrauen-Vorurteil ist in vielen Köpfen fest verankert“

Weiteres Verbesserungspotenzial identifiziert die Studie bei Behörden und Beratungsangeboten: „Häufig werden geflüchtete Frauen mit dem Putzfrauen-Vorurteil konfrontiert.“ Erfahrungsberichte würden zeigen, dass Mitarbeiter von Arbeitsagenturen ratsuchenden Migrantinnen in Gesprächen trotz besserer Qualifikation Putzstellen empfehlen. „Das weist auf strukturelle Diskriminierung hin, die dringend weiter untersucht und behoben werden muss“, so SÜDWIND.

Das wünscht sich auch Youma. Die frühere Lehrerin aus dem Senegal hätte sich mehr Hilfe erhofft bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen. Sie würde sich wünschen, dass man ihr nicht mit Klischees, sondern mit Perspektiven hilft. Dass man ihr Talent erkennt, Kinder zu unterrichten – in Deutsch, auch an einer deutschen Schule.

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