Software für Ermittler
Polizei darf bald selber Kinderpornos erzeugen
by Christian RathBerlin - Die Polizei soll künftig Kinderpornografie am Computer erzeugen dürfen. Ein entsprechendes Gesetz will die große Koalition noch im Dezember beschließen. Die Bilder und Videos sollen genutzt werden, um sich Zugang zu streng abgeschotteten Missbrauchszirkeln zu verschaffen.
„Ein Forum für die Nutzer von Kinderpornografie kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen Eingang Sie als Eintrittskarte ein kinderpornografisches Foto oder einen Film vorzeigen müssen“, sagte Peter Egetemaier, Chef der Freiburger Kriminalpolizei, jüngst bei einer Anhörung im Bundestag. Wer trotz Aufforderung keine Bilder liefere, werde schnell als Ermittler enttarnt.
Polizisten dürfen eigentlich keine Straftaten begehen
Das Problem der Ermittler: Polizisten dürfen keine Straftaten begehen, das gilt auch für verdeckte Ermittler. Deshalb müssen sich verdeckte Ermittler bisher herausreden, wenn sogenannte Keuschheitsproben verlangt werden. In Polizei und Politik wird aber schon lange diskutiert, ob Polizisten nicht ausnahmsweise Kinderpornografie weitergeben dürfen, um in klandestine Gruppen einzudringen.
Neu ist die Überlegung, dass die Polizei vom Computer erzeugte fiktive Bilder benutzen könne, sodass keine realen Kinder betroffen sind. Allerdings ist auch die Weitergabe fiktiver Missbrauchsdarstellungen strafbar, weil befürchtet wird, dass bei Empfängern der Wunsch steigt, selbst Kinder zu missbrauchen. Diese Ausnahmeregelung wollen CDU/CSU und SPD nun schaffen. Und es soll ganz schnell gehen. Die Änderung soll noch im Dezember in ein bereits laufendes anderes Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) spricht die entsprechende Formulierungshilfe derzeit mit den anderen Regierungsressorts ab. Der Wortlaut ist noch nicht bekannt. Nach Informationen dieser Zeitung soll sichergestellt werden, dass es sich bei den Bildern um „fiktive“ Darstellungen handelt. Das ist auch die Bedingung für Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD, der das Vorhaben mit angeschoben hat.
Das Erzeugen von künstlichen Bildern am Computer ist technisch anspruchsvoll. Dabei wird ein Originalbild mit einem neuen fiktiven Gesicht und Körper versehen. Solche Gesichter werden vom Computer aus einer Vielzahl anderer Gesichter berechnet und sind kaum von realen Gesichtern zu unterscheiden.
In der Praxis werden sich aber noch viele Probleme stellen. Da es um die Darstellung von Missbrauch geht, müssen die Gesichter auch Angst, Ekel oder Apathie ausdrücken können. Außerdem geht es um Darstellungen des ganzen Körpers, bei denen Kinder gefesselt, geschlagen und penetriert werden. Um solche Szenen künstlich zu erzeugen, braucht der Computer Vorlagen. Zwar hat die Polizei jede Menge Material beschlagnahmt. Reale Bilder mit realen Opfern sollen aber nicht in die Herstellung einfließen.
Ermittler könnten bei schlechten Bildern auffliegen
Noch schwieriger ist die Herstellung von Videos. Jedes fiktive Filmbild muss einzeln erzeugt werden, das sind mehr als 20 Bilder pro Sekunde. Experte Dirk Labudde, Professor für Bioinformatik an der Hochschule Mittweida in Sachsen, rechnet mit einer „längeren Entwicklungsphase“. Und bei der Frage danach, ob die Videos tatsächlich echt aussehen oder sofort als Computer-Fake erkannt werden, ist der Experte, der oft mit der Polizei zusammenarbeitet, unsicher. Wenn Menschen in den Polizeivideos am Ende aussehen wie etwa die Sportler bei dem PC-Fußballspiel „Fifa 20“, fliegen die Ermittler sofort auf.
Ein krimineller Missbrauchszirkel, der sich abschotten will, müsste künftig also nur Videos statt Fotos verlangen, dann würden verdeckte Ermittler schnell auffliegen. Oder der Zirkel fordert sehr viele Fotos. Für das Kinderpornografie-Netzwerk Wonderland wurden in den Neunzigerjahren als „Eintrittskarte“ 10.000 Bilder verlangt. Bis die Polizei so viele Fake-Bilder produziert hat, dürften Jahre vergehen.