Lassen, lockern, abschaffen?

Fragen und Antworten zur Schuldenbremse

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457 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen empfiehlt Michae Hüther, Direktor des Institus der deutschen Wirtschaft in Köln.(Foto: picture alliance / dpa)

Die neue SPD-Spitze möchte die Schuldenbremse lockern. Die Union ist dagegen. Und die Grünen regen einen Kompromiss an. Worum es geht und wer welche Auffassung vetritt.

Seit wann gibt es die Schuldenbremse?

Anders als das politische Ziel der Schwarzen Null im Haushalt ist die Schuldenbremse seit 2009 in der Verfassung verankert - eine Reaktion auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, in deren Folge ganze Staaten durch die Probleme ihrer Banken in Schieflage gerieten. In Deutschland lag die Schuldenquote damals bei rund 80 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung und damit deutlich über der in der EU geltenden Obergrenze von 60 Prozent. Die Schuldenbremse beschränkt die konjunkturbereinigte Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dies gilt seit 2016. Für die Bundesländer ist die Nettokreditaufnahme ab dem Jahr 2020 sogar ganz verboten.

Was hat sich seitdem geändert?

Nach dem Einbruch in der Weltwirtschaftskrise boomte die Konjunktur in Deutschland ein Jahrzehnt lang. Sprudelnde Steuereinnahmen und deutlich geringere Zinsbelastungen auf Altschulden haben die Position des Staates deutlich verbessert. 2019 dürfte Deutschland erstmals seit 17 Jahren wieder unter der EU-Vorgabe von 60 Prozent liegen. "Wir haben eine andere Ökonomische Lage", sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln. Insofern müsse neu nachgedacht werden. Ähnlich argumentiert Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Er verweist auf das berühmte Zitat des Lehrbuch-Ökonomen John Maynard Keynes: "Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung." Südekum ergänzt, die Mini-Zinsen dürften auf längere Sicht niedrig bleiben, so dass Probleme bei der Refinanzierung zu einem späteren Zeitpunkt unwahrscheinlich seien.

Was ist in Deutschland auf der Strecke geblieben?

Ökonomen, mehrere Parteien und viele Wirtschaftsverbände beklagen einen massiven Investitionsstau. Gelder fehlen unter anderem in der Infrastruktur, im Bildungssystem und für die Digitalisierung. Hüther beziffert den Nachholbedarf auf satte 457 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Diese müssten zusätzlich zu den normalen Investitionen des Staates hinzukommen- also etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Auf Bundesebene sind 2020 Investitionen von rund 43 Milliarden Euro vorgesehen, was bereits ein Rekordniveau ist.

Wo drückt der Schuh am stärksten?

Besonders groß ist der Bedarf bei der kommunalen Infrastruktur. Hier fehlen Schätzungen zufolge allein 138 Milliarden Euro. Viele Gemeinden sind aber hoffnungslos Überschuldet und können deswegen Schulen und Schwimmbäder nicht mehr modernisieren. Laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz haben rund 2500 der insgesamt mehr als 11.000 Kommunen in Deutschland keine Spielräume. Der SPD-Politiker lotet momentan eine Entschuldung dieser Gemeinden aus, die vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland liegen. Scholz hat ein fertiges Konzept in der Schublade. Dabei geht es um ein Volumen von fast 50 Milliarden Euro. Allerdings ist nicht gesichert, dass hier alle Länder, die CDU im Bund und die reicheren Gemeinden mitziehen.

Wie sollte mehr investiert werden?

Hüther sagt, die nötigen Summen könnten im normalen Haushalt nicht abgebildet werden. Er schlägt einen Deutschlandsfonds vor, eine Art zweckgebundener Parallelhaushalt. Außerhalb dieses Sondervermögens würde die Schuldenbremse dann weiter gelten. Südekum ergänzt, die für eine Abschaffung erforderliche Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen im Parlament sei politisch unrealistisch. Daher müsse die strikte Regel umgangen werden. "Ehrlicher wäre aber die Erkenntnis, dass die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß ist und korrigiert werden sollte."

Wer ist dagegen?

Die Union hält an den bestehenden Regeln fest, ebenso wie SPD-Finanzminister Scholz trotz Kritik in Teilen seiner Partei. "Es geht auch mit den vorhandenen Mitteln", sagt der CDU-Haushaltsexperte Andre Berghegger. Es sei auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Schuldenbremse gebe es schließlich erst seit zehn Jahren: "Bitte nicht sofort infrage stellen." Es gebe genügend Mittel zum Investieren. So wachse die eigentlich für Flüchtlingsfragen gedachte Rücklage bis Ende 2019 auf rund 40 Milliarden Euro an. Zudem seien die Zinskosten des Bundes bei gut zwölf Milliarden Euro statt früher 40 Milliarden im Jahr. Allerdings nutzt Scholz diese Spielräume bereits. Auch FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke ist gegen eine 180-Grad-Wende. Es sei immer leichter Schulden zu machen. "Besser sollte man aber sagen, worauf man verzichten will."

Kommen die Gelder vor Ort auch an?

Die Regierung hofft zunächst auf Fortschritte bei der konkreten Umsetzung von Projekten. Allerdings hat sich hier in den vergangenen Jahren nicht viel getan. "Die Mittel fließen halt nicht ab", so CDU-Politiker Berghegger. Im Haushalt von 2018 blieben am Ende 20 Milliarden Euro ungenutzt, unter anderem vier Milliarden, die für den Breitbandausbau vorgesehen waren. Der Schlüssel liege darin, Planungskapazitäten auszubauen und Vorschriften zu reduzieren. Auch die Wirtschaftsverbände mahnen an, dass Firmen langfristig planen und ihre Kapazitäten aufstocken würden, wenn sicher ist, dass der Staat deutlich mehr Geld in die Hand nimmt.