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Alte Handschriften hält Julia Knödler von der Universitäts- und Landesbibliothek in Halle in Händen. Die wertvollen Bücher werden zukünftig in besonderen Boxen gesichert.Foto: Andreas Stedtler
Schachteln für die Schätze

Wie die Landesbibliothek in Halle historische Bücher rettet

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   •  In vielen Bibliotheken ist der Bestand an wertvollen Büchern und Handschriften bedroht.
   •  Säurefraß, Schädlinge und falsche Lagerung zerstören die historischen Bestände.
   •  Was man dagegen machen kann, zeigt ein Beispiel aus Halle.

Das wunderschöne Buch aus dem neunten Jahrhundert ist eigentlich in einem sehr guten Zustand. In den handschriftlichen Texten geht es um den heiligen Martin, karolingische Malereien machen das Werk endgültig zu einem Schmuckstück.

Also eigentlich alles in bester Ordnung, wäre da nicht auf dem Buchdeckel dieser lose Verschluss aus Metall. Von dort übertrug sich der Grünspan an einigen Stellen auf das Pergament und wurde so zur Gefahr für das Buch. „Diese Kostbarkeit muss besser beschützt werden“, sagt Julia Knödler. Die Historikerin arbeitet an der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Sachsen-Anhalt in Halle. Als Leiterin der Historischen Sammlungen ist sie auch für die vielen Handschriften zuständig, die in den Gebäuden in der August-Bebel-Straße aufbewahrt werden und deren fachgerechten Erhalt es dauerhaft zu sichern gilt.

Schock für alle Archivare: Der Einsturz in Köln

Die Probleme, die Julia Knödler drücken, sind kein Einzelfall. Viele Bibliothekare in Deutschland sorgen sich um ihren oft Jahrhunderte alten Bestand. Sei es, weil Handschriften oder Bücher seit langem schlecht gelagert sind, sei es, weil Schädlinge oder Säurebefall den kulturellen Zeugnissen zusetzen. Oder sei es, weil die Bibliothekare Angst haben, dass das wertvolle Schriftgut bei einer Havarie vollkommen ungeschützt wäre. In schlechter Erinnerung ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009, als viele Bücher auch deshalb unwiederbringlich zerstört wurden, weil sie in keiner Schutzhülle lagen.

Julia Knödler kann nun allerdings aufatmen. Denn für die Kostbarkeit aus dem neunten Jahrhundert gibt es ebenso eine Lösung wie für 4200 weitere, größtenteils wertvolle Manuskripte aus der Zeit vom achten bis 20. Jahrhundert, die ebenfalls zum festen Bestand der ULB gehören. All diese Werke kommen nun in spezielle Boxen, in denen ihnen kaum noch etwas anhaben kann. Weder mechanische Schäden, noch Lichteinfall und Schmutz, auch nicht Schädlinge oder Schadstoffe. In einem Havariefall sollen die soliden Schachteln das Schlimmste verhindern. Denn die Kostbarkeiten sind dann Wasser oder Feuer nicht mehr ganz so schutzlos wie bisher ausgesetzt. „In den neuen Verpackungen bleiben sie in gewissem Sinn für die Ewigkeit erhalten“, sagt Julia Knödler.

Spezielle Verpackungen für Bücher in Halle: „Ein riesiger Schritt“

Diese Verpackungen - insgesamt 4250 - sind etwas ganz Spezielles. Es sind allesamt Maßanfertigungen. Mitarbeiter des Zentrums für Bucherhaltung GmbH in Leipzig hatten drei Wochen lang alle Handschriften ausgemessen und die Boxen danach passgenau angefertigt. So sind mehr als 4000 Unikate entstanden. Egal ob hochwertige Stücke wie das Quedlinburger Evangeliar aus dem neunten Jahrhundert oder der älteste Sachsenspiegel - diese Handschriften werden nun in den langlebigen Klappdeckelschachteln verstaut.

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Auch dieses Schriftstück der Franckeschen Stiftungen wurde saniert.Foto: Franckesche Stiftungen

Die Klappkästen sind nach einer Din-Norm hergestellt. Ein Teil besteht aus säurefreier Graupappe - so dass Manuskripte aus Papier einem schleichenden Säurebefall standhalten können. „Die sachgerechte Verpackung der Handschriften ist ein riesiger Schritt, um die historischen Schriften dauerhaft zu bewahren“, betont Julia Knödler. Um die Bedeutung dieser Aktion zu verstehen, muss man sich die Handschriften und deren Schäden genauer ansehen. Bei den Schriftstücken handelt es sich nicht um verstaubte Liebhaberobjekte einiger Historiker, sondern größtenteils um Kulturgut ersten Ranges. Dazu zählen Briefe von Theologen, die in der Reformation eine tragende Rolle gespielt haben; Hallische Schöppenbücher geben Auskunft darüber, welche Sprachkultur im Mittelalter gepflegt wurde; Manuskripte verraten, was Professoren von der Universität Halle geforscht und gelehrt haben.

