Jetstreams, Blitzdürren, Hochwasser: Klima-Peitschenschläge heizen globale Erwärmung an - und die Schuld trägt der Mensch
by FOCUS OnlineNur zwei Länder waren 2018 stärker von Extremwetterphänomenen betroffen als Deutschland. In der ganzen Welt finden sich Anzeichen, die auf den Klimawandel hindeuten. Und Jetstreams, Blitzdürre und Wetterpeitschen sind erst der Anfang.
Extreme Wetterereignisse häufen sich und Deutschland ist davon besonders betroffen. Auf dem Klima-Risiko-Index der Entwicklungsorganisation Germanwatch für 2018, der auf Daten des Rückversicherers Munich Re und des Internationalen Währungsfonds basiert, steht es auf Rang drei. Nur Japan und die Philippinen waren noch stärker von Stürmen, Überflutungen und Dürren betroffen.
Doch das ist aller Wahrscheinlichkeit nach erst der Anfang. Denn in einer immer wärmeren Welt dürften sich solche Desaster weiter häufen. Vor allem aber werden entgegengesetzte Extreme künftig rascher aufeinander folgen. In der Klimaforschung sind die wilden Umschwünge als „Klima- oder Wetter-Peitschenschläge“ bekannt.
Spannend, aber gerade keine Zeit?
Jetzt Artikel für später in „Pocket“ speichern
In einer Studie, die im Wissenschaftsjournal „Nature“ erschien, prognostizieren US-Forscher, dass die Zahl der abrupten Wechsel bis zum Ende des Jahrhunderts in Nordkalifornien um 25 Prozent zunehmen und sich in Südkalifornien sogar verdoppeln wird, wenn die globalen Treibhausgas-Emissionen weiter ansteigen.
„Bislang galten erhöhte Temperaturen, schrumpfende Schneedecken und zunehmende Waldbrandgefahr als Hauptfolgen des Klimawandels“, sagt Studienhauptautor Daniel Swain von den University of California in Los Angeles. „Das stimmt zwar weiterhin, aber wir müssen auch mit dieser anderen Dimension fertig werden – dem steigenden Risiko extremer Überschwemmungen und Dürren sowie den raschen Übergängen zwischen beiden.“
Alle Neuigkeiten von der UN-Klimakonferenz lesen Sie im Ticker
Hitze, Dauerregen und Waldbrände
Das Umweltmagazin „Environment 360“ der US-amerikanischen Yale University schildert das Phänomen exemplarisch am Beispiel Kaliforniens. Dort gab es von 2011 bis 2016 fünf extrem heiße und trockene Jahre, in denen zahlreiche Temperaturrekorde gebrochen wurden. Ihnen folgte im Winter 2016/17 eine Phase mit heftigen Niederschlägen.
Als Konsequenz wuchsen Gräser und andere Pflanzen enorm. Doch als die nächste Hitzeperiode folge, verdorrte die Vegetation und wurde zum reichlich vorhandenen Brennstoff für die Buschbrände, die Kalifornien in den letzten zwei Jahren heimsuchten. Der schlimmste Brand wütete Anfang 2018 im Prominenten-Wohnort Montecito.
Nur wenige Wochen später prasselten gewaltige Regenmengen auf die verbrannte Erde, was großflächige Erdrutsche auslöste. Sie zerstörten viele Häuser, 21 Menschen starben. „Zwar waren Ausdehnung und Intensität der Feuer Symptome des Klimawandels, doch die Wetterpeitsche stellt Menschen und Ökosysteme noch vor ganz andere Probleme“, resümiert Environment 360.
Auch in Europa wird der Peitscheneffekt zunehmend spürbar. In diesem Frühjahr gab es hier späte Fröste, die viele Nutzpflanzen schädigten. Ihnen folgten heftige Niederschläge, die vielerorts das Getreide aus dem Boden wuschen und Felder wochenlang überfluteten.
Klima wird immer instabiler
Zudem zeigt eine weitere in „Nature“ publizierte Studie, dass die Volatilität des Klimas in den vergangenen 60 Jahren ein Europa signifikant zunahm. Dies ermittelten die Autoren um die Klimatologin Valerie Trouet von der University of Arizona anhand von Baumring-Daten, die sie auf dem Balkan und im Norden Schottlands gesammelt hatten.
Zwischen diesen Regionen fluktuiert der nordpolare Strahlstrom (Jetstream) – ein Starkwindband, das in acht bis zwölf Kilometern Höhe um den Globus weht. Die 300 Jahre zurückreichenden Daten zeigen, dass der Strahlstrom in den letzten 60 Jahren variabler wurde und viel weiter nach Norden und Süden mäanderte als zuvor. Weil die Schleifen des Stroms Hoch- und Tiefdruckgebiete oft wochenlang an einem Ort festhielten, waren Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen die Folge.
Zudem folgten solche Extreme rascher aufeinander. „Die Abfolge des Wandels deutet darauf hin, dass der Effekt vom Menschen verursacht wird“, schlussfolgert Trouet.
Dies hängt mit dem sogenannten Polarwirbel zusammen, der seinerseits den Jetstream beeinflusst. Er entsteht, wenn während der Polarnacht die Atmosphäre auskühlt.
Dann bildet sich ein Luftwirbel, der in westlicher Richtung um die Arktis kreist. Er hält die winterliche Kaltluft gleichsam über der Region gefangen. Bleibt er stabil, ist in Europa jahreszeitlich normales Wetter zu erwarten. Wird er jedoch instabil, was in den vergangenen Jahren mehrmals geschah, folgen Wetterextreme. Unter anderem können polare Luftmassen nach Süden entweichen und Kältewellen auslösen.
Landwirtschaft leidet unter Extremwetter
Die künftig heftigeren Schläge der Wetterpeitsche haben noch andere Folgen. So könnten Rekordniederschläge, die auf die Dürreperiode folgen, das Anpflanzen von Getreide verhindern oder ausgebrachten Dünger von den Äckern schwemmen. Außerdem tötet eine rasche Abfolge von Frost und Tauwetter die Knospen von Bäumen. Im hohen Norden kann sich auch eine Eisdecke bilden, die verhindert dass dort lebend Tiere wie die Karibus an das darunter liegende Gras gelangen.
Ein weiteres Beispiel für künftige Extreme ist die „Blitzdürre“. Im Normalfall entsteht eine Dürre allmählich durch einen Mangel an Regen. Treten zum ausbleibenden aber Regen hohe Temperaturen, starke Winde und viele Sonnentage hinzu, verdampft rasch sehr viel Wasser aus den Böden, und die Dürre setzt blitzartig ein. Das Phänomen ist zwar schon länger bekannt, doch in der vergangenen Dekade trat es häufiger und intensiver in Erscheinung.
Von der Klimapeitsche werden nicht nur Menschen getroffen, sondern auch Tiere und Pflanzen – bis hin zur Ausrottung. Insgesamt geraten ganze Ökosysteme in Gefahr. Eine Studie an Gambelmeisen in der kalifornischen Sierra Nevada verdeutlicht das Risiko. Forscher untersuchten zwischen 2012 und 2017 Bestände in hohen und tiefer gelegenen Gebirgsregionen.
In dieser Zeit traten die schlimmste Dürre und heftigsten Schneefällen in der Geschichte des US-Staats auf. Unter der Trockenheit litt die untere Meisenpopulation, deren Fortpflanzungsrate gegen Null sank. Der Schnee wiederum machte den in der Höhe lebenden Vögeln zu schaffen.
Klimawippe schaukelt sich auf
Klima-Peitschenschläge sind nicht das einzige Phänomen, das die globale Erwärmung verstärkt. Ein weiteres ist eine Klimawippe im Indischen Ozean, die sich zunehmend aufschaukelt. Meeresforscher sprechen von einem Dipol, der sich auf das Wetter in Afrika und Australien auswirkt.
So trug er zu den Starkregen bei, die in diesem Jahr in Afrika ganze Regionen unter Wasser setzten, ebenso zu den verheerenden Buschbränden Down Under.
Der Dipol beruht auf Temperaturunterschieden zwischen dem westlichen und östlichen Indischen Ozean. „Es ist eine starke, aber kaum verstandene Naturkraft, die das Klima in Australien bestimmt“, verlautbart die australische Wissenschaftsorganisation CSIRO.
Ähnlich wie bei El Niño und La Niña im Pazifik durchläuft auch der Dipol im Rhythmus von drei bis acht Jahren verschiedene Phasen (positiv, neutral und negativ), in denen sich die Wassertemperatur drastisch ändert. In der positiven Phase ist sie im westlichen Indischen Ozean höher, im östlichen niedriger, was in Ostasien und Australien Dürren verursacht, in Teilen Indiens und Ostafrikas dagegen Regen.
Dieses Muster unterscheidet sich von anderen Meeren. Im Pazifik und Atlantik verteilen Strömungen und Winde die vom Wasser abgegebene Wärme, doch die Landmasse Asiens im Norden des Indischen Ozeans blockiert diesen Mechanismus, so dass sich dort die Wärme staut. Als Folge erwärmte sich dessen Wasser im vergangenen Jahrzehnt vor allem im westlichen Teil stark.
„Dies verstärkte den Dipol, wodurch die Zahl der positiven Phasen zunahm“, konstatiert CSIRO-Forscher Wenju Cai. „Während der letzten 30 Jahre trat sie elf Mal ein, was es zuvor so nicht gab.“
Ganze Regionen stehen unter Wasser
Zwischen 2006 und 2008 folgten sogar drei positive Phasen aufeinander, die zu den verheerenden Buschbränden im australischen Bundesstaat Victoria beitrugen. „Dieses Muster wird sich unseren Modellen zufolge in den kommenden Dekaden fortsetzen“, erläutert Cai.
Für Afrika sind die Folgen gravierend. „Derzeit sehen wir Rekordfluten in Ostafrika“, berichtet Gemma Connell vom Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UN im britischen „Guardian". „Ganze Regionen stehen unter Wasser, betroffen sind 2,5 Millionen Menschen.“
Hier den Newsletter "Wissen" abonnieren
Berichte, Videos, Hintergründe: Jede Woche versorgt Sie FOCUS Online mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Wissensressort. Hier können Sie den Newsletter ganz einfach und kostenlos abonnieren.
Auch in diesem Fall schlug die Klimapeitsche zu, denn die Überschwemmung folgte kurzfristig auf zwei Dürren. „Wir sehen, dass sich die Klimaschocks häufen – zusätzlich zu den Konflikten und der Gewalt in der Region, die schon viele Menschen vertrieben“, berichtet Connell weiter. „In Kenia etwa ist das Gebiet am Turkana-See betroffen, wo die Fälle von Unterernährung nach den Dürren bereits um 30 Prozent gestiegen waren.“ Die heftigen Wetterereignisse seien das neue Normal.
Eine von Forschern der US-Amerikanischen Rice University durchgeführte Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach werden sich „blockierende Wetterlagen“ häufen, durch die Hoch- oder Tiefdrucksysteme an einem Ort festsitzen. Dies löst Hitze- oder Kältewellen aus, oder auch wochenlange Niederschläge. Beispiele sind die Hitzewellen 2003 in Frankreich, 2010 in Russland und 2018 in Deutschland.
Hitzewellen werden stärker und betreffen mehr Menschen
Simulationen der Studienautoren zeigen, dass die blockierenden Lagen aufgrund der Erderwärmung auf der Nordhalbkugel um 17 Prozent zunehmen. Ursache ist wiederum die Veränderung der Strahlströme, deren Mäander weiter nach Norden und Süden ausgreifen. Die Drucksysteme bleiben in ihren Schleifen gefangen. Hinzu kommt, dass sie auch größer werden.
„Frühere Studien untersuchten nur, ob sich die blockierenden Lagen durch den Klimawandel häufen, doch niemand fragte, ob sich auch ihre Größe ändert“, betont Studienhauptautor Ibrahim Hassanzadeh. „Doch die Ausdehnung ist wichtig, weil etwa die Hitzewellen im Gefolge größerer Hochs stärker werden und auch größere Gebiete betreffen, und damit mehr Menschen.“
Insgesamt lassen diese Forschungsarbeiten erkennen, dass wir einen Planeten hinterlassen, auf dem die nächsten Generationen jedes zweite Jahr oder noch öfter nie dagewesene Hitzeextreme erleben, kein intaktes tropisches Korallenriff mehr sehen werden, die Arktis in den Sommern eisfrei ist, was zu Konflikten um Rohstoffe führen könnte. Dabei sind die südlichen Länder viel stärker betroffen als wir.
Sie werden ihrer Entwicklungspotenziale beraubt, Hunger und Ressourcenkriege drohen, mit Massenmigration als Folge. Bisher glich diese Entwicklung einem lauen Lüftchen. Es könnte aber bald ein Sturm daraus werden, der über den ganzen Globus fegt und die Menschheit in ihren Grundfesten erschüttert.
Sehen Sie im Video: Erst Orkanböen mit 120 km/h - dann fallen 40 Zentimeter Neuschnee
„Klima“ abonnieren