Perspektiven am Morgen: Europäische Aktien haben 2019 deutlich zugelegt - 2020 kleineres Plus erwartet
by FOCUS OnlineMit den "Perspektiven am Morgen" stimmt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank, Anleger mit Ausblicken, Kurzanalysen und Neuigkeiten auf den Tag ein. Heute: Europäische Aktien, Pfund-Stärke, und der US-Arbeitsmarktbericht.
Top-Performance ohne Gewinne
Europäische Aktien haben 2019 mit plus 24 Prozent das beste Jahr seit der globalen Finanzkrise verzeichnet. Anleger haben in Erwartung einer Konjunkturerholung kräftig Vorschusslorbeeren verteilt: Über 80 Prozent der Performance sind auf eine Bewertungsausweitung zurückzuführen, der Rest ergibt sich aus Dividenden – die Gewinne sind bestenfalls minimal gestiegen. Seit den späten 1980ern gab es nur fünf Jahre, in denen die Bewertungsausweitung mehr als 70 Prozent der Performance ausgemacht hat. Und im Folgejahr fiel diese nie negativ aus – selbst 1992 und 2003, als die Gewinne einbrachen. Gleichzeitig war das Plus jedoch in vier von fünf Folgejahren geringer als im Vorjahr. Für 2020 kann ich mir eine Wiederholung dieses Musters vorstellen. Beim Stoxx 600 sehe ich knapp sieben Prozent Performanceplus.
Britische Parlamentswahlen vor der Tür
Das Meinungsforschungsinstitut YouGov erwartet nach neusten Umfragen eine Mehrheit der Tories von 68 Sitzen im Unterhaus. Die Aussicht auf einen Sieg der Konservativen stärkte das Pfund Sterling, das derzeit gegenüber dem Euro so stark wie zuletzt vor zweieinhalb Jahren notiert. Denn eine klare Mehrheit der Tories dürfte zu einer Verabschiedung des Brexit-Deals mit der EU von Premierminister Boris Johnson führen und dadurch die Unsicherheit rund um den EU-Ausstieg reduzieren. Davon sollten neben dem Pfund besonders britische Nebenwerte aus dem FTSE 250 profitieren, deren Geschäft auf den Binnenmarkt ausgerichtet ist. Beim britischen Leitindex FTSE 100 sehe ich hingegen weniger Potenzial, da die Unternehmen einen Großteil ihrer Gewinne im Ausland erwirtschaften. Bei einer Aufwertung des Pfunds würden diese ausländischen Gewinne an Wert verlieren. Zudem werden die Nebenwerte des FTSE 250 derzeit rund 15 Prozent günstiger gehandelt als die Unternehmen des FTSE 100.
US-Arbeitsmarkt zerstreut Sorgen um US-Wirtschaft
Die unerwartet schwachen ISM-Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor in den USA sowie der enttäuschende ADP-Arbeitsmarktbericht schürten im Verlauf der vergangenen Woche am Markt Sorgen um den Zustand der US-Konjunktur. Zum Wochenausklang beruhigte der offizielle US-Arbeitsmarktbericht diese Befürchtungen allerdings: Denn zum einen wurde durch den unerwartet starken Stellenaufbau von 266 Tausend neuen Jobs die Arbeitslosenquote auf 3,5 Prozent reduziert. Zum anderen war auch das Lohnwachstum erneut robust, im Jahresvergleich stiegen die durchschnittlichen Stundenlöhne um 3,1 Prozent. Die guten Nachrichten verhalfen dem S&P 500 zur stärksten Rallye seit fünf Wochen, die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen stiegen auf 1,8 Prozent. Die Fed berät diesen Mittwoch über ihre zukünftige Geldpolitik – und dürfte sich durch die Daten in ihrer Entscheidung bestätigt sehen, die Leitzinsen vorerst nicht weiter zu senken.
Gold als „sicherer Hafen“ gefragt
Indien ist nach China der zweitgrößte Absatzmarkt für Gold. In den letzten beiden Monaten des Jahres wird wegen der Hochzeitssaison normalerweise besonders viel des Edelmetalls erworben. Goldschmuck gehört in Indien zu den traditionellen Geschenken. 2019 lasten aber die konjunkturelle Schwäche und der hohe Goldpreis auf der Nachfrage. Zwar stiegen auch in diesem Jahr die Goldimporte von 20,8 Tonnen im Oktober auf 56,1 Tonnen im November. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Einfuhren im vergangenen Monat damit aber um 19 Prozent zurück.