Nicht nur in Halle: Viele alte Handschriften wurden falsch gelagert

Ein Großteil der Handschriften leidet unter einem schweren Mangel: Sie wurden - wie Historikerin Knödler erläutert - entweder zum Teil seit Jahrhunderten nicht sachgerecht oder überhaupt nicht verpackt. Wer durch die Magazinräume geht, kann die Folgen besichtigen: Viele Manuskripte haben noch ihre ursprünglichen Einbände mit Beschlägen, Kettenösen und Verschlüssen. Die Bücher stehen aber seit einer Ewigkeit ohne Trennpappen da, Druck- und Abriebschäden sind die Folge.

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Das Modell eines Pferdes, hergestellt von Louis AuzouxFoto: Archiv des ZNS, MLU Halle

Manuskripte liegen zudem in großen Umschlägen, in denen man daheim vielleicht alte Postkarten, aber bestimmt keine Familiendokumente aufbewahren würde. Beispiel: Gottfried Bernhardy. Die Schriften des Philologen, der im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle an der Uni Halle spielte, stecken in mehreren betagten Umschlägen, die nicht besonders vertrauenserweckend wirken. Auch sie kommen jetzt in die sichere Box.

Schutzhüllen sollen alte Bücher für lange Zeit bewahren

Die Schutzhüllen kosten rund 45.000 Euro, kofinanziert von der „Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts“ (KEK). Wer wissen will, wie es in Deutschland um dieses Kulturgut bestellt ist - und vor allem, wo Gefahr droht - ist dort an der richtigen Stelle. Denn die im Jahr 2011 vom Bund ins Leben gerufene Einrichtung finanziert aus verschiedenen Programmen jährlich viele Dutzend Sanierungsprojekte mit. So wird in diesem Jahr im Berliner Brücke-Museum historisches Schriftgut gesichert, an der Universität in Erlangen muss seltenes historisches Kartenmaterial aufgearbeitet werden, in Hamburg werden säurefreie Klappboxen für als NS-Raubgut identifizierte und nicht restituierbare Bücher bereitgestellt. In Halle geht es darum, die Einbände des historischen Buchbestands in der Marienbibliothek zu schützen.


Schriftlicher Nachlass eines Bischofs und Lehnbriefe

In Sachsen Anhalt engagiert sich die Koordinierungsstelle in mehreren Einrichtungen.

In Naumburg geht es zum Beispiel um die Konservierung und Erschließung der Gelehrtenbibliothek und des schriftlichen Nachlasses von Bischof Julius Pflug (1499–1564).

Schon im Jahr 2018 haben die Franckeschen Stiftungen in der Saalestadt Halle frühzeitliche Privilegien und Lehnbriefe restauriert. Nun wird der Bestand im Studienzentrum August Hermann Francke genau überprüft.

Die Koordinierungsstelle hilft auch, wenn es sich nicht direkt um Handschriften handelt. So sollen an der Universität Halle frühere Konservierungsschäden am national wertvollen Kulturgut des Pappmaché-Pferdemodells - entworfen von dem Anatomen Louis Auzoux (1797-1880) - behoben werden.


Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen, wobei eines immer wieder auffällt: Viele Archive und Bibliotheken haben mit der massiven Schädigung schriftlicher Überlieferungen durch säurehaltiges Papier zu tun, das von Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fast ausschließlich genutzt wurde. Diese Papierkiller bedrohen heute landauf, landab Bücher, Akten und Nachlässe - am Hessischen Landesarchiv in Darmstadt ebenso wie im Landesarchiv in Magdeburg, wo einige Bestände des Innenministeriums aus den Jahren von 1945 bis 1952 zu verfallen drohen.

Nächster Schritt: ULB Halle muss Tausende Urkunden sicher verwahren

Der Koordinierungsstelle in Berlin stehen 2020 gut vier Millionen Euro für Projekte zum Erhalt des schriftlichen Kulturguts zur Verfügung. Das ist deutlich mehr Geld als zu Beginn ihrer Tätigkeit. Aber reicht der Betrag, um alle dringenden Aufgaben zu erledigen? Ursula Hartwieg, Leiterin der KEK, drückt sich vorsichtig aus: „Wir sind schon viel weiter gekommen, aber es gibt auch noch viel zu tun.“

Julia Knödler und ihre Mitarbeiter sind nun damit beschäftigt, die Handschriften zu verpacken, die Schachteln zu beschriften und einzuräumen. Und dann? „Als nächstes Projekt planen wir Bestanderhaltungsmaßnahmen von mehr als 3000 historischen Urkunden“, sagt die Historikerin. Es gibt also noch viel zu tun. (mz)