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Der Verkauf von .org wirkt wie eine gut durchdachte Mafia-Affäre (Symbolbild).(Bild: Pixabay)

Der Ausverkauf des Internets

Der Verkauf von .org wirkt wie ein Verschwörungskrimi voller seltsamer Zufälle, Korruption und zwielichtiger Gestalten. Hinzu kommen Intransparenz und Widersprüche.

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Je mehr neue Informationen zu dem Verkauf der .org-Domain öffentlich werden, desto mehr erinnern die Vorgänge an den Ausverkauf wichtiger Ressourcen im post-sozialistischen Ostblock, bei dem sich einige Oligarchen auf Kosten aller bereicherten, oder an eine schmierige Mafia-Affäre an der US-Ostküste, inklusive Schweigekartell vieler wichtiger Mitwisser und Entscheider. Die Vorgänge bieten auch genug Inhalt, um noch über Jahre hinweg für Spekulationen herhalten zu können.

Worum geht es? Zwei der wichtigsten Organe des Internets, die Icann und die gemeinnützige ISOC, verkaufen ohne ersichtlichen Grund und mit fadenscheinigen Argumenten die .org-Domain. Beteiligt sind nur eine Handvoll Personen, auf Kritik wird nicht eingegangen.

Ein Allgemeingut wird kommerzialisiert

Das Brisante daran: Die .org-Domain dient fast ausschließlich zur Kennzeichnung gemeinnütziger Vereine und wird auch von vielen Open-Source-Projekten genutzt. Hinzu kommt, dass die .org-Verwalter der Public Interest Registry (PIR) nicht gewinnorientiert arbeiten, ebenso wenig die bisherigen PIR-Besitzer, die Internet Society (ISOC). Letztere soll explizit das offene Internet fördern und es allen zugänglich machen. Dieses Konstrukt ist im Jahr 2002 explizit so geschaffen worden. Die als Allgemeingut verstandene .org-Domain war einer der letzten Horte des noch nicht völlig durchkommerzialisierten Internets.

Nun wird die Domain in den freien Markt gedrängt. Ein Jahrzehnte altes Gut der Community wandert damit aus dem nichtkommerziellen Sektor in Privatbesitz als Geldanlage und Spekulationsobjekt - ein Allgemeingut wie die Wasserversorgung oder Müllabfuhr, nur eben digital. Kritiker, die wegen der fehlenden Preisschranken zuvor schon vor einer ungewissen Zukunft gewarnt hatten, können dem Ausverkauf nur mehr oder weniger tatenlos zusehen.

Um zu verstehen, wie die Icann als oberster Verwalter des Internets mit dem Auftrag des Interessenausgleichs und die ISOC in nur wenigen Monaten derart massiv ihren eigenen Auftrag unterlaufen konnten, lohnt sich zunächst ein Blick zurück.

Vorgeschobene Argumente von Icann und ISOC?

In den Jahren 2014 bis 2016 hat die Icann eine Vielzahl neuer sogenannter generischer Top-Level-Domains (gTLD) eingeführt und mit deren Betreibern entsprechend neue Verträge geschlossen. Im Frühjahr dieses Jahres wollte die Icann zur turnusgemäßen Vertragserneuerung mit den Betreibern der .org-Domain, also dem gemeinnützigen Unternehmen PIR, die gültigen Bedingungen für die anderen gTLDs auch auf .org übertragen. Dazu gehörte die Abschaffung der zuvor noch gültigen Preisschranken. Für eine Organisationen wie die Icann mit mehreren Tausend Vertragspartnern mag die Vereinheitlichung dieser vielen Verträge durchaus Vorteile haben.

Doch ist das der einzige Grund? Die Icann hat den Schritt so vehement auch gegen heftigste Kritik durchgesetzt, dass sich der Verdacht geradezu aufdrängt, es könnten noch andere Interessen dahinterstecken. Schon während der öffentlichen Beratungsphase der Icann zu den neuen Verträgen gab es fast ausschließlich negative Kommentare und so gut wie keine Zustimmung zu dem Plan. Der weltweit zweitgrößte Registrar Namecheap erhob offiziell Widerspruch gegen den Verkauf.

Doch die Icann überging die Kritik aus der Community und lehnte den Widerspruch von Namecheap einfach als unbegründet ab. Eine externe Überprüfung fand nicht statt. Nachvollziehbare Begründungen für dieses Verhalten lieferte die Icann nicht und hüllte sich stattdessen in Schweigen.

Nur wenige Monate später folgte der nächste heftig umstrittene Schritt: Nachdem die Arbeit der .org-Verwalter von PIR über 17 Jahre nahezu unverändert gelassen wurde, hat die ISOC völlig überraschend und ohne vorherige öffentliche Konsultation den Verkauf von PIR bekanntgegeben. Davon verspricht sich die Organisation nach eigenen Angaben genügend Vermögen, um ihre Einnahmen und damit ihre Tätigkeit zur Förderung des Internets für alle Menschen zu erweitern.

Immerhin kann die ISOC das Geld so unabhängig in mehrere Anlagen investieren, um nicht mehr nur von einer Einkommensquelle abhängig zu sein. Denn das Haupteinkommen der ISOC stammt bisher fast ausschließlich aus den Gebühren für .org-Domains, die PIR verwaltet. Doch eigentlich dürfte die ISOC das gar nicht nötig haben. Die Abhängigkeit von einer einzigen Einkommensquelle ist in diesem Fall kein so bedrohliches Szenario, dass zwingend andere Einnahmen gesucht werden müssten. Denn die ISOC erhält derzeit rund 30 Millionen US-Dollar im Jahr aus dem Geschäft der PIR - und zwar stetig. Es ist außerdem mehr als unwahrscheinlich, dass das Geschäft mit den .org-Domains plötzlich wegbrechen könnte. Eine langfristige Finanzierung der ISOC wäre also auch mit dem Status Quo weiter gesichert.

Beide Vorgänge - der neue Vertrag und der Verkauf - stellen die Organisationen als übliche Vorgänge dar, die nicht miteinander zusammenhängen. Doch allein die zeitliche Nähe zueinander und die geringe Transparenz zu den offiziellen Entscheidungen lassen das unwahrscheinlich erscheinen. Eine genauere Betrachtung der beteiligten Personen und Unternehmen untermauert diesen Eindruck.

Persönliche Verwicklungen

An den Vorgängen rund um den .org-Verkauf ist nur eine sehr kleine Gruppe von Personen und Unternehmen beteiligt. Diese sind teilweise so eng miteinander verwoben, dass die Konstellation an einen Krimi mit Personalrochaden erinnert, bei dem Protagonisten an entscheidende Stellen der Macht gelangen wollen.

Zu nennen sind hier unter anderem Akram Atallah und Fadi Chehadé, die in der Zeit der massiven TLD-Erweiterungen in der Icann tätig waren, Chehadé als CEO, Atallah als President für die Global Domain Division. Chehadé wechselte danach zum Finanzinvestor Abry. Dort sorgte er für eine Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen Donuts und sicherte dessen Finanzierung, mit der rund 240 TLDs gekauft wurden.

Gegründet wurde Donuts unter anderem von Jon Nevett, der das Unternehmen im Herbst 2018 verließ, ihm folgte Atallah in dieser Position. Nevett wiederum ist seit Ende 2018 CEO der .org-Verwalter bei PIR. Der Vorgänger von Nevett in dieser Position war mehr als sieben Jahre für PIR tätig und kündigte ohne jede Erklärung.

Finanzinvestor mit sehr guten Kontakten

Der aktuelle ISOC-Präsident Andrew Sullivan, der neben Nevett wohl hauptverantwortlich für den PIR-Verkauf ist, war maßgeblich an der Gründung von PIR durch die ISOC beteiligt. Danach arbeitete Sullivan bis 2008 für Afilias, der als technischer Dienstleister die Arbeiten von PIR betreut. Sullivan war darüber hinaus aber auch erst seit 2018 in seiner Position bei der ISOC.

Im Frühjahr dieses Jahres registrierte dann Chehadé die Domain von Ethos Capital, den künftigen Käufern von PIR. Einer der Partner von Chehadé bei Abry, Erik Brooks, gründete schließlich Ethos Capital und verließ dafür eine prestigeträchtige Leitungsposition. Zweite Angestellte des Unternehmens ist Nora Abusitta-Ouri, eine langjährige Mitarbeiterin von Chehadé.

Schon allein wegen der engen Verbindungen zueinander und der kurzen zeitlichen Abfolge liegt der Verdacht nahe, dass die Beteiligten den .org-Verkauf von vornherein ausgehandelt haben - womöglich, um sich daran persönlich zu bereichern. Hinzukommt, dass offenbar kaum einer bereit ist, öffentlich Details zum Zustandekommen des Verkaufs zu nennen. Und wenn sich die Beteiligten doch äußeren, hilft das ihrer Sache eher weniger.

Der große Ausverkauf

Nach langem Schweigen über die Verkaufssumme für PIR hat vor wenigen Tagen Andrew Sullivan öffentlich angegeben, dass diese 1,135 Milliarden US-Dollar beträgt. Das für den Kauf notwendige Kapital stammt offenbar von US-Milliardären, die der Republikanischen Partei nahestehen. Das schreibt der Gründer der .eco-Domain Jacob Malthouse unter Berufung auf eine E-Mail von Sullivan.

Diese Summe mag auf den ersten Blick groß erscheinen, ist aber eigentlich lächerlich klein und sicherlich deutlich unter Wert. So gibt es derzeit mehr als 10 Millionen .org-Domains. Mit den nun möglichen Preissteigerungen und eventuell neuen Registrierungen könnte die .org-Registry wohl nach einigen Jahren 200 Millionen US-Dollar im Jahr einnehmen. Ebenso könnten die neuen Eigner die Registry einfach zu einem höheren Preis weiterverkaufen, etwa an Donuts. Und davon bekommt die ISOC nichts ab.

Wie Sullivan berichtet, sollen die Einnahmen aus dem Verkauf angelegt werden, um aus dem Gewinn die ISOC zu finanzieren. Allerdings erwartet Sullivan nicht, dass dabei mehr Geld an die ISOC fließt als bisher. Der Verkauf ist aus dieser Perspektive also eigentlich völlig überflüssig, da der Schritt offensichtlich keine direkten Vorteile bietet und möglicherweise sogar ein Verzicht auf Einnahmen bedeutet.

Viele Ungereimtheiten

Darüber hinaus beteuert die ISOC-Führung nach wie vor, von dem Übernahmeangebot durch Ethos Capital überrascht worden zu sein - und hat ihm dennoch nach nur etwas mehr als einem Monat zugestimmt. Angesichts der engen Verbindungen der Beteiligten und der schon länger zurückliegenden Gründung von Ethos ist das wenig glaubwürdig. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass PIR für einen Verkauf vorbereitet worden ist, indem dessen verfügbares Vermögen an die ISOC übertragen und der größten Kostentreiber - der Vertrag mit dem Technikdienstleister Afilias - deutlich verringert wurde.

Die Umstände rund um die Verhandlungen sind zudem nach wie vor geheim. Selbst Mitarbeiter wurden wohl nicht darüber informiert. Sullivan behauptet, die Geheimhaltung sei nötig gewesen, um den Verkauf nicht zu gefährden. Nun besteht aber ganz klar ein großes öffentliches Interesse an der .org-Domain, was den Beteiligten spätestens seit den Diskussionen um den neuen Vertrag hätte klar sein müssen. Es drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass hier etwas verschwiegen werden soll - aus Angst davor, dass zu großer öffentlicher Druck den Verkauf hätten verhindern können.

Sullivan ignoriert darüber hinaus die bisherige Kampagne zum Stopp des Verkaufs und die mehrheitlich negative Kritik daran. Bei mehr als 10 Millionen registrierten Domains hält der ISOC-Präsident die mehr als 15.000 Personen und Organisationen, die eine entsprechende Petition gegen den Verkauf unterschrieben haben, schlicht nicht für eine relevante Masse. Im Namen der ISOC begeht Sullivan damit den gleichen Fehler wie bereits zuvor schon die Icann und ignoriert wichtige Teile der Internet-Community.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach).