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Optimistisch bis zur Schmerzgrenze

Monatelang malte der Künstlerstar David Hockney jeden Morgen den Sonnenaufgang - digital auf seinem Tablet, im Bett liegend. Strahlender hat man die Landschaft Nordenglands noch nicht gesehen.

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Der Landstrich East Riding of Yorkshire ist nicht gerade für florale Üppigkeit oder lodernde Lichtverhältnisse bekannt. An der Küste im Nordosten Englands regnet es viel, die Küsten bröckeln, es ist diesig. Trotzdem ist Landschaft ein zentrales Thema in der englischen Kunst, oft voller Nebel wie bei William Turner.

Wenn sich aber David Hockney seiner Heimatlandschaft annimmt, strahlen Blumen und Sonnenaufgänge in Nordengland so farbenfreudig wie die Küste Kaliforniens. Der Künstlerstar, der 1963 als 26-Jähriger nach Los Angeles zog, kehrte bis 2015 noch oft in seine Rotklinker-Villa in Bridlington zurück. In Kalifornien hatte er mit coolem Minimalismus glitzernde Pools in der Sonne gemalt. In Bridlington lag der kettenrauchende Künstler in seinem Bett und hielt auf dem Tablet den Blick zu seiner Linken fest.

Immer wieder malte er die Blumen auf dem Fensterbrett oder die Aussicht aus seinem Schlafzimmer, zunächst mit dem Daumen auf dem iPhone, später mit Grafikstift auf dem iPad. "Der Bildschirm war ein großer Vorteil, denn ich konnte in der Dunkelheit malen", sagt Hockney. Sein Freund John habe alle zwei bis drei Tage frische Blumen auf das Fensterbrett gestellt.

Heute ist Hockney 82 Jahre alt und immer noch extrem produktiv, vielleicht auch dank der schnellen elektronischen Werkzeuge. 2000 Gemälde hat er gemalt, hinzu kommen die unzähligen digitalen Zeichnungen. Auch andere Projekte wie Kirchenfenster entwirft er elektronisch. "Ich musste nie das Bett verlassen. Alles, was ich brauchte, war auf dem iPhone", sagt er. Hatte er ein Bild fertiggestellt, schickte er es sofort seinen Freunden.

Alltägliches mit Lebensfreude

Auch mit einem exklusiven Kreis von Kunstliebhabern teilt Hockney jetzt seine iPad-Zeichnungen - nämlich jenen, die sich eines der 2000 signierten Exemplare des Bildbands "My Window" (Taschen Verlag) leisten können. Die Preisgestaltung von 1750 bis 15.000 Euro dürfte sich an Hockneys Status orientiert haben: Er gilt als weltweit teuerster lebender Maler. Sein Acrylgemälde "Porträt eines Künstlers (Pool mit zwei Figuren)" wurde 2018 für knapp 80 Millionen Euro verkauft. Hockney liebt das dekadente Leben und dieser Bildband ist das perfekte Accessoire für die schillernde Bohème.

"My Window" zeigt 120-fach die Perspektive von Hockneys Bett aus, wo ihm das iPad das Skizzenbuch ersetzte. Das so oft variierte Motiv ist unverfänglich, er kolorierte typisch farbenfroh bis zur Schmerzgrenze, mit grellem Pink, sonnigem Gelb, Knallgrün. Strahlender hat man die Jahreszeiten Nordenglands noch nicht gesehen, und selten wurde der alltägliche Blick durchs Fenster mit mehr Lebensfreude vermittelt.

Zwischen April und August habe er sich stets von der Sonne wecken lassen, zur Mittsommernacht habe er um 4.30 Uhr mit dem Zeichnen begonnen, erklärt Hockney in einem kurzen Vorwort. "Ein Sonnenaufgang ohne Telefon war für mich nicht denkbar." Aber auch Regenwetter wird bei ihm zum Farbspektakel ebenso wie nächtliche Ansichten oder heruntergelassene Jalousien.

Jeder Tag brachte eine neue Ansicht, die Jahreszeiten zogen vorbei, Monat für Monat. Hockney soll täglich malen und keine Wochenenden kennen, er lebt für seine Arbeit. Sein Werk zeichnet sich aus durch kluge Beobachtung und Optimismus, und auch wenn die iPad-Zeichnungen als große Formate ausgedruckt ein wenig an Wirkung verlieren, wird auch sein fröhliches Alterswerk geliebt werden. Nur das Haus in Bridlington scheidet als Motiv mittlerweile aus. Nach dem tödlichen Unfall seines Assistenten hat er es verkauft.