Schwerkranke Frau bekommt von Jobcenter nur 4,24 Euro im Monat: Betreuer mit drastischen Schritten
Im freien Fall durchs System
by Tobias GmachKeine fünf Euro bekommt eine psychisch und körperlich kranke Starnbergerin vom Jobcenter. Der Fall zeigt dramatisch, wie jemand durch das Sozialsystem fallen kann.
- Eine schwer kranke Frau aus Starnberg steht in einem Konflikt mit dem Jobcenter.
- Sie erhält monatlich keine fünf Euro.
- Das Bayerische Rote Kreuz kämpft dagegen - sogar mit Klagen und einer Anzeige.
Landkreis – „Die Leute werden im Behördendschungel zwischen den Verfahren zerrieben. Wir haben mehrere solcher Fälle. Das ist nur der krasseste.“ Das sagt Christian Kellner. Als hauptamtlicher Mitarbeiter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) ist er der gesetzliche Betreuer von Hildegard Z. Die Starnbergerin ist 53 Jahre alt, Analphabetin und laut Kellner seelisch wie körperlich schwer angeschlagen. Wegen Angststörungen ließ er sie vor einer Woche in eine Psychiatrie einweisen. Kellner hatte Angst, dass Hildegard Z. verhungern oder sich etwas antun könnte.
Starnberg: Frau auf soziale Hilfe angewiesen - Jobcenter unternimmt nichts
Die Frau ist auf soziale Hilfe angewiesen – doch seit Ende Mai erreichen sie vom Jobcenter statt vorher etwa 100 noch genau 4,24 Euro im Monat. Der Vorwurf ihres Betreuers: „Das ist eine psychische Krise, die die Behörden verursacht haben. Sie wissen um die Notlage, unternehmen aber nichts.“
Für Kellner, Sozialpädagoge aus Seefeld, ist der Schritt an die Öffentlichkeit das letzte Register. Seit eineinhalb Jahren kämpft er mit Unterstützung des Sozialverbands VdK dafür, dass Hildegard Z. versorgt wird – mit Anträgen, Widersprüchen, Klagen, einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine Jobcenter-Mitarbeiterin und sogar einer Anzeige gegen Jobcenter-Leiter Gerhart Schindler wegen unterlassener Hilfeleistung.
Kellner hat den Fall, die Schriftverkehre, Aktennotizen und Gerichtsbeschlüsse in einem Ordner dokumentiert, der dem Starnberger Merkur vorliegt. Eindeutige Schuldzuweisungen sind unangebracht. Trotzdem zeigt die Geschichte auf absurde und dramatische Weise, wie jemand durch das Sozialsystem fallen kann.
Starnberg: Jobcenter stellt Frau vor große Probleme
Hildegard Z. lebt seit vielen Jahren zur Untermiete bei einem Mann in einer 50-Quadratmeter-Wohnung in Starnberg. Laut Kellner hat er seiner Mitbewohnerin wegen Mietrückstands aber mittlerweile gekündigt. Das Jobcenter sieht eine so genannte Bedarfsgemeinschaft (BG) – was Kellner vehement bestreitet. Im Gegensatz zu einer WG definiert sich eine BG darüber, dass die Bewohner füreinander einstehen – vor allem finanziell. Deshalb wurde nach der Ermittlung des gemeinsamen Bedarfs das Einkommen des Mannes, der offenbar mehrere Teilzeitjobs hat, abgezogen. Kurioser-, aber auch logischerweise bleiben dann nur noch 4,24 Euro im Monat übrig.
Das große Problem laut Kellner: Die Bewohner stehen eben nicht füreinander ein, der Mann gibt Z. keinen Cent seines Einkommens ab.
Jobcenter prüft Fall - es gilt die Vermutungsregelung
Es gilt die so genannte Vermutungsregelung. Das bedeutet: Nicht die Behörde muss beweisen, dass es sich um eine Bedarfsgemeinschaft handelt – sondern Kellner das Gegenteil. Er hat es versucht, nicht nur mit dem Argument, dass es keine finanzielle Unterstützung des Vermieters gibt. Er hat auch auf getrennte Schlafräume verwiesen und betont, dass die beiden nicht gemeinsam essen und nur aus Armut zusammenleben.
Unter anderem am 11. Oktober 2018 machten sich Jobcenter-Mitarbeiter laut Akten selbst ein Bild. In einem Schreiben an Kellner argumentieren sie: Beide Seiten des Betts seien normal bezogen, auf den Nachttischen stünden Wasserflaschen, es gebe einen gemeinsamen Schrank. Bis in solche Details verliert sich der Schlagabtausch zur Frage „BG: Ja oder Nein?“
Starnberg: Was sagen Jobcenter und Sozialgericht?
Jobcenterchef Schindler sagt gegenüber dem Starnberger Merkur: „Wir haben keine gesetzliche Möglichkeit, um der Frau mehr Geld zu bezahlen. Und Gesetze werde ich als Geschäftsleiter nicht brechen.“ Als Sozialpädagoge verstehe er die Dramatik und werde den Fall nochmals prüfen. Aber er sagt auch: „Das Sozialgericht hat ganz klar bestätigt, dass eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt.“ Im Beschluss zu Kellners Widerspruch heißt es unter anderem, dass keine Hilfsbedürftigkeit über Hartz IV hinaus zu erkennen ist.
Ein Satz, den Kellner zynisch findet, lautet: „Armut zwingt nicht zu räumlicher Nähe.“
Sozialhilfe für Starnbergerin: Warum ist das Jobcenter zuständig?
Hier liegt der Knackpunkt. Hildegard Z. hat keinen Anspruch auf anderweitige Sozialhilfe. Denn: Die Deutsche Rentenversicherung stuft sie als erwerbsfähig ein. Kellner hat dagegen Widerspruch eingelegt und eine Reihe an medizinischen Befunden eingereicht. Bisher ohne Erfolg. Die Versicherung beruft sich in einem Schreiben auf die Prüfung durch einen Sachverständigen. Z. könne mindestens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten.
Darauf folgt allerdings eine paradoxe Relativierung, bei der am Ende fast nichts mehr von der Kernaussage übrig bleibt. Es sollte sich um Arbeiten „ohne ständiges Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, ohne häufiges Bücken und Hocken, ohne Zwangshaltungen, ohne ständiges Heben, Tragen oder Bewegen von schweren Lasten, ohne erhöhten Zeitdruck, ohne häufig wechselnde Arbeitszeiten, ohne Publikumsverkehr, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne Steuerung und Überwachung komplexer Arbeitsvorgänge und ohne Verantwortung für Personen und Maschinen“ handeln. Welcher Job für Z. dann noch in Frage kommt, schreibt die Rentenversicherung nicht.
Starnbergerin verzweifelt: Was wäre die Lösung?
Hätte Hildegard Z. eine eigene Wohnung, bekäme sie den vollen Hartz-IV-Betrag (derzeit 424 Euro) ausbezahlt. Um städtische und Sozialwohnungen hat sie sich beworben. Dass sie sich schon bald selbst versorgen kann, hält er für unrealistisch – angesichts ihres psychischen wie physischen Gesundheitszustands. Ein Satz Kellners beschreibt den täglichen Kampf von Hildegard Z. vielleicht am besten: „Sie rutscht die Treppe auf dem Hosenboden herunter.“
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