Auch für den Dezember rechne ich mit rückläufigen Importen, der indische Konsument wird den Goldpreis zum Ende des Jahres daher voraussichtlich nicht stützen. Entscheidender sind aber wahrscheinlich ohnehin die globalen Konjunkturindikatoren und die Entwicklungen rund um die diversen Krisenherde. Bestehende Risiken könnten den Goldpreisanstieg in Höhe von 15 Prozent seit Jahresbeginn weiter tragen.
Zahl des Tages: 300
Die kleinsten Filmstars der Welt hat sich der Filmemacher Tibo Pinsard vor die Kamera geholt: Es sind gerade mal 300 Mikrometer hohe Figuren, die an der Universität Brüssel mit dem Nanodrucker hergestellt wurden. Pinsard stellte die Männchen unter ein Elektronenmikroskop und drehte mit ihnen einen Trickfilm in Stop-Motion-Technik. Ich sehe Chancen auf einen Oscar – wenn auch nur sehr kleine.
Was diese Woche wichtig wird
Montag
- Sentix-Investorenvertrauen für die Eurozone im Dezember dürfte sich erneut eingetrübt haben.
- Außenhandelsdaten für Deutschland im Oktober. Sowohl die Importe als auch die Exporte werden im Monatsvergleich schwach erwartet.
- Die Staatschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine treffen sich in Paris zum Ukraine-Gipfel.
- UN-Klimakonferenz, die bis Freitag andauert.
Dienstag
- Entwicklung der chinesischen Verbraucher- und Erzeugerpreise im November. Während Erstere, getrieben durch die Schweinepest, erneut deutlich zugelegt haben dürften, wird bei Letzteren erneut mit einem Rückgang gerechnet.
- Oktober-Industrieproduktion in Frankreich, Italien und Großbritannien. Insgesamt dürften die Zahlen den Eindruck einer anhaltenden Industrieschwäche in Europa bekräftigen.
- ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland im Dezember werden leicht verbessert erwartet.
Mittwoch | Fed-Zinsbeschluss und US-Inflationsdaten für November, die Entwicklung der Erzeugerpreise folgt am Donnerstag. Die Inflationsdaten dürften der Zentralbank keinen Anlass zu einer Änderung der Geldpolitik geben. Auf der Fed-Pressekonferenz wird auf die Einschätzung der Währungshüter zur aktuellen Lage der US-Konjunktur genau geachtet werden.
Donnerstag
- Unterhauswahlen in Großbritannien. Das Ergebnis wird entscheidend für den weiteren Verlauf des Brexits.
- EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält eine Rede auf der zweitägigen Sitzung des Europäischen Rats.
- Bei der ersten EZB-Sitzung unter der neuen Präsidentin Christine Lagarde wird keine Veränderung der Geldpolitik erwartet. Ihre erste Pressekonferenz wird am Markt bereits gespannt erwartet.
- Europäische Industrieproduktion im Oktober. Auch wegen zuletzt überraschend schwacher Daten aus Deutschland wird mit einer Fortsetzung des negativen Trends in der Industrie gerechnet.
Freitag
- Veröffentlichung des Tankan-Index für das vierte Quartal sowie der Industrieproduktion und Kapazitätsauslastung für Oktober in Japan. Sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor dürfte der Tankan-Index eine Verschlechterung der aktuellen Lageeinschätzung, jedoch eine Verbesserung der Zukunftsaussichten anzeigen.
- US-Einzelhandelsumsatz im November. Die Daten dürften erneut auf einen robusten US-Konsum hinweisen.
Sonntag | Deadline für das Inkrafttreten neuer US-Zölle auf chinesische Produkte. Der Schritt würde nicht nur eine erneute Eskalation im Handelsstreit darstellen, sondern könnte wegen der betroffenen Güter auch den US-Konsum belasten.
Denken Sie heute in anderen Dimensionen.
Herzlichst
Ihr Ulrich Stephan
Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden