FC Bayern bei der Chancenverwertung nicht mehr "Bayern-like": Gefangen im Phrasenschwein
by Jonas Rütten40 Schüsse feuerte der FC Bayern bei den Niederlagen gegen Leverkusen und Mönchengladbach auf das gegnerische Tor ab, nur zwei davon saßen. Der Rekordmeister ist vor dem Tor nicht mehr "Bayern-like", betreibt Chancenwucher und wird dafür postwendend bestraft. Es wird deutlich, wie viele Offensiv-Probleme Robert Lewandowski in dieser Saison kaschiert hat.
Fußball und Phrasen. Das gehört seit Jahrzehnten zusammen wie Adam und Eva, der VfL Bochum und Herbert Grönemeyer, Joachim Löw und der Ausdruck "sagen mer mal" oder Bastian Schweinsteiger und das Wort "absolut". Es gibt sie in den unterschiedlichsten Ausprägungen.
Einige von ihnen erreichen Kultstatus. Sepp Herbergers messerscharfe Analyse, dass der Ball rund sei und ein Spiel 90 Minuten dauere zum Beispiel. Oder Adi Preißlers Eingebung, dass "entscheidend auf'm Platz" sei. Andere sind wiederum besonders für Sportjournalisten und Fans einfach nervig. "Die Tagesform entscheidet", "Fußball ist ein Tagesgeschäft" oder "Im Fußball ist alles möglich".
FC Bayern wird gegen Bayer und Gladbach Opfer der eigenen Ineffizienz
Dann gibt es aber noch jene Phrasen, die einerseits nerven, denen andererseits aber auch ein Fünkchen Wahrheit inne wohnt. Im Fachjargon nennt man sie "Fußball-Weisheiten". Und eine davon - eine besonders nervige, aber auch immer wieder ein Spiel auf den Punkt bringende - sucht aktuell den FC Bayern München heim. "Wenn du sie vorne nicht machst, kriegst du sie hinten rein", lautet sie.
Eine Weisheit, die im Vokabelheft eines jeden Kreisliga-Trainers ihren Stammplatz hat. Und wahrscheinlich ist sie Hansi Flick sowohl beim 1:2 gegen Bayer Leverkusen als auch beim 1:2 gegen Borussia Mönchengladbach auch das eine oder andere Mal durch den Kopf gespukt. Vielleicht kam sie ihm sogar in der Mannschaftskabine am Samstag im Gladbacher Borussia Park über die Lippen, als seine Spieler den Bundesliga-Spitzenreiter 45 Minuten lang im eigenen Stadion nach Belieben dominiert, aber einfach kein Tor geschossen hatten.
Nicht Thomas Müller, nicht Joshua Kimmich, nicht Corentin Tolisso, nicht Leon Goretzka, nicht Kingsley Coman und auch nicht Robert Lewandowski. Alle hatten sie ihre großen Chancen und nutzten sie nicht, besonders für Lewandowski in dieser Saison ein ungewohntes Gefühl. 15:1 lautete das Torschussverhältnis am Ende der ersten 45 Minuten. Wo es wirklich zählte, stand es jedoch 0:0. Und so bahnte sich eine Weisheit ihren Weg in die Geschichte eines Spiels, in dessen Verlauf der FC Bayern nach dem eigenen Führungstreffer erst das Spiel aus der Hand gab und am Ende auch die Punkte.
FC Bayern: Robert Lewandowskis Lauf hat die Abschlussschwäche kaschiert
Wie schon gegen Leverkusen eine Woche zuvor wurde der FCB Opfer seiner eigenen Ineffizienz und des eigenen Unvermögens. "Am Ende sind wir einfach nur selber schuld, dass wir wieder null Punkte mitnehmen", analysierte Joshua Kimmich richtigerweise nach der Partie.
Dabei ist die abhanden gekommene "Kälte vor dem Tor", die auch Sportdirektor Hasan Salihamidzic nicht entgangen war, nicht unbedingt ein Phänomen der vergangenen zwei Spiele, nur wurde es durch Robert Lewandowskis Rekordlauf mit 16 Toren bis zum 12. Spieltag erfolgreich kaschiert. In acht der 14 Spiele lag der Expected-Goals-Wert der Münchner über den letztendlich in den Partien erzielten Tore, das hatte gegen Leverkusen (2,25 xG) und Gladbach (1,74 xG) fatale Folgen.
Ist Lewandowski gegen Mannschaften aus dem oberen Tabellensegment nicht in Torlaune, gibt es aktuell keinen Spieler, der auch nur in Ansätzen als Vollstrecker einspringen könnte, wenn es drauf ankommt - so sehr sich Kimmich auch bemühte diesen Eindruck wegzuwischen. "Die Qualität, um solche Chancen reinzumachen, haben wir auf jeden Fall im Kader", sagte er. Das Gesamtbild ist jedoch derzeit ein anderes.
Müller erzielte gegen Leverkusen sein erstes Tor nach 1356 torlosen Minuten, glänzt dafür aber als Vorbereiter (elf), Coman ist seit August in der Bundesliga ohne jede Torbeteiligung, Philippe Coutinho hat mit Formschwächen und Nicht-Berücksichtigungen seitens Flick zu kämpfen. Am ehesten könnte noch Gnabry als Vollstrecker in Erscheinung treten, der hatte gegen Leverkusen wie Lewandowski aber einen gebrauchten Tag und saß gegen Gladbach angeschlagen über 90 Minuten auf der Bank.
Bleibt noch Teilzeitarbeiter Perisic, nach Lewandowski (alle 70 Minuten ein Tor) und Gnabry (alle 142 Minuten ein Tor) noch der Effizienteste unter den Offensivspielern mit vier Treffern in 643 Spielminuten.
Effizienz-Tabelle des FC Bayern: Nur drei Offensiv-Spieler treffen regelmäßig
Platz | Spieler | Position | Tore | Spielminuten | Minuten/Tor |
1 | Robert Lewandowski | Mittelstürmer | 27 | 1892 | 70 |
2 | Serge Gnabry | Flügel | 9 | 1281 | 142 |
3 | Ivan Perisic | Flügel | 4 | 643 | 161 |
4 | Leon Goretzka | zentrales Mittelfeld | 2 | 641 | 321 |
5 | Corentin Tolisso | zentrales Mittelfeld | 3 | 1004 | 335 |
6 | Philippe Coutinho | offensives Mittelfeld | 3 | 1082 | 361 |
7 | Thomas Müller | Flügel /Hängende Spitze | 3 | 1167 | 389 |
8 | Kingsley Coman | Flügel | 3 | 1475 | 492 |
9 | Thiago | defensives Mittelfeld | - | 1372 | - |
Flick kritisiert mangelnde Entschlossenheit und wird ausgecoacht
Die Frage nach der Vollstrecker-Qualität darf daher beim FC Bayern durchaus gestellt werden. Erklärungsversuche für die eigene Ineffizienz gab es nach der bitteren Last-Minute-Niederlage des Rekordmeisters in Gladbach zwar zuhauf, so richtig einen Reim darauf machen konnten sich alle Beteiligten aber nicht. Kimmich deutete zwar an, dass es nicht nur Pech sei, eine solche Vielzahl an guten Chancen auszulassen, was aber genau noch fehle, wisse er auch nicht.
Müller habe derweil nicht das Gefühl gehabt, dass man versucht habe, "den Ball über die Linie zu zaubern". An einer "gewissen Leichtfertigkeit" liege es daher nicht. Und überhaupt zum Thema Chancenverwertung: "Konnte man das schon jemals erklären?"
Müllers Trainer Hansi Flick versuchte es im Gegensatz zu Salihamidzic ("nicht zu erklären") immerhin und phrasierte, dass man "vor dem Tor auch entschlossen genug agieren" müsse und ihm diese Entschlossenheit "manchmal" fehle. So sehr Flick mit seiner Aussage auch ins oberste Fach der Phrasen griff, so kam man doch nicht umhin zu bemerken, dass er zumindest "manchmal" gewisse Qualitätsmängel feststellt - denn nichts anderes ist die Abwesenheit von Entschlossenheit im Profifußball doch. Ein Mangel an Qualität.
Den offenbarte bei der Niederlage am Niederrhein jedoch nicht nur seine Offensiv-Abteilung, sondern auch er selbst. Zwar war Flicks positiver Einfluss auf das Spiel der Bayern sowohl in der Defensive als auch in der Offensive zumindest 50 Minuten lang deutlich spürbar. Allerdings vermochte es der Bayern-Trainer nicht, auf einen Schlüsselmoment des Spiels zu reagieren.
Der kam, als sein Gegenüber Marco Rose kurz vor dem Gladbacher Ausgleich durch Ramy Bensebaini Breel Embolo für Laszlo Benes brachte und von einer Raute auf ein klassisches 4-4-2 umstellte. Die Antwort darauf blieb aus, Gladbach kam immer besser ins Spiel und das Unheil nahm seinen Lauf. Ein Unheil, an dessen Ende der FC Bayern erneut ein Opfer seiner eigenen Ineffizienz wurde. Ein Gefangener des Phrasenschweins sozusagen. Denn: "Wenn du sie vorne nicht machst, kriegst du sie hinten rein